Familie eingesperrt
„Krone“ vor Ort: „Tränen liefen aus seinen Augen“
Neun Jahre lang soll eine Familie völlig isoliert auf einem Hof in den Niederlanden gehaust haben. Die Polizei nahm den 58-jährigen Mieter des Hofs, den Österreicher Josef B., wegen mutmaßlicher Entführung fest. Die Dorfbewohner sind seit Bekanntwerden des Falls schockiert - die „Krone“ hat sich auf Spurensuche begeben (siehe Video oben).
Ruinerwold im Nordosten der Niederlande: 4000 Einwohner, im Ortskern eine Kirche, vier Gasthäuser, ein Supermarkt, ein paar Geschäfte und Handwerksbetriebe. Im Ortskern: hübsche Häuser, gepflegte Gärten. Rundum Wiesen, Wälder, Felder; weit voneinander entfernt stehende Bauernhäuser.
„Wie ein Chamäleon“
In einem, ganz am Ende des Dorfs, hat Josef B. seit etwa 15 Jahren gelebt. „Wie ein Chamäleon“, sagen die Menschen aus Ruinerwold jetzt. Der Mann, den sie immer nur „den Österreicher“ nannten, sie kannten ihn in Wahrheit nicht. Nie habe er Lokale besucht, nie an Festen der Gemeinde teilgenommen; nie das Gespräch gesucht, mit niemandem.
„Sahen ihn mit Wagen zu seinem Grundstück fahren“
„Wir sahen ihn manchmal mit seinem Wagen von und zu seinem Grundstück fahren“, erzählen Jelle und Annemarie Kleistra, ein Ehepaar, das in der Nähe wohnt. „Aus der Ferne konnten wir beobachten, wie er auf seinem Anwesen arbeitete.“ Obst und Gemüse, das wissen die Ermittler jetzt, hat er dort angebaut; er besaß, Schafe, Hühner, Gänse, eine Ziege und eine Kuh. „Wir schätzten ihn als ein wenig versponnen ein“, so die Kleistras, „als einen harmlosen Eigenbrötler, der sich in der Einsamkeit eine eigene Welt zurechtgezimmert hatte.“
Wie absurd, wie grauenhaft diese Welt war, konnten seine Nachbarn nicht ahnen. Denn sie ahnten nichts von seinen Gefangenen - einem 62-jährigen nach einem Herzinfarkt und einem Schlaganfall gelähmten Mann und seinen sechs Kindern, 18 bis 25 Jahre alt; ein Mädchen, fünf junge Männer.
Jan konnte sich befreien und flüchtete in Gasthaus
Der Ältesten von ihnen hat sich am vergangenen Sonntag befreit, Jan ist sein Name. Bereits seit Wochen war er, stets nachts, aus dem Zimmer im Untergeschoß des Hauses, wo er mit seinen Geschwistern unter grauenhaften Umständen hauste, geschlichen; laufend wurde der Radius, in dem er sich bewegte, weiter.
Wirt über Jan: „Tränen liefen aus seinen Augen“
Am 5. Oktober wagte er es, ein Pub zu besuchen. „Er wirkte verwahrlost; trug alte, viel zu enge Kleidung; trank schnell fünf Gläser Bier, zahlte, und ging dann schnell“, erzählt der Chris Westerbeek, der Besitzer des Lokals. Und am vergangenen Sonntag sei der „seltsame Gast“ abermals an seiner Theke gesessen: „Tränen liefen aus seinen Augen, ich fragte ihn, warum er so traurig sei ...“ Und Jan begann stockend zu erzählen, über seine entsetzlichen Lebensumstände; darüber, dass er, sein Vater, seine Brüder und seine Schwester einem Verrückten ausgeliefert seien und er „so nicht weitermachen könne“.
Familie dürfte Josef B. etwa 2006 kennengelernt haben
Die Familie, das haben erste Recherchen der Fahnder ergeben, dürfte Josef B. etwa 2006 kennengelernt haben, die Mutter war da bereits seit zwei Jahren tot, der Vater in einem seelisch schlechten Zustand - und überfordert mit der Erziehung seiner Kinder. Josef B. soll dem verzweifelten Mann Trost gespendet und ihn letztlich nach und nach in seinen Bann gezogen haben, mit seinen abstrusen Ideen davon, die Erde würde bald untergehen - und dass nur jene Menschen in einem besseren Dasein weiter existieren, die sich in Verzicht üben.
Familie zog 2010 auf den Hof
Im Sommer 2010 zog die Familie auf den Hof, seitdem wurde sie von keinem ihrer früheren Bekannten mehr gesehen. Die Kinder besuchten keine Schule mehr, verließen nur selten ihren Raum, um im Garten Obst oder Gemüse zu ernten. „Nachdem Jan mir all diese schrecklichen Dinge erzählt hatte“, so Westerbeek, „alarmierte ich die Polizei.“
Josef B. verweigert jede Aussage
„Der Österreicher“ ist mittlerweile in Haft, er verweigert jede Aussage. Seine Opfer sind in einer psychologischen Betreuungseinrichtung. Das Mädchen, ihre fünf Brüder, sie befinden sich im geistigen Entwicklungszustand von Achtjährigen. Ihr Vater ist unfähig, zu sprechen. „Wir wissen noch nicht“, erklären die mit dem Fall beschäftigten Kriminalbeamten, „welche Dimensionen das Verbrechen hat, das an der Familie begangen wurde.“
Martina Prewein, Kronen Zeitung
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