Tragischer Todesfall in einem Amazon-Lager im US-Bundesstaat Ohio: Ein 48-Jähriger erlitt während seiner Schicht einen Herzinfarkt und wurde offenbar erst nach 20 Minuten entdeckt und erstversorgt. Nach der Einlieferung des Mannes ins Krankenhaus konnten die Ärzte nur noch seinen Tod feststellen. Nun erhebt sein Bruder schwere Vorwürfe.
Edward Foister kann noch immer nicht glauben, was seinem jüngeren Bruder Bill, einem Lagerarbeiter im Amazon-Versandzentrum in Etna, Ohio, im September wiederfahren ist. Er hatte einen Herzinfarkt und sei 20 Minuten lang am Boden gelegen, bevor er endlich entdeckt und erstversorgt wurde. Eine Woche zuvor hatte er sich noch beim Betriebsarzt gemeldet und über Brustschmerzen geklagt.
Foister fragt: „Wie kann man einen am Boden liegenden Zwei-Meter-Mann nicht bemerken und ihm 20 Minuten lang nicht helfen? Ein paar Tage davor hat er das falsche Produkt in die falsche Box gelegt und binnen zwei Minuten stand das Management da und wollte mit ihm reden, weil es ihn auf der Überwachungskamera gesehen hat.“ Er fügt im Gespräch mit dem „Guardian“ hinzu, dass der Arbeitgeber seit Tagen von den gesundheitlichen Problemen seines Bruders gewusst haben musste.
„Mein Bruder hätte nicht sterben müssen“
Foister: „Mein Bruder hätte nicht sterben müssen. Er ist zum Betriebsarzt gegangen und hat über Schmerzen in der Brust geklagt.“ Dort habe man Blutdruck gemessen, attestiert, er sei dehydriert, ihm zwei Getränke verabreicht - und ihn zurück an die Arbeit geschickt. „Man hätte ihn ins Krankenhaus und nicht zurück an die Arbeit schicken sollen, damit er Dinge wie Zahnpasta in eine Box gibt, damit sie jemand binnen einer Stunde kriegt.“
Foisters Vorwürfe werden von Kollegen des Verstorbenen untermauert. Foister gibt an, von einem Mitarbeiter aus der Personalabteilung im Krankenhaus darüber informiert worden zu sein, dass sein Bruder erst nach 20 Minuten von einem Kollegen entdeckt wurde, der durch das Warenhaus patrouilliert, um zum Beispiel stecken gebliebene Roboter zu warten. Ein weiterer Kollege, der anonym bleiben will, sagt: „Es ist echt unglaublich, dass Bill da 20 Minuten gelegen ist und es niemand in der Nähe bemerkt hat, bevor der Kollege mit dem Funkgerät vorbeikam.“
„Wurden gezwungen, zurück an die Arbeit zu gehen“
Als man Notiz von dem Zwischenfall nahm, wurde Bill Foister erstversorgt. Kollegen versuchten, ihn mit einer Herzmassage und einem Defibrillator zurück ins Leben zu holen. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, wo man seinem Bruder nur noch den Tod des Arbeiters mitteilen konnte. An seinem Arbeitsplatz habe man die Kollegen unterdessen zurück an die Arbeit geschickt, erinnert sich ein Kollege. „Nach dem Zwischenfall wurde jeder gezwungen, wieder an die Arbeit zu gehen. Keine Zeit, sich zu entspannen: Erst sieht man einem Mann beim Sterben zu und dann sagen sie dir, alle müssen zurück an die Arbeit und so tun, als wäre nichts passiert.“
Online-Händler selbst sieht keine Verfehlungen
Amazon selbst ist sich keines Fehlverhaltens bewusst. Der Mann sei „binnen Minuten“ behandelt worden, beteuert der Online-Händler. In einem offiziellen Statement heißt es, „mehrere ausgebildete Kollegen reagierten schnell und wandten eine Herzmassage und einen Defibrillator an, bevor binnen Minuten die Rettungskräfte eintrafen und übernahmen. Der Mann wurde zur Behandlung ins Spital gebracht, wo er später für tot erklärt wurde.“ Man bemühe sich als Unternehmen, einen sicheren Arbeitsplatz für seine 250.000 Mitarbeiter in den USA zu bieten.
Nicht der erste Zwischenfall in Amazon-Lager
Es ist allerdings nicht der erste Bericht über solche Zwischenfälle. Im März sei laut „Guardian“ schon einmal ein Arbeiter in Etna kollabiert: Der Manager, der den Notruf gewählt hat, soll den Kollegen damals ebenfalls befohlen haben, weiterzuarbeiten. Insgesamt habe es im ersten Jahresviertel 2019 28 Notrufe aus dem Amazon-Lager mit 3700 Mitarbeitern in Ohio gegeben. Und auch aus anderen Amazon-Lagern hört man, dass der wirtschaftliche Erfolg dem Unternehmen wichtiger sei als die Gesundheit der Mitarbeiter.
Streng reglementierte WC-Pausen, ein Verbot persönlicher Gegenstände, extreme Arbeitsbelastung, Kündigung schwangerer Mitarbeiterinnen: In den vergangenen Jahren sind - nicht nur in den USA - einige Missstände aufgedeckt worden, die dazu geführt haben, dass Amazon bei der US-NGO National Council for Occupational Safety and Health mittlerweile auf der „Dirty-Dozen-List“, einer Liste besonders schlechter Arbeitgeber, gelandet ist.
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