Das Licht der französischen Mittelmeerküste zieht Künstler seit 150 Jahren fast magisch an. Auch Bonnard, Picasso, Chagall und Matisse ließen sich inspirieren.
Anders als viele Künstler seiner Zeit ist Pierre Bonnard (1867-1947) dem breiten Publikum wenig bekannt - das wird sich nach der ersten umfassenden Retrospektive seines Werks in Österreich hoffentlich ändern. Die bevorstehende Ausstellung im Wiener Kunstforum war unser Motiv für einen künstlerischen Lokalaugenschein in und um Nizza, Cannes und Cap d’Antibes - eine Spurensuche, die sehr zu empfehlen ist. Sie inspiriert nicht nur in künstlerischem Sinn, sie erfüllt mit Lebensfreude in jedem erdenklichen Sinn, und das wegen des milden Mittelmeerklimas zu jeder Jahreszeit.
„Ich fühle mich wie in 1001 Nacht. Das Meer, die gelben Mauern, Reflexe, die genau so farbig sind wie das Licht“, schrieb der junge Maler Pierre Bonnard, als er Anfang des 20. Jahrhunderts aus Paris und der Normandie erstmals ans sonnige Mittelmeer kam. Das legendäre Licht des Südens, in dem Meer, Häuser, Eukalyptus-, Mandel- und Olivenbäume sowie Mimosen erstrahlen, ließ ihn, wie so viele Kollegen, nie mehr los.
Es war für ihn eine so unerschöpfliche Quelle der Inspiration, dass er schließlich 1926 in Le Cannet ein Haus erstand. „Le Bosquet liegt im Landesinneren, in den Bergen, mit einem Blick aus Meer. Es ist dort sehr schön, ich habe alle meine Motive zur Hand. Ich sehe sie mir an, mache mir Notizen. Dann gehe ich nach Hause, und bevor ich male, denke ich nach und träume“, schrieb er Freunden und beschrieb damit seine Arbeitsweise, die den Titel der Ausstellung – „Die Farbe der Erinnerung“ – erklärt.
Der tägliche Spaziergang – und zwar ungefähr die gleiche Runde von etwa 4,5 Kilometern – wurde für Bonnard, neben seinem Garten, seinem Haus und Blicken aus dessen Fenstern, zur wichtigsten Inspiration für sein Werk. Bei jedem Wetter, zu jeder Tages- und Jahreszeit machte er sich dabei genaue Notizen, warf Skizzen in sein Tagebuch, füllte jedes Jahr ein dickes Heft mit Eindrücken und zog sich dann in sein Atelier zurück, wo er die Leinwand an die Wand nagelte, die genau durchdachten Eindrücke interpretierte und dann erst malte. Anders als viele andere malte Bonnard nie vor dem Motiv, er stützte sich auf die Naturbetrachtung, kombinierte dann mit freier Hand Farben zu lebendigen Flächen. Auch die Aktbilder seiner Frau Marthe entstanden nach flüchtigen Skizzen aus dem kleinen von zwei Fenstern erhellten Badezimmer im Haus, sie posierte nie stundenlang für ihn.
Ein eigenes Museum für Pierre Bonnard wurde 2011 in einem ehemaligen Bürger-Palais in Le Cannet eröffnet. Am Eingang prangt ein berührendes Zitat des Künstlers: „Ich hoffe, dass meine Malerei ohne Sprünge halten wird. Ich möchte wie mit Schmetterlingsflügeln vor die jungen Maler des Jahres 2000 treten.“; im Inneren überzeugen zahlreiche seiner Werke auch im Vergleich mit Gemälden anderer Zeitgenossen die Betrachter, dass Bonnards Malerei tatsächlich „gehalten“ hat, dass vor allem ihre Farbigkeit und Leuchtkraft heute noch gelten.
Vom Museum weg führt ein liebevoll ausgeschilderter, in einer guten Stunde bewältigbarer Weg vorbei am noch in Familienbesitz befindlichen Haus „Le Bosquet“ bergauf zu Plätzen, die Bonnard und andere Künstler inspirierten. An den schönsten Ausblicken über Hügel und Meer zeigen Schautafeln Werke, die ähnliche Blicke vor mehr als 75 Jahren zeigen – weit weniger verbaut natürlich, aber Stimmung und Licht bleiben nachvollziehbar. Wer Bonnards Blicke im Hausinneren nachvollziehen möchte, kann sich im Museum eine VR-Brille ausborgen, die einen virtuellen Rundgang durch „Le Bosquet“ ermöglicht.
Auf Malerspuren wandeln lässt sich es auch in Antibes, wo auf mehreren Plätze Reproduktionen von Werken, die dort ihre Inspiration fanden, stehen - unter anderem von Claude Monet, Pablo Picasso, Eugène Boudin oder Ernest Meissonier. Größter Publikumsmagnet des malerisch schönen Küstenstädtchens ist das Picasso-Museum im ehemaligen Palais Grimaldi, 1925 von der Stadt gekauft und in den Jahren nach 1946 von dem berühmten Künstler als Atelier benutzt.
Als Dank schenkte Picasso zahlreiche Malereien, Zeichnungen, Bildteppiche und Keramiken als Grundstein der heutigen, ständig erweiterten großen Sammlung, die auch viele Werke anderer Künstler des 20. Jahrhunderts wie Miró oder Max Ernst enthält. Bis heute ist Antibes eine Stadt der Künstler, Besucher können durch Galerien flanieren, Ateliers von Kunsthandwerkern besuchen und finden auch auf dem bunten Markt sowie am Hafen, dem größten Jachthafen Europas, moderne Skulpturen.
Die Konfrontation mit der Kunst ist auch in Nizza, der größten Stadt der Region, allgegenwärtig. Auf den Hügeln von Cimiez sind die Museen für Henri Matisse und Marc Chagall. Letzteres, 1973 zum 86. Geburtstag des 1887 im heutigen Weißrussland geborenen Künstlers eröffnet und von ihm selbst mitgeplant, besteht vor allem aus einem großartigen Gemälde-Ensemble in direkter Anlehnung an die Bibel, eine poetische Reise durch Chagalls Fantasie und auch eine wahr Ode an die Farbe des Mittelmeers, die auch in der Raumgestaltung – viel natürliches, helles Licht – eine wichtige Rolle spielt. „Wenn jedes Leben unabwendbar seinem Ende entgegengeht, dann müssen wir es während unserer Lebenszeit mit den Farben der Liebe und der Hoffnung schmücken“, schrieb Chagall zur Einweihung seines Museums.
Ein Lebensmotto, wie geschaffen für die Côte d’Azur, die Küste der Künstler und der Lebenskunst. Das ganze Leben als Kunst zu betrachten ist in Südfrankreich sicher leichter als in klimatisch weniger gesegneten Gefilden. Im mediterranen Licht scheint alles unbeschwerter - sogar an bewölkten Tagen, und der Genuss spielt im Alltag eine große Rolle. Beim Bummeln durch entzückende Orte, an Strandpromenaden, in kleinen Cafés, bei Olivenpaste, Brot und Käse im schattigen Gastgarten, beim Sternekoch Bruno Oger, der jedes Jahr die Filmstars beim Festival von Cannes bekocht, oder auch in einem Kellerlokal bei einer Runde der „grünen Fee“ Absinth: Eine Spurensuche an der Küste der Maler lohnt sich immer!
Brigitte Egger, Kronen Zeitung
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