Kulturexperte Heinz Sichrovsky erzählt über das Werken und Wirken des zweiten Literaturnobelpreisträgers Österreichs. Und über den Privat- und Gartenmenschen Peter Handke.
Der albanische Außenminister ist dagegen, dass Peter Handke den Literaturnobelpreis bekommt. Aber Gent Cakaj ist in Literaturbelangen gottlob auch zu Zeiten der durchdrehenden Korrektheitsmaschine nicht einmischungsbefugt. So wenig wie 2004 die blauen Hooligans, denen zur eben erfolgten Krönung der österreichischen Weltschriftstellerin Elfriede Jelinek übelriechende Expertisen entwichen.
Wenigstens das Feuilleton hat seither etwas gelernt: 2004 fielen noch mehrere energiesparbelichtete Kulturpublizisten über Elfriede Jelinek her, sprachen ihr die Qualität ab und denunzierten sie als Quotenpreisträgerin. Dass hingegen Handkes Auszeichnung ein Coup der feinsten Art ist: Daran zweifelt heute kein Sachkundiger mehr.
Die verjüngte und erfrischte Schwedische Akademie, die seit Kurzem das Gremium von Grapschgreisen und Provinzsonderlingen ersetzt, hat das beste aller Bekenntnisse abgelegt: für große Literatur und gegen ihre Vermantschung mit Persönlichem und Politischem. „Eine krachende Ohrfeige für die politische Korrektheit“, frohlockt der deutsche Literaturkritiker Dennis Scheck. Doch auch im Fall Handkes musste ein feuilletonistisches Nachlernen stattfinden. Wobei die Herrschaften zur Läuterung viel Zeit hatten, nämlich volle zwei Jahrzehnte.
Damit befinden wir uns in den späten Neunzigerjahren, im Jugoslawien-Krieg. Handke stellte sich damals mit aller Leidenschaft hinter Serbien. Nicht etwa, um Kriegsgräuel zu rechtfertigen oder zu verharmlosen, sondern um Gerechtigkeit einzufordern: In einem Bruderkrieg, in dem serbische Tschetniks, kroatische Post-Ustascha-Nazis, bosnisch-moslemische Fundamentalisten und albanische Mafia-Clans aufeinanderkrachten, könne es nicht nur eine schuldige Partei geben. Das und nichts sonst wollte er festgehalten wissen. Die NATO-Hörigkeit der von ihm verachteten, weil selbst ernannten Qualitätsgroßpresse machte ihn erst recht zornig.
Denn Handke, einer der größten lebenden Sprachkünstler, neigt nicht dazu, sich einschüchtern zu lassen. Im Gegenteil: Seine Geduld, seine mit Spannung aufgeladene Langsamkeit beim Beschreiben - und keiner kann so beschreiben wie er - stehen in denkbar scharfem Kontrast zu dem Zorn, dessen er fähig ist.
Die Ordnung in seinem Haus ist faszinierend
Aus den Jahren der jugoslawischen Verwerfungen datiert auch unsere Bekanntschaft, die Freundschaft zu nennen ich mir nie anmaßen würde. Wir sind nach wie vor per Sie, haben einander aber am Ende mancher Gespräche auch schon umarmt. Und im August 2002 hat er in der Wiener Mariahilfer-Kirche meine ältere Tochter über das Taufbecken gehalten.
Unser erstes Interview, im Mai 1999, war einer der prägenden Termine meines Berufslebens, wenn nicht meines Lebens (Kultur-Autisten wie ich unterscheiden da nicht so). Handke hatte den Kontakt zu den Medien abgebrochen, aber vom Wochenmagazin „News“, das ich in Kulturbelangen repräsentiere, war er mit Leidenschaft verteidigt worden.
Das war ihm nicht entgangen, also saß ich an einem gut temperierten Maientag im Taxi vom Flughafen Paris-Orly in den Vorort Chaville nahe Versailles. Das Jugendstil-Haus, das Handke seit 1990 bewohnt, liegt, von der Hauptstraße nicht einsehbar, in einem geräumigen Garten, den der Besitzer selbst bepflanzt und pflegt.
Das Faszinierende hier und im Haus ist die Ordnung, die mit Pedanterie nichts gemein hat. Steine, Früchte, Schreibgeräte ruhen als hoch ästhetische Arrangements auf den Tischen, und gleich hinter dem Haus beginnen die Wälder, die der 76-jährige Handke viele Stunden lang durchwandert.
Dieses beharrliche Gehen ist das Tempo, das sein Leben und Schreiben bestimmt. Die Zettel, die ich bei meinem Eintreffen mehrfach an der Tür fand, glichen einander auffallend: „Bin noch im Wald (alternativ: beim Pilzesuchen). Gehen Sie schon hinein.“
Und wenn der Hausherr dann kommt, keine Spur von einem Dandy, mehr Proponent eines leicht vernachlässigten Freizeit-Looks: welch ein Eintreffen, welch eine Aura! Das schöne, gefurchte, aber immer junge Gesicht unter dem grauen Haarschopf hat in allen Lebens- und Furchungsphasen die interessantesten Frauen beeindruckt, früh Jeanne Moreau, später Katja Flint.
Wanderlust führte ihn zwei Jahre durch die Welt
In zweiter Ehe mit der Französin Sophie Semin verheiratet (Tochter Léocadie ist 28 Jahre), wohnt er wieder allein, steht mit seiner in Paris lebenden Frau aber in liebevollem Kontakt. Amina (* 1969), die Tochter aus der Ehe mit der Schauspielerin Libgart Schwarz, wuchs nach der Trennung der Eltern bei ihm in Salzburg auf, bis ihn 1987 die Wanderlust überfiel und er zwei Jahre lang die Welt vermaß - von Slowenien über Griechenland bis Ägypten, durch ganz Europa nach Alaska, Spanien und Frankreich, wo er 1990 das Haus in Chaville erwarb.
Unser Interview im Garten war makellos, magisch, jedes Wort an seinem Platz und keines zu viel, ich musste nur abschreiben: „Für mich ist das Antiserbentum, das als Hauptschmutzstrom gegen ein Volk auftritt, ein Schimpfwort wie Antisemit geworden. Ich bin nicht pro, ich bin mit den Serben, physisch, historisch, herzlich, gedanklich, mit den Füßen, mit den Händen. Das ist Schwerkraft, Durchlässigkeit, Blick. Ich brauche nicht mehr von der Liebe zu schwafeln. Ich bin mit ihnen.“
Vieles, so habe ich damals begriffen, hat mit der Kindheit des Peter Handke in der Kärntner Marktgemeinde Griffen zu tun. 1942 geboren, verkörperte er exemplarisch das regionale Dilemma: Der leibliche Vater war ein deutscher Wehrmachtssoldat, die Mutter Kärntner Slowenin. Ihren Selbstmord beschreibt Handke in seinem Meisterwerk „Wunschloses Unglück“ mit das Herz zerreißender Einfachheit und Klarheit. Und noch 2010 erhöhte er im Drama „Immer noch Sturm“ den slowenischen Widerstand in seiner Familie zum Weltmodell.
Klar, dass er Jugoslawien als seine eigentliche Heimat sah, obwohl es ihn schon 1961, nach dem Abschluss im katholischen Internat Tanzenberg, erst zum Studium nach Graz und dann in die lichten Höhen des Ruhms getrieben hatte. 1969 war das: Der Debüt-Roman „Die Hornissen“ hatte eingeschlagen, und auf der Tagung der Gruppe 47, in der sich Frühunsterbliche wie Günter Grass verdientermaßen feierten, las der junge Mann mit dem Kindergesicht unter der Beatles-Frisur dem literarischen Establishment die Leviten. Ein Idol intellektuellen Aufbegehrens hatte sich selbst kreiert.
Im selben Jahr brachte Claus Peymann, der später am Burgtheater historische Handke-Uraufführungen verantwortete, das hoch virtuose Wutstück „Publikumsbeschimpfung“ heraus. Dass es im Jubiläumsjahr 2020 bei den Salzburger Festspielen eine Handke-Uraufführung geben wird, die Selbstverbrennung eines Mannes im Widerstand gegen die kalte, korrumpierte Zeit betreffend: Das ist eine Nachricht, deren Gewicht jetzt ungeheuer groß wird.
Seine Gesamtausgabe umfasst 11.000 Seiten
Handke, der immer noch rastlos die Welt (zuletzt immer öfter Kärnten und Slowenien) durchwandert, ist von unvorstellbarer Disziplin und Kreativität: Seine Gesamtausgabe umfasst mehr als 11.000 Seiten. Bis 2017 (bis zum Jahr seines 75. Geburtstags) erschienen oft im Jahresrhythmus Romane, Dramen und Essay-Bände, alle mit Bleistift in Notizbüchlein geschrieben und vom Suhrkamp-Verlag sorgsam transkribiert. Dann gebot er sich selbst ein wenig Einhalt und bereitete sich offenbar auf den Lebensabend eines Klassikers vor.
Diese Absichten haben ihm die Kerle in Stockholm jetzt gründlich durchkreuzt.
Heinz Sichrovsky, Kronen Zeitung
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