Herr Witz, Herr Eisen und Herr Mensinger - die (einstigen) bürgerlichen Nachnamen von Gene Simmons, Paul Stanley und Eric Singer - brachten mit ihrem jüngsten Bandmitglied Tommy Thayer freilich nicht nur Hardrock der alten Schule in die Stadthalle: blutrote Flammenfontänen, explodierende Bühnendeko, schießende Gitarren, eine Seilbahn ins Publikum, rauchende Hub-Podeste und einen Konfettiregen, wie ihn die Stadthalle, na ja, seit dem letzten KISS-Konzert halt vor zwei Jahren nicht mehr gesehen hat.
Auch nach fast vierzig Bühnenjahren sind die beiden Gründungsmitglieder Stanley und Simmons noch weit vom "Rockopa"-Status entfernt. Das mag daran liegen, dass die Schminke die Falten kaschiert und beide weder Kopf- noch Brusthaarausfall plagt; im Gegensatz zu einigen ihrer Alterskollegen sind sie aber auch spielerisch noch oben auf - wenngleich Paul Stanley in der Stadthalle offenbar an einer Erkältung laborierte und sich an kritischen Stellen von Eric Singer helfen ließ. Die wichtigsten Parts (z.B.: das am Drehpodest im Publikum abgerockte "I Was Made For Loving You") meisterte er dafür zur Begeisterung der Fans mit Bravour.
Das im vergangenen Oktober vorgestellte neue Album "Sonic Boom" passt zur nostalgischen Plateauschuh/Kostüm-Parade wie die Faust aufs Auge, entspricht es doch exakt dem "Back To The Roots"-Kurs, den die Band im neuen Jahrtausend eingeschlagen hatte. Erdige Gitarrensounds und melodischer Hardrock, der trotzdem forsch genug antritt - das Rezept, mit dem KISS in den Siebzigern berühmt wurde. Beim Konzert in der Stadthalle vermischten die vier Maskierten das neue Material (herausragend bereits der Opener "Modern Day Delilah", später dann Simmons' "I'm An Animal") mit Klassikern wie "Deuce", "Calling Dr. Love", "100.000 Years" und dem von Eric Singer vorgetragenen "Black Diamond". Zur Überraschung gab es mit "Crazy Crazy Nights" auch einen der seltenen Ausflüge in die unmaskierten Achtzigerjahre ("Lick It Up" fiel dafür aus).
Die Hauptattraktionen einer KISS-Show sind aber der Mittelteil, Gene Simmons' Dämonen-Show und das Grande Finale. Ersterer besteht aus einem Solo-Duell zwischen Lead-Gitarrist und Drummer, wobei "Spaceman" Tommy Thayer in Wien mit einer schießenden Gitarre aufwartete. Für Eric Singer, der mit Peter Criss' "Catman"-Maske auftritt und bei den alten Songs auch seinen Stil an den des "Ringo Starr of Hard Rock" (= toller Kerl, aber mäßiger Drummer) anpasst, markierte die Soloeinlage eine Art "Kickstart" für den Rest der Show, durch den sich Singer dann kraftvoller hämmerte. Bei Simmons kleiner Grusel-Feier lässt sich die grünbeleuchtete Dämonenfratze Blut übers Kinn laufen und schwebt dann für "I Love It Loud" auf die Stirntraverse der Bühne hoch.
Das Finale in Wien: Die Hymne "God Gave Rock 'n' Roll To You" und das Glaubensbekenntnis "Rock and Roll All Nite" begleitet von einer Feuerwerksfanfare und dem Konfetti-Starkregen. Fazit: Im Vergleich zum letzten Konzert hat sich bis auf die Songs des neuen Albums überhaupt nichts geändert - und das ist gut so.
Von Christoph Andert
Fotos: Andreas Graf
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