Video zeigt Schüsse

Stabiles Schloss verhinderte Blutbad in Synagoge

Ausland
09.10.2019 22:12

Stunden nach der Wahnsinnstat von Halle kommen langsam die möglichen Motive jenes Mannes zum Vorschein, der möglicherweise vorhatte, in einer Synagoge ein Blutbad anzurichten. Denn Stephan B. (27) streamte den Mord an zwei Menschen sowie seinen erfolglosen Versuch, in eine Synagoge zu gelangen, live im Internet. Zuvor ließ der mutmaßliche Täter aber noch via Video Einblicke in seine Geisteswelt zu, schimpfte auf „Juden und Kanaken“. In Halle steht man angesichts des Hassverbrechens unter Schock. Denn auch wenn die Tür zur Synagoge Stephan B. von einem Massaker abhielt - zwei Menschen sind tot ...

Was geschehen wäre, hätte es Stephan B. durch die Tür in die Synagoge zu den 80 Gläubigen geschafft, mag man sich kaum vorstellen. Die jüdische Gemeinde entging an ihrem höchsten Feiertag Jom Kippur nur knapp einer Katastrophe. Stephan B. aus dem ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt wollte nach Angaben aus Sicherheitskreisen am Mittwochmittag die Synagoge mit Waffengewalt stürmen, scheiterte jedoch. Danach soll der 27-jährige Deutsche vor der Synagoge und in einem nahen Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen und mindestens zwei weitere verletzt haben. 

Mit Helm und Gewehr ausgerüstet: Der mutmaßliche Täter Stephan B. in Halle (Bild: APA/AFP/ATV-Studio Halle/Andreas Splett)
Mit Helm und Gewehr ausgerüstet: Der mutmaßliche Täter Stephan B. in Halle

Stephan B. war vom Tatort geflohen und am Nachmittag festgenommen worden, wie die Polizei mittlerweile bestätigte. „Die festgenommene Person ist der Tatverdächtige“, sagte ein Polizeisprecher am Mittwochabend. Der Mann sei verletzt worden. „Er wurde versorgt“, fügte der Sprecher hinzu. Ob er sich im Krankenhaus befindet, konnte er nicht sagen.

Stephan B. soll ein Blutbad in der Synagoge von Halle geplant haben. (Bild: AFP)
Stephan B. soll ein Blutbad in der Synagoge von Halle geplant haben.

Seehofer spricht von „Anhaltspunkten für Rechtsextremismus“
Erst nach langen Stunden des Wartens hatte sich herauskristallisiert, dass es sich um einen Einzeltäter handelte. Dass Deutschlands Innenminister Horst Seehofer (CSU) nach dem Bekanntwerden des Videos von „ausreichend Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund“ sprach, dürfte manchen etwas schwer im Magen liegen. Denn so wirklich viel Interpretationsspielraum lassen die Aussagen des 27-Jährigen in dem Video nicht. Seehofer weiter: „Der höchste jüdische Feiertag Jom Kippur ist heute ein schwarzer Tag. Ein schwer bewaffneter Täter hat versucht, in eine Synagoge einzudringen, in der sich rund 80 Menschen aufhielten.“

(Bild: APA/AFP/dpa/Sebastian Willnow)

Heftige Kritik an Polizei: „ Die waren zu spät vor Ort“
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich am Abend schockiert: „Die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock.“ Zugleich erhob er schwere Vorwürfe gegen die Polizei. „Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös.“ Er fügte hinzu: „Wie durch ein Wunder ist nicht noch mehr Unheil geschehen.“

In Wiedersdorf nahe Landsberg durchsuchte die Polizei im Zusammenhang mit der Wahnsinnstat in Halle mehrere Häuser. (Bild: AFP)
In Wiedersdorf nahe Landsberg durchsuchte die Polizei im Zusammenhang mit der Wahnsinnstat in Halle mehrere Häuser.

Auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde der ostdeutschen Stadt Halle, Max Privorozki, hat der Polizei eine zu langsame Reaktion beim versuchten Angriff auf die Synagoge vorgeworfen. „Die waren zu spät vor Ort“, sagte Privorozki in einem Video, das am Mittwoch vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus auf Twitter veröffentlicht wurde. Mindestens 10 Minuten hätten sie gebraucht, als er angerufen und gesagt habe: „bewaffneter Anschlag gegen die Synagoge“. Privorozki machte deutlich, dass mehrfach auch im Bundesland Sachsen-Anhalt der Wunsch nach Polizeischutz für Synagogen geäußert worden sei - „genauso wie in großen Städten wie Berlin, München Frankfurt“.

Ein Toter liegt nach dem Schussattentat in Halle auf der Straße. (Bild: APA/Sebastian Willnow)
Ein Toter liegt nach dem Schussattentat in Halle auf der Straße.

Täter via Überwachungskamera gesehen
Der Gemeinde-Vorsitzende erzählte weiter: „Wir haben zuerst Schüsse gehört.“ Ein Sicherheitsmann und er hätten dann über den Monitor einer Kamera gesehen, wie jemand, der wie ein Spezialeinheitsoldat gekleidet gewesen sei, jemanden erschossen habe. Danach habe er gegen die Tür geschossen. Die Leute hätten sich in der Synagoge verbarrikadiert. Beide Eingangstüren seien verbarrikadiert gewesen, mit Möbeln, mit allem Möglichen - für den Fall, dass der Täter die Außentür aufgebrochen hätte. Gott sei Dank habe er dies aber nicht geschafft, so Privorozki.

(Bild: twitter.com)

Eine Frau und ein Mann wurden getötet
Bei dem Angriff legte der Täter auch selbstgebastelte Sprengsätze vor dem Gotteshaus ab. Eine Frau wurde vor der Synagoge von tödlichen Schüssen getroffen. Das Opfer aus dem Döner-Imbiss war ein Mann. Der Angreifer filmte seine Tat und stellte ein 35-minütiges Video ins Internet. Wie das auf die Überwachung extremistischer Websites spezialisierte US-Unternehmen SITE mitteilte, agierte der Täter offenbar nach dem Vorbild des Anschlags von Christchurch.

Mit Polizeieskorten wurden die Gläubigen von der Synagoge weggebracht. (Bild: AFP)
Mit Polizeieskorten wurden die Gläubigen von der Synagoge weggebracht.

Das mit einer Stirnkamera aufgenommene Video stellte Stephan B. auf eine Videoplattform online. Auf Englisch sagte er kurz vor der Abgabe der Schüsse, die „Wurzel aller Probleme sind die Juden“. Im neuseeländischen Christchurch hatte ein Rechtsextremist im März in zwei Moscheen mehr als 50 Menschen getötet und den Anschlag live im Internet übertragen.

Stephan B. versuchte, die Tür aufzuschießen - und scheiterte. (Bild: twitter.com)
Stephan B. versuchte, die Tür aufzuschießen - und scheiterte.

„In einem Land mit dieser Geschichte ...“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief zu Solidarität mit den jüdischen Menschen in Deutschland auf. In Halle sei passiert, was in Deutschland unvorstellbar schien, sagte Steinmeier bei einem Lichtfest in Leipzig anlässlich des 30. Jahrestags der friedlichen Revolution. Es habe einen Angriff auf eine jüdische Synagoge gegeben. „In einem Land mit dieser Geschichte“. „Das war mir unvorstellbar“, fügte Steinmeier hinzu. „Lassen Sie uns Solidarität zeigen mit den jüdischen Menschen in diesem Land“, sagte er unter Beifall von mehreren tausend Menschen.

Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Bild: APA/AFP/MICHELE TANTUSSI)
Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Im benachbarten Leipzig hatte die Polizei ihre Kräfte vor der Synagoge verstärkt. Auch in anderen deutschen Städten wurde der Schutz von Synagogen verstärkt. Der Bahnhof von Halle war wegen polizeilicher Ermittlungen gesperrt. Es kam zu Verspätungen. Die Bundespolizei verstärkte ihre Kontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen in Mitteldeutschland. Das gelte auch für die Verkehrswege nach Polen und Tschechien, hieß es. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zeigte sich entsetzt über die Tat. „Es wurden durch sie nicht nur Menschen aus unserer Mitte gerissen, sie ist auch ein feiger Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land.“

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel besuchte nach dem versuchten Anschlag in Halle eine Synagoge in Berlin. (Bild: AFP)
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel besuchte nach dem versuchten Anschlag in Halle eine Synagoge in Berlin.

Betroffene Reaktionen weltweit
Aus dem Ausland kamen ebenfalls bestürzte Reaktionen. Das Europaparlament legte eine Schweigeminute für die Opfer ein. In Gedanken sei man bei Deutschland, der deutschen Polizei und bei der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, sagte Parlamentspräsident David Sassoli. In Österreich zeigte sich die Staatsspitze „tief betroffen“. Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka stellten ebenso wie ÖVP-Chef Sebastian Kurz klar, dass es keinen Platz für Antisemitismus geben dürfe und jüdisches Leben geschützt werden müsse.

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