Psychologische Tricks

So saugen Smartphone-Apps uns in die Suchtspirale

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27.10.2019 06:01

Wer kennt es nicht: Man kramt das Handy aus der Tasche, um die Uhrzeit zu checken - und erwischt sich Minuten später dabei, immer noch durch die App zu scrollen, die beim Zeitcheck so verführerisch vom Home-Screen lachte. Besonders in Social-Media-Apps oder Spielen bleibt der Nutzer gerne einmal „picken“ - und tut damit genau das, was sich die Entwickler der meist durch Werbung finanzierten Apps erhofft haben. Dafür greifen sie tief in die psychologische Trickkiste …

Das berichtet das deutsche Computermagazin „c’t“ in seiner aktuellen Ausgabe. „Stickiness“ nenne man es im Entwicklerjargon, wenn der Nutzer in der App „picken“ bleibe. Sie sei neben „user engagement“ und „retention“ - also der Nutzungsintensität und der regelmäßigen Wiederkehr der Nutzung - eines der wichtigsten Ziele heutiger Smartphone-Apps. Und zwar vor allem jener, die sich über Werbung finanzieren und dem Nutzer deshalb möglichst viel davon zeigen wollen.

Unendliches Scrollen und der Suppen-Trick
Die Tricks, die von großen IT-Konzernen wie kleinen App-Entwicklern gleichermaßen genutzt werden, um diese möglichst lange, regelmäßige und intensive App-Nutzung zu erzeugen, sind vielfältig und zielen auf die Psyche ab. Als Beispiel wird im Artikel etwa Facebook oder Twitter genannt: Hier scrollt der User in der App unendlich nach unten, kriegt immer wieder neue Inhalte präsentiert - und wird so länger bei der Stange gehalten. Auch YouTube zeigt dem User nach diesem Muster Videos am laufenden Band.

(Bild: ©annapustynnikova - stock.adobe.com)

Das sei vergleichbar mit einem Psycho-Experiment des US-Forschers Brian Wansink. Der hatte 2005 Testpersonen Suppe aus einer Schüssel löffeln lassen - und die Schüssel bei einer Versuchsgruppe so manipuliert, dass sie sich schleichend auffüllte. Diese Testgruppe vertilgte 73 Prozent mehr Suppe als jene, deren Schüsseln nicht nachgefüllt wurden. Wer also mit unendlichem Angebot konfrontiert wird, nimmt auch mehr davon in Anspruch.

Glücksspielmethoden und das Spiel mit dem Dopamin
Ein anderer Psycho-Trick der Entwickler: Sie nutzen Glücksspielmechaniken und setzen auf das körpereigene Glückshormon Dopamin, um die User bei der Stange zu halten. Glücksspieltricks findet man beispielsweise in Social-Media-Apps, in denen der User per Knopfdruck oder indem er nach unten wischt, einen Refresh-Befehl auslöst. Der sorgt wiederum dafür, dass er neue Inhalte präsentiert kriegt - ein lustiges Foto, eine Nachricht, das Foto einer Bekanntschaft. Je unvorhersehbarer ist, was der Refresh-Befehl zutage fördert, desto eher wird er immer und immer wieder genutzt.

(Bild: flickr.com/aisforamy91)

Der passende Tierversuch dazu kommt vom Psychologen Burrhus Skinner: Er entdeckte, dass Tiere häufiger auf einen Belohnungs-Knopf drücken, wenn nicht jeder Knopfdruck Futter auswirft, sondern nur gelegentlich belohnt wird.

Facebook „nutzt Schwäche der menschlichen Psyche aus“
Auf das hirneigene Belohnungssystem mit dem Glückshormon Dopamin setzen Apps und soziale Netze, wenn sie „Gefällt mir“-Angaben zählen. Auch hier geht es vor allem um die Erhöhung der Verweilzeit im sozialen Netzwerk - und darum, den Nutzer zum Posten zu bewegen. Um dieses Ziel zu erreichen, verpasse Facebook seinen Mitgliedern ab und an einen Dopamin-Kick, nämlich wenn ein anderer Nutzer auf die Posts reagiert, erklärte schon vor gut zwei Jahren Facebook-Mitgründer Sean Parker. Das motiviere die Nutzer, ihrerseits mehr Inhalte und Reaktionen zu produzieren. Dieser Mechanismus sei ein Kreislauf, eine Schleife der sozialen Bestätigung. Das sei genau die Art von Dingen, die sich ein Hacker wie er selbst ausdenken würde, „da es eine Schwäche in der menschlichen Psyche ausnutzt“.

Symbolbild (Bild: The Pokemon Company)
Symbolbild

In eine ähnliche Kerbe schlagen digitale „Abzeichen“, wie man sie in Computerspielen, aber auch in Smartphone-Apps findet. Ein Beispiel hierfür sei laut „c’t“ die bei jungen Menschen beliebte App Snapchat, in der sie sich gegenseitig Bildchen schicken, die sich nach einer Weile selbst löschen. Hier werden eifrige User, die einem Kontakt täglich Fotos schicken, mit einem kleinen Feuer-Symbol im Chatfenster belohnt. Wird einen Tag lang kein Bild durchgeschickt, verschwindet das Abzeichen. Beim Smartphone-Spiel „Pokémon Go“ gibt es eine ähnliche Funktionalität: User können sich Geschenke machen, die beide im Spiel voranbringen. Weil der Schenkende vom Beschenkten erwartet, es ihm zu vergelten, entsteht bei manchen schnell der soziale Zwang zum Spielen.

Benachrichtigungs-Flut kann süchtig machen
Auch die stete Flut der Benachrichtigungen am Smartphone trägt dazu bei, dass manche Menschen fast schon süchtig nach dem Gerät werden. Die Flut mehr oder minder wichtiger Benachrichtigungen sorgt besonders bei jungen Menschen dafür, dass diese schon nach relativ kurzer Zeit, in der sie nicht auf ihr Handy geschaut haben, das Gefühl bekommen, etwas verpasst zu haben. „Fear of Missing out“ nennen Forscher dieses Phänomen, das bei Handyentzug sogar mit steigendem Puls und Blutdruck einhergehen kann. Festgestellt wurde das vom Institut für Jugendkulturforschung auch bei heimischen Jugendlichen.

(Bild: stock.adobe.com)

Vermeintliche Gratis-Spiele nötigen zum Echtgeld-Kauf
Psychologische Tricks wenden App-Entwickler gerne auch an, um User vermeintlicher Gratis-Spiele zu Echtgeld-Zahlungen zu animieren. Das funktioniere laut „c’t“ in aller Regel so, dass die Spiele anfangs viele Erfolgserlebnisse liefern, um den Spieler zu binden - und dann plötzlich virtuelle Güter anbieten, ohne die man nicht oder nur quälend langsam vorankommt. Eine Masche, die bei so gut wie allen erfolgreichen Smartphone-Spielen zu beobachten ist.

Smartphone-Apps sollen Smartphone-Sucht bekämpfen
Die Suchtspirale am Smartphone zieht die Nutzer oft unbewusst in ihren Bann. Langsam entsteht aber - auch bei jungen Nutzern - eine Gegenbewegung, hierzulande fühlt sich beispielsweise mittlerweile die Mehrheit der Jugendlichen genervt, wenn ihre Freunde bei persönlichen Treffen dauernd in ihre Handys starrt. Manch einer bemüht sich deshalb, bewusst weniger ins Smartphone zu schauen. Und die Hersteller bieten hier seit einigen Monaten sogar Unterstützung in Form von Anwendungen, die messen, wie viel Zeit mit Smartphone und Apps verbracht wird. Auch Zeitlimits lassen sich am Smartphone mittlerweile einstellen, um die App-Nutzung zu begrenzen.

Als User sollte man sich dabei allerdings die Frage stellen, ob man zu intensive Smartphone-Nutzung tatsächlich mit Zeitmess-Apps bekämpfen sollte - oder ob es nicht die konsequentere Lösung wäre, das Handy ohne App-Hilfe einfach mal für ein paar Stunden wegzulegen.

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