Mahner gegen Vergessen

Holocaust-Überlebender Marko Feingold gestorben

Salzburg
20.09.2019 14:09

Er überlebte fünf Jahre in mehreren Konzentrationslagern, half nach dem Krieg Tausenden Juden bei der illegalen Auswanderung nach Israel und war bis zuletzt ein wacher und unermüdlicher Kämpfer gegen das Vergessen der NS-Gräueltaten: Am Donnerstag ist Marko Feingold, seit 1979 Präsident der kleinen Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, im Alter von 106 Jahren gestorben. Das offizielle Österreich hat am Freitag mit tiefer Trauer auf die Nachricht seines Todes reagiert.

Betroffen zeigten sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, das Parlamentspräsidium, die Israelitische Kultusgemeinde sowie die Spitzen der Parteien. „Meine Gedanken sind in dieser Zeit bei seiner Familie, der ich mein tiefstes Mitgefühl aussprechen möchte“, so Van der Bellen. Bierlein sowie Kultusminister Alexander Schallenberg würdigten Feingolds „unermüdlichen Einsatz im Kampf gegen Faschismus und Antisemitismus“.

(Bild: AFP/Joe Klamar)

Feingold, der in der Wiener Leopoldstadt aufgewachsen ist, starb an den Folgen einer Lungenentzündung. Noch im Juni hat er die Integrationsfußball-WM in Salzburg angekickt und fand dabei erneut Worte der Toleranz. „Keiner hat dem anderen etwas vorzuwerfen. Die Religionen sind gleich, nur die Feiertage sind verschieden.“

Ältester Holocaust-Überlebender Österreichs
Der älteste Holocaust-Überlebende Österreichs war einer der wenigen Juden, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Salzburg zurückgekehrt sind. Dabei war es Zufall, dass sich Feingold in der Festspielstadt niederließ. Am 11. April 1945 wurde das KZ Buchenwald von den Amerikanern befreit. Österreich kümmerte sich aber nicht um die Heimholung seiner Häftlinge. In einem letztlich selbst organisierten Transport wollten 128 Überlebende nach Wien fahren. Doch an der Demarkationslinie an der Enns gab es Probleme, bei der Rückfahrt nach Deutschland stieg Feingold spontan in Salzburg aus.

Feingold in der Synagoge in Salzburg (Bild: APA/Barbara Gindl)
Feingold in der Synagoge in Salzburg

„Flüchtling im eigenen Land“
Als „Flüchtling im eigenen Land“ hat er sich dabei bezeichnet. Denn die Tausenden Überlebenden der Konzentrationslager, die es als „Displaced Persons“ (DPs) nach Salzburg verschlug, wollte man dort genauso wenig wie die Juden, denen vor 1938 die Flucht ins Exil gelungen war. Sie wurden offiziell nie zur Rückkehr eingeladen oder aufgefordert.

Schon kurz nach seiner Ankunft wurde Feingold die Leitung der Verpflegungsstätte für ehemalige KZ-Häftlinge übertragen, später auch die Administration mehrere DP-Lager in Stadt und Land Salzburg. Er half der Untergrundorganisation Bricha bei der Organisation der illegalen Flucht Tausender Juden nach Palästina. Von der Landesregierung „erpresste“ er dazu Lastautos für die Beförderung. „Als sie mir keine geben wollten, habe ich gesagt: Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder ich bekomme die Lastautos oder die Juden bleiben da“, erzählte er einmal. Der erste Konvoi bestand aus sechs Lkw.

(Bild: APA/Helmut Fohringer)

Als die Flucht über den Brenner von den Alliierten unterbunden wurde, war Feingold an der Suche nach einer Alternativroute beteiligt. Im Sommer 1947 flohen 5000 jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa zu Fuß über den Krimmler Tauern, um von Italien aus in Richtung Palästina auszuwandern. Seit 2007 erinnert die jährliche Überquerung „Alpine Peace Crossing“ an das Ereignis. Ebenfalls 1947 kaufte Feingold im Auftrag der Bricha alte Boiler und Waschmaschinen auf, in denen - wie er erst später erfuhr - Waffen nach Palästina geschmuggelt wurden.

Mehr als 6000 Vorträge in Schulklassen
1948 eröffnete er in Salzburg das Geschäft „Wiener Moden“, das er bis zu seiner Pensionierung 1977 führte. Er heiratete und ab 1979 leitete er die Israelitische Kultusgemeinde in Salzburg, die heute noch wenige Dutzend Mitglieder umfasst. Immer mehr wurde parallel dazu der Kampf gegen das Vergessen zur Lebensaufgabe. Feingold hielt mehr als 6000 Vorträge vor Schulklassen - und zeigte sich über das oft fehlende Wissen der Jugendlichen bedrückt. „Es wird in Schulen nicht ausreichend über Rechtsradikalismus unterrichtet.“

Marko Feingold zeigt seine Kennkarte, eine Art „polizeilicher Inlandsausweis“ im Deutschen Reich. (Bild: APA/Barbara Gindl)
Marko Feingold zeigt seine Kennkarte, eine Art „polizeilicher Inlandsausweis“ im Deutschen Reich.

Im Herbst 2013 wurde Feingold zum Protagonisten des dutzendfach aufgeführten Zeitzeugenprojekts „Die letzten Zeugen“ des Wiener Burgtheaters. Wenige Monate später besuchte er - damals schon 100-jährig - einen 21-Jährigen im Gefängnis, der wegen NS-Schmierereien und der Beschädigung der jüdischen Synagoge in Salzburg in U-Haft saß. Der angeblichen Läuterung des jungen Mannes stand er durchaus skeptisch gegenüber.

Dabei pflegte Feingold zeitlebens einen charmanten Schmäh. Als ihn der frühere Salzburger Erzbischof Alois Kothgasser einmal nach dem Geheimnis seines langen Lebens fragte, antwortete er: „Suchen Sie sich eine jüngere Frau.“ Feingolds zweite Gattin Hanna ist 35 Jahre jünger als er.

(Bild: APA/Barbara Gindl)

„Nationalsozialisten waren verirrte Menschen“
Hass und Verbitterung schienen ihm trotz der schlimmen Erfahrungen in den Konzentrationslagern fremd. „Die Nationalsozialisten waren verirrte Menschen“, sagte er einmal in einem Interview. Den vielen muslimischen Flüchtlingen, die es nach 2015 auch nach Salzburg verschlug, begegnete Feingold allerdings mit Skepsis. Er fürchtete, dass mit ihnen antisemitische Ressentiments zurückkehren.

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