Einmarsch begonnen

Türkische Luftangriffe: Kurden melden erste Tote

Ausland
09.10.2019 18:45

Aus den martialischen Drohungen ist nun bitterer Ernst für die Kurden in Nordsyrien geworden: Türkische Truppen haben nach tagelangen Vorbereitungen und Truppenverlegungen ihre Offensive begonnen. Dies gab Präsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwochnachmittag auf Twitter bekannt. Unterdessen rief die kurdische Autonomieverwaltung in der Region zu einer Generalmobilmachung auf. Am Mittwochnachmittag folgten erste Luftangriffe türkischer Kampfjets auf syrische Grenzorte wie etwa die Stadt Ras al-Ain. Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) teilten am Mittwoch mit, bei Angriffen auf das Dorf Misharrafa seien zwei Zivilisten getötet und zwei weitere verletzt worden.

Angesichts der zunehmenden Drohungen der Türkei und ihrer syrischen „Söldner“ würden alle aufgerufen, sich an die Grenze zu begeben, um in diesen „kritischen historischen Momenten“ Widerstand zu leisten, hieß es in einer Erklärung. Kurden weltweit wurden aufgefordert, gegen die Offensive zu demonstrieren. Das von der kurdischen YPG-Miliz angeführte Rebellenbündnis SDF forderte die USA auf, eine Flugverbotszone einzurichten, um die türkischen Angriffe zu stoppen. YPG und SDF waren lange Zeit ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen die IS-Miliz in dem Bürgerkriegsland.

Erdogan: „Terrorkorridor wird beseitigt“
Die „Operation Friedensquelle“ sei gemeinsam mit protürkischen syrischen Rebellen gestartet worden, twitterte Erdogan. Neben den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) werde auch die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat ins Visier genommen. Damit solle der „Terrorkorridor“ an der türkischen Grenze beseitigt und Frieden und Ruhe geschaffen werden, betonte der türkische Staatschef.

Erdogan-treue Milizen unterstützen türkischen Einmarsch
Ein Sprecher der Brigade Anwar al-Hak, die ebenfalls die türkische Offensive unterstützt, sagte am Mittwoch, an der ersten Phase der Offensive sollten sich 18.000 Kämpfer beteiligen. Auch tausende Kämpfer der Syrischen Nationalarmee warteten in der türkischen Grenzstadt Akcakale in einem früheren Flüchtlingslager auf ihren Einsatz.

Wie der Sprecher Abdelrahman Ghasi Dadeh vor Reportern sagte, würden 8000 Kämpfer die gegenüber von Akcakale gelegene syrische Grenzstadt Tall Abyad angreifen, während 10.000 weitere die weiter östlich gelegene Stadt Ras al-Ain attackieren würde. Eine nicht genannte Zahl von Kämpfern sollte demnach für einen späteren Angriff auf die Stadt Kobane mobilisiert werden. Alle drei Städte werden bisher von der YPG-Miliz kontrolliert.

Die Türkei stützt sich bei ihrer Offensive auf zahlreiche mit ihr verbündete Milizen. (Bild: APA/AFP/Nazeer Al-khatib)
Die Türkei stützt sich bei ihrer Offensive auf zahlreiche mit ihr verbündete Milizen.

Kurdenmiliz für Türkei eine Terrororganisation
Die Kurdenmiliz YPG kontrolliert ein großes Gebiet an der Grenze zur Türkei. Die Regierung in Ankara sieht in der Miliz eine Terrororganisation. Die YPG ist zugleich ein wichtiger Verbündeter der USA im Kampf gegen den IS in Syrien, die USA zogen jedoch ihre Truppen aus dem betroffenen Grenzgebiet ab. US-Präsident Donald Trump wurde für seine Entscheidung, „Verbündete verraten“ zu haben, auch von zahlreichen Parteifreunden bei den Republikanern kritisiert. Daraufhin setzte Trump einen mehr als bizarren Tweet ab, in welchem er davon spricht, dass im Falle einer „Überschreitung von Grenzen“ die türkische Wirtschaft „zerstört“ werde.

Die Türkei will entlang der Grenze eine „Sicherheitszone“ unter ihrer alleinigen Kontrolle einrichten. Dort will Erdogan auch Millionen syrischer Flüchtlinge unterbringen, die derzeit in der Türkei und Europa leben. Viele Beobachter sprechen in diesem Zusammenhang von dem Plan eines „Bevölkerungsaustausches“. Allerdings könnte genau das Gegenteil passieren: So meldeten Quellen vor Ort bereits am Mittwochnachmittag erste Flüchtlingsbewegungen nach den türkischen Luftangriffen.

In Italien protestieren pro-kurdische Aktivisten gegen die türkische Offensive. (Bild: AP)
In Italien protestieren pro-kurdische Aktivisten gegen die türkische Offensive.

Zivilisten fliehen vor türkischen Luftangriffen
Tausende Zivilisten würden von der syrischen Grenzstadt Ras al-Ain nach Süden fliehen, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Aus dem Umland würden die Menschen zudem ins Zentrum von Tall Abyad fliehen, wo es noch keine Angriffe gab. Ein AFP-Reporter sah in Ras al-Ain Einwohner, die zu Fuß mit ihrem Gepäck vor den Angriffen flohen. Auch vollgepackte Autos und Motorräder verließen in langen Schlangen die Stadt.

Zivilisten fliehen aus Ras al-Ain nach den türkischen Luftangriffen. (Bild: AP)
Zivilisten fliehen aus Ras al-Ain nach den türkischen Luftangriffen.
Auch pro-kurdische Reporter verlassen die Stadt. (Bild: AP)
Auch pro-kurdische Reporter verlassen die Stadt.

Amnesty International forderte, sichere Fluchtmöglichkeiten für die Zivilisten aus dem Kampfgebiet zu schaffen. „Die Zivilisten im Nordosten Syriens haben bereits unter einer Reihe von Militäroffensiven, wiederholten Vertreibungen und schrecklichen Lebensbedingungen gelitten“, mahnte die Menschenrechtsgruppe. Die Türkei stehe rechtlich in der Pflicht, alle „möglichen Maßnahmen zum Schutz der Zivilisten“ zu ergreifen. Das türkische Verteidigungsministerium versicherte, die neue Offensive gegen die YPG richte sich ausschließlich gegen die Stellungen, Waffen und Fahrzeuge der „Terroristen“.

„Rechnen Sie nicht damit, dass die EU das mitfinanziert“
International sorgte die Offensive bereits für heftige Reaktion. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die Türkei aufgefordert, den Militäreinsatz in Nordsyrien sofort zu beenden. Vor dem EU-Parlament in Brüssel sagte Juncker am Mittwoch: „Dieser Militäreinsatz wird nicht zu guten Ergebnissen führen.“ Wenn die Türkei in Nordsyrien die Sicherheitszone umsetze, „rechnen Sie nicht damit, dass die EU das irgendwie mitfinanziert“, sagte Juncker. Er stehe uneingeschränkt zum Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei von 2016, so Juncker. Es gebe aber andere Punkte, wo er die Türkei nicht positiv beurteilen könne, sagte der Kommissionschef.

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