Die Versorgung von Neugeborenen im Wiener AKH steht kurz vor dem Kollaps. Der Pflegenotstand auf der Neonatologie hat geradezu fahrlässige Dimensionen erreicht. Prof. Peter Husslein, Leiter der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, macht in einem Wut-Mail an die AKH-Führung und die Med Uni Wien keinen Hehl mehr aus seinem Zorn: Von Engpass ist die Rede, einer Katastrophe und einem Klima der Aggression.
„Ich appelliere an alle Angeschriebenen, diesen Zustand, der einer Universität - aber man muss das noch schärfer formulieren - eines öffentlichen Gesundheitswesens (...) nicht würdig und nicht weiter tolerierbar ist, zu beenden.“ Es ist nur einer von vielen Sätzen, die der Top-Primar wütend in seinen Computer getippt hat. Im „Krone“-Gespräch sagt er: „Der Zustand ist patientengefährdend! Es entsteht eine Todesspirale. Durch die viele Arbeit entstehen Krankenstände und dadurch noch mehr Arbeit.“
„Wir müssen Mütter wegschicken“, so Husslein weiter. „Es ist schrecklich für diese Frauen, aber auch für die Mitarbeiter. Wir sagen den Patienten dann: Es gibt bei uns keine Ressourcen, um Ihr Kind zu versorgen.“
Engpass führt zu Bettensperren
„Wir spüren den Engpass an der Neonatologie“, erklärt auch Dr. Maria Stammler-Safar. Sie ist Kreißsaalleitende Oberärztin und hat viel mit Risikoschwangerschaften zu tun. Mit Frauen, die Babys erwarten, die leider alles andere als gesund sind. Chromosomenstörungen, Fehlbildungen, 500-Gramm-Kinder. „Die Frauen kennen uns, die Umgebung, die Ärzte“, so die Expertin. Aber der Engpass führt zu Bettensperren - und das dazu, dass die Patientinnen in andere Kliniken müssen. Maria Stammler-Safar weiter: „Einen oder zwei Tage vor der Entbindung müssen wir sie in andere Kliniken transferieren, weil sie hier nicht versorgt werden können.“ Mütter sind entsetzt, weinen. Männer werden aggressiv. Oder umgekehrt.
Im ganzen AKH fehlen bereits 160 Pfleger
In Zahlen sieht der Engpass aktuell so aus: Der neonatologische Bereich besteht aus zwei Stationen mit 22 Betten. „In kürzester Zeit gingen neun Mitarbeiterinnen in den Mutterschutz. Weitere 6,5 Vollzeitäquivalente haben sich im Krankenhaus Nord beworben“, so Herwig Wetzlinger, Direktor der Teilunternehmung AKH Wien. Bei 44 Dienstposten. Die Folgen: Von den 22 Betten müssen zwischen sechs und acht Betten gesperrt werden. Und das seit Juli dieses Jahres. Im ganzen AKH fehlen im September sogar 160 Pflegekräfte!
Wir können leider niemandem garantieren, im AKH zu entbinden. Wir haben Rekrutierungs- maßnahmen für mehr Personal. Für die Neonatologie braucht es eine lange Ausbildung.
Herwig Wetzlinger
„Wir haben primär einen Pflegemangel“
„Wir reden immer von einem Ärztemangel. Aber wir haben primär einen Pflegemangel“, weiß Dr. Erhard Busek. Der ehemalige Vizekanzler ist heute einer von zwei Vorsitzenden, die zwischen Med Uni und Krankenanstaltenverbund Entscheidungen treffen.
„Und dieser Pflegemangel hat eine dramatische Größe erreicht“, so Busek. Er sieht das Versagen auch bei der Politik: Andere Länder würden im Ausland intensiv Pflegekräfte rekrutieren. Busek: „Wien macht nicht einmal richtig Werbung. Jetzt haben wir ein Problem quer durch fast alle Stationen.“
Michael Pommer, Kronen Zeitung
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