Er prägte die New Yorker Hardcore-Szene wie kaum ein anderer und erreichte als Gründungsmitglied und Chef der Cro-Mags Kultstatus. Doch das Leben des Harley Flanagan war nie ein einfaches und geriet des Öfteren gewaltig aus den Fugen. Nun scheint das Schlimmste überstanden zu sein. Bevor er am 4. Oktober im Grazer Explosiv auftritt, haben wir ihn zum Gespräch gebeten.
Liam und Noel Gallagher, Axl Rose und Slash, Roger Waters und David Gilmour. Fehden und Zwiste sind in der Musikhistorie keine Seltenheit. Dass es dabei aber zu tätlicher, lebensgefährlicher Gewalt kommt, ist doch eher die Ausnahme von der Regel. Geschehen ist das bei den zu Tode zerstrittenen Hauptmitgliedern der New Yorker Hardcore-Kultband Cro-Mags. Harley Flanagan, der die Band im Alter von 14 Jahren 1981 ins Leben rief und der einstige Sänger John Joseph hatten sich schon in den 80er-Jahren nicht mehr viel zu sagen, 1994 wurde die Band endgültig auf Eis gelegt. Nachdem in den laufenden Jahren beide als Cro-Mags firmierten und in verschiedenen Besetzungen um die Welt tourten, stachelten sich die gegenseitigen Animositäten ins Unendliche auf und endeten 2012 in einem Skandal, der auch in der Mainstream-Medien Verbreitung fand.
Messerkampf
Während eines Musikfestivals in New York verletzte Flanagan den damaligen Bassisten Mike Couls und eine weitere Person mit einem Messer. Er selbst erlitt Messerstiche und musste 30 Mal genäht werden. Flanagan selbst berief sich auf Notwehr und die Anklage wurde fallengelassen. Der vermeintliche Täter sieht die Sachlage freilich anders, wie er im Gespräch mit der „Krone“ bekräftigt. „Wenn man in so einen Kampf gerät, passieren nun einmal beschissene Dinge. Ich wurde auch niedergestochen, bin aber nicht nachtragend. Ein paar von den Typen kenne ich mittlerweile 39 Jahre und für mich sind sie Arschlöcher. Ich sage das geradeheraus und stehe auch dazu. Ich habe Joseph lange angeboten, nur für die Fans für ein paar Auftritte zusammenzuspielen, aber der feige Hund sieht mir nicht einmal in die Augen. Die Fans aber hätten sich das Originalprodukt verdient. Ich habe meine Hand lange genug ausgestreckt.“
Erst dieses Jahr wurde der langjährige Rechtsstreit der beiden Parteien beigelegt. Flanagan darf als Gründungsmitglied nun offiziell unter Cro-Mags firmieren, Joseph und Drummer Mackie Jayson müssen dem Namen Cro-Mags ein JM (die Initialen der beiden Musiker) beistellen - ganz schön viel Wirbel für eine Band, die in dieser Dreierbesetzung mit „The Age Of Quarrel“ 1986 (!) gerade einmal ein Album gemeinsam eingespielt hat. Da die Wogen zumindest nach außen hin geglättet sind, können sich beide Projekte auch auf ihre Zukunft konzentrieren. Flanagan supportete mit den Cro-Mags unlängst die US-Kultband Misfits für eine Handvoll ausgewählte Shows, veröffentlichte die EP „Don’t Give In“ und geht nun auch auf Europatour, die sie u.a. nach Graz führt. Joseph und Jayson arbeiten auch an einem weiteren Album und wollen den Fans vor allem die Live-Erfahrung bieten, „in die sie sich über die Jahre verliebt haben.“
Prägnantes Leben
Der mittlerweile 52-Jährige Flanagan ist eine der schillerndsten Figuren der Szene. Der eigentlich im sonnigen San Francisco geborene Musiker zog früh nach New York und erlebte dort in den wenig glamourösen 70er-Jahren ein Aufwachsen, das ständig zwischen Angst und Gewalt pendelte. Die Cro-Mags waren neben Agnostic Front eine der allerersten Bands, die Metalelemente in den NY-Hardcore integrierten und damit zwei sich in leidenschaftlicher Feindschaft gegenüberstehende Szenen zu einem Ganzen vereinte. Das wilde und stellenweise kurios anmutende Leben Flanagans hat er vor drei Jahren in seine Biografie „Hard-Core: Life Of My Own“ gegossen. Dort lässt er auf 500 Seiten nichts aus, obwohl er laut eigenem Bekunden auch das Doppelte hätte schreiben können. „Es gäbe noch so viele Geschichten über Sex, Drogen, Gewalt und Kämpfe, aber manches vergisst du und manche Details lässt du einfach aus. Mir ging es mehr um das Gesamtbild meines Lebens.“
Wie wild dieses stellenweise verlief, erklärt er im Schnelldurchlauf. „Zum Beispiel trennte sich die Mutter meiner Kinder und nahm sie einfach mit. Dann war die Sache mit der Messerstecherei in der Webster-Hall, worauf mir fast alle meine Freunde den Rücken zudrehten und während ich an dem Buch arbeitete, bekam meine Mutter Krebs und starb daran. Ich habe aus dieser Phase aber gelernt, dass man mit allem im Leben umgehen kann. Man muss es nur akzeptieren. Ich hatte phasenweise wirklich alles verloren, bin heute aber selbstsicherer und stehe besser da als je zuvor. Natürlich bereue ich vieles und würde einige Dinge gerne ungeschehen machen, aber so geht es allen. Ich lerne jeden Tag und versuche mich zu verbessern, so gut es nur geht.“
Anders, nicht speziell
Flanagan liebt den Hardcore nicht nur, er lebt ihn. Wenig andere Musiker in der Szene sind gleichermaßen so respektiert wie umstritten. Fragwürdige konservative bis rechtsradikale Aussagen haben an der Legende des Öfteren gekratzt, gleichzeitig ist er ein Szenesinnbild für Zusammenhalt und Unterstützung in prekären Zeiten. „Mein alter Freund Anthony Bourdain, der leider viel zu früh verstorben ist, hat immer gesagt, dass kein Mensch jemals so ein Leben lebte wie ich und ich glaube, er hat recht. Das macht mich aber nicht speziell, sondern nur anders. Nicht jeder hätte überlebt, ich hatte auch Glück. Dennoch heule ich nicht herum und sinniere über Vergangenes. Ich bin einfach der, der ich heute bin.“
Heute ist Flanagan Musiker, Autor, erfolgreicher Jiu-Jitsu-Meister, Ehemann und liebender Familienvater. Von eingekehrter Ruhe kann nicht nur aufgrund seines enormen Arbeitspensums aber keinesfalls die Rede sein. Im Reinen mit seiner eigenen Vergangenheit ist er nicht. „New York ist Bullshit. Eine Ansammlung falscher Hunde, die dir sofort das Messer in den Rücken jagen. Keiner meiner alten Freunde hat in den harten Zeiten zu mir gehalten. So viele Leute sehen die Hardcore-Szene heute als einen Popularitätswettbewerb. Alle wollen Teil einer Gang sein, um sich als Männer zu beweisen. Das sind aber keine Männer, sondern meinungslose Mitläufer. Heute wirst du in New York viel eher auf dem Weg zu einer Hardcore-Show verprügelt als bei der Show selbst. Damals hat es vor und auf der Bühne gekracht, das war normal. Mein Job auf der Bühne ist es, jedem in den Arsch zu treten. Aber nicht aus Wut und Hass, sondern aus Motivation und Passion zur Musik. Auf der Bühne zu stehen ist für mich ein Ausbrechen, eine physische Befreiung aus einem imaginären Käfig.“
Echt und authentisch
Wer sich Flanagan heute in den sozialen Medien zu Gemüte führt, könnte fast von einer meditativen Typveränderung sprechen. Ob es wirklich nur das sprichwörtliche Alter war oder aber doch die aus dem Ruder geratenen Ereignisse der letzten Jahre, Flanagan ist immer noch ein unberechenbarer, aber auch herzhafter Querkopf, der sich weder Meinungen aufs Auge drücken, noch Ansichten diktieren lässt. Damit ist er eigentlich trotz aller negativen Beigeschichten genau das, was die Hardcore-Szene seit jeher ausmacht: echt und authentisch. In Zukunft will Flanagan jedenfalls wieder mehr über die Cro-Mags ins Gespräch kommen als über all die vielen Geschichten drumherum. Man kann eben den Jungen aus der NY-Hardcore-Szene holen, nicht aber die NY-Hardcore-Szene aus dem Jungen…
Am 4. Oktober bringen die Cro-Mags rund um Harley Flanagan ihre „Best Wishes 30th Anniversary Tour“ ins Grazer Explosiv. Karten für das einzige Österreich-Konzert gibt es noch unter www.oeticket.com.
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