Rede im EU-Parlament
Rackete: „Habe mich geschämt, EU-Bürgerin zu sein“
Für ihre schonungslose Abrechnung mit der Migrationspolitik hat Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete am Donnerstag stehende Ovationen im EU-Parlament in Brüssel erhalten. „Ich wurde empfangen wie ein Schiff, das die Pest nach Europa bringt“, sagte Rackete im Innenausschuss des Parlaments zu ihrer Anlandung Ende Juni im italienischen Lampedusa. „Es war schwer, eine EU-Bürgerin zu sein in diesen Tagen. Ich habe mich geschämt.“ Die Anhörung der deutschen Aktivistin fand am sechsten Jahrestag der Flüchtlingstragödie von Lampedusa statt, bei der im Jahr 2013 366 Menschen ums Leben gekommen waren.
Rackete gilt für die einen als Heldin, für die anderen als jemand, der illegale Migration und die „Schleppung“ von Menschen befördert. Wegen dieser Vorwürfe war sie in Italien auch schon in Untersuchungshaft. Die italienische Justiz ermittelt wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung gegen sie.
Am Donnerstag schilderte die deutsche Aktivistin im EU-Parlament in eindringlichen Worten ihre Erfahrungen als Seenotretterin, etwa als ihr Schiff auf ein Wrack traf, um das herum Leichen schwammen. Einige hätten sich in den Armen gehalten, als sie starben, „die Körper untrennbar verbunden“. Sie habe auch drei Kinder gesehen, „die die Leiche eines Babys im Arm hielten. Dann sangen einige für dieses Baby und schaukelten es, als wäre es noch am Leben.“
Unerlaubte Landung auf Lampedusa „war keine Provokation“
Keine dieser Erfahrungen sei aber so schlimm gewesen wie die „Frustration“, 70 Tage lang mit geretteten Migranten auf der Sea-Watch im Mittelmeer unterwegs zu sein „und den Menschen zu erklären, dass Europa sie nicht wolle, Europa, das Symbol der Menschenrechte“. Rackete verteidigte in diesem Zusammenhang neuerlich ihre Entscheidung, den Hafen von Lampedusa anzusteuern. „Das war keine Provokation. Das hätte ich viel früher tun sollen“, argumentierte Rackete mit dem Schutz von Menschenleben.
Bei ihrer Landung gegen den Willen der italienischen Regierung in Lampedusa habe sie „viel ungewollte Aufmerksamkeit“ bekommen. „Aber wo waren alle, als wir nach Hilfe gerufen haben, über alle möglichen Kanäle, wo waren sie, als wir nach einem sicheren Ort gefragt haben? Man hat mir Tripolis genannt, die Hauptstadt eines Landes, in dem Bürgerkrieg herrscht“, kritisierte sie. „Wenn wir wirklich besorgt sind über Folter in Libyen, muss Europa die Kooperation mit der libyschen Küstenwache einstellen“, forderte Rackete unter dem Applaus der Abgeordneten.
„Reform des Duliner Abkommens ist längst überfällig“
Rackete forderte einen radikalen Systemwandel im Umgang mit Migration. Eine Reform des Dubliner Abkommens sei „längst überfällig“, es brauche humanitäre Korridore und sichere und legale Routen nach Europa. „Eine Anlandung von geretteten Personen muss sich an das Recht halten und darf nicht Ad-hoc-Verhandlungen anheim gestellt werden.“
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