Sorge in Europa wächst

Zynischer Poker um die „Hardcore-Dschihadistinnen“

Ausland
15.10.2019 19:27

Österreichische Experten warnen eindringlich davor, dass nach der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien ehemalige IS-Kämpfer - und auch deren radikalisierte Frauen - Europa wieder gefährlich werden könnten. „In den vergangenen Monaten gab es großen Druck der USA auf Europa, IS-Kämpfer zurückzunehmen und Verantwortung für sie zu übernehmen. Aber Europa hat sich taub gestellt, und das fällt uns jetzt auf den Kopf“, so der Militärexperte Brigadier Walter Feichtinger im „Kurier“. Die Publizistin und Syrien-Kennerin Petra Ramsauer sieht die Gefahr „sehr groß“, dass die Dschihadisten als „Faustpfand gegen Europa“ eingesetzt werden könnten.

Der türkische Präsident Recep Rayyip Erdogan „kann sich ja deshalb so frei bewegen, weil er Europa unter Druck hat mit der Drohung, er würde dann die Flüchtlinge schicken, wenn wir zu stark gegen ihn diplomatisch vorgehen“, so Ramsauer am Dienstag im Ö1-„Morgenjournal“. Jetzt sehe es so aus, als würden die inhaftierten Terroristen „in die Hände des syrischen Machthabers Bashar al-Assad kommen, der uns mit dieser Frage unter Druck setzen kann“. Ob er das tut, sei dahingestellt, „aber ich denke, wir haben im Sommer eine wichtige Chance verpasst, diese Terroristen zurückzuholen“.

Syrien-Kennerin Petra Ramsauer (Bild: APA/HERBERT PFARRHOFER)
Syrien-Kennerin Petra Ramsauer

Europa hat den Kopf in den Sand gesteckt
Auch Nahostexperte Thomas Schmidinger sieht die Gefahr, dass IS-Kämpfer nach Europa zurückkehren, im Steigen. „Europa hätte über ein halbes Jahr Zeit gehabt, seine Staatsbürger geordnet zurückzunehmen. Die meisten EU-Staaten haben das nicht getan und gehofft, dass die Kämpfer für immer in Syrien oder im Irak entsorgt werden. Nun werden Teile davon freikommen und unkontrolliert nach Europa zurückkehren“, warnte er im Gespräch mit „News“.

Viele IS-Frauen „hochgradig ideologisiert“
Mehr als 7000 IS-Kämpfer seien in Nordsyrien inhaftiert, sagte Schmidinger. „Dazu kommen aber noch einige Zehntausend Frauen mit Kindern, von denen durchaus auch sehr viele hochgradig ideologisiert und auch einige bis heute gefährlich sind. Einige der Frauen, insbesondere jene der IS-Moralpolizei Hisba, waren ebenfalls in schwere Verbrechen verwickelt, aber selbstverständlich nicht alle.“

Internierte Dschihadistinnen im Lager al-Hol (Bild: ASSOCIATED PRESS)
Internierte Dschihadistinnen im Lager al-Hol

„Aus Österreich sind zwei Frauen, drei Kinder und ein Mann bekannt, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen“, erklärte Schmidinger weiter. „Zusätzlich gibt es noch einige, die keine Staatsbürgerschaft haben, aber zuvor mit einem anderen Aufenthaltstitel in Österreich wohnhaft waren. Leider hat es die österreichische Regierung verabsäumt, diese zurückzuholen. Die Kurden hatten monatelang die europäischen Staaten gebeten, ihre Staatsbürger zurückzunehmen.“

Warnung vor „Hardcore-Dschihadistinnen“ im Schreckenslager al-Hol
In zwei nordsyrischen Gefängnissen, wo „sehr gefährliche“ männliche Terroristen inhaftiert sind, habe es bereits Ausbruchsversuche gegeben, so Ramsauer. „Hier könnte es mehr geben.“ In Ain Issa seien Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat entkommen. „Besonders brisant“ sei die Situation im Gefangenenlager al-Hol, wo 12.000 internationale Dschihadisten untergebracht seien - auch eine Österreicherin mit ihren Kindern. „Vergangene Nacht hat es mehrere Morde gegeben“, sagte Ramsauer. Tunesische und russische „Hardcore-Dschihadistinnen“ hätten eine Miliz gegründet, es gebe „große Besorgnis, dass diese Frauen unkontrolliert in die Freiheit kommen“.

EU hat Chance verpasst, „Stärke zu zeigen“
„Die EU hätte im Sommer ein Fenster der Möglichkeiten gehabt, hier Stärke zu zeigen“, sagte Ramsauer. „Es gab die Bitte, dass man internationale Truppen schicken möge an diese doch sehr brisante Grenze zwischen der Türkei und Syrien. Es gab vonseiten Europas hier kein wirklich klares Ja, obwohl französische und britische Soldaten schon da waren.“

Zwei Schlüsselfiguren im Poker um die europäischen IS-Kämpfer in Syrien: Erdogan (li.) und Assad (Bild: AFP PHOTO/HO/SANA - Archivbild 2011)
Zwei Schlüsselfiguren im Poker um die europäischen IS-Kämpfer in Syrien: Erdogan (li.) und Assad

US-Abzug und türkische Offensive mischen Karten neu
Nach dem Abzug der USA aus Nordsyrien hat Erdogan eine Militäroffensive gestartet. Der Einsatz zielt gegen die kurdische YPG-Miliz, die an der Grenze zur Türkei in Nordsyrien ein großes Gebiet kontrolliert. Die Kurden waren im Kampf gegen den IS ein wichtiger Verbündeter der USA. Tausende IS-Kämpfer sind in kurdischen Gefängnissen in Nordsyrien inhaftiert.

Brigadier Feichtiger am Mittwoch zu Gast bei Katia Wagner
Brigadier Feichtinger wird am Mittwochabend auch Gast bei Katia Wagner im „Brennpunkt“-Talk zum Thema „So betrifft Erdogans blutiger Alleingang Österreich“ sein. Weitere Diskutanten: „Krone“-Außenpolitikexperte Kurt Seinitz und Birol Kilic von der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich - ab 19 Uhr auf krone.at und krone.tv.

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