Wie schlimm ist der Pflegenotstand in Wien? Wir haben unsere Leser nach ihren Erfahrungen gefragt - und bekommen täglich viele Mails und Briefe zum Thema. Die Verfasser der Briefe arbeiten in Pflegehäusern, haben dort Angehörige oder sind ehemalige Mitarbeiter. Sie berichten über Probleme bei der Hygiene bis zu Engpässen in der Nacht. Eine Pflegerin gibt zu: „Die Arbeit macht keinen Spaß mehr.“ Sie denkt darüber nach, den Job zu wechseln. Hier finden Sie vier Briefe von Betroffenen in voller Länge.
Wir konnten Ihre Mutter nicht duschen, wir sind unterbesetzt.
Pfleger im Helmut-Zilk-Pflegehaus zu "Krone"-Leserin S. L.
„Meine Mutter befindet sich seit Februar 2019 im Helmut-Zilk-Pflegehaus in Liesing. Die Entscheidung, dass dieser Schritt notwendig ist, war für alle nicht leicht. Ich bin berufstätig, arbeite 40 Stunden pro Woche und musste neben den Hauskrankenpflegern täglich nach der Arbeit zu meiner Mutter.
Ich besuche meine Mutter zwischen drei- und viermal die Woche und höre fast jedes Mal: ,Wir konnten Ihre Mutter nicht duschen, wir sind unterbesetzt.‘ Meine Mutter ist es gewohnt, täglich zu duschen, dass dies nun nicht möglich ist, verstehe ich. Dass sie aber zwei Wochen auf eine Dusche warten muss, ist unmöglich! Deshalb übernehme ich das.
Als meine Mutter längere Zeit unter einer Harnwegsinfektion litt und deshalb oft die Toilette aufsuchen musste, war sie leider sehr oft zu langsam und hat sich eingenässt. Ich habe persönlich darum gebeten, Hygieneeinlagen einzulegen (sie kann es leider nicht mehr alleine) - es hat nichts genützt, es wurde vergessen. Daraufhin habe ich mittels Zettel darum gebeten. Da waren dann die Pfleger sauer, weil ,das schaut ja so aus, als wären wir zu blöd dafür‘.
Es gibt definitiv eine Unterbesetzung im Pflegebereich, und ich kann es nicht verstehen und nachvollziehen, dass bei Menschen derartige Einsparungen gemacht werden. Denkt denn keiner daran, dass er in einigen Jahren selbst davon betroffen sein könnte?“
„Krone“-Leserin S. L.
Die Arbeit macht keinen Spaß mehr.
Eine anonyme Pflegekraft
„Ich hab schon mehrfach über mangelndes Pflegepersonal in Krankenhäusern und Pflegeheimen gehört. Ich bin seit mehr als sieben Jahren in der Hauskrankenpflege tätig und muss sagen, dass es erschütternd ist, wie sich die Situation auch hier in den letzten Jahren schleichend verändert hat. Es gab wirklich Zeiten, da hatte man für die Patienten noch genügend Zeit und auch selbst genug Freizeit, wovon man jetzt seit etwa 1,5 Jahren nur mehr träumen kann.
Viele Kolleginnen im Außendienst sowie auch im Innendienst (Zentralstützpunkt) sind aus dubiosen Gründen gekündigt worden (Einsparungsmaßnahnen) und viele haben aufgrund des Drucks selbst gekündigt. Die Stimmung unter den Kollegen kann man sich ausmalen, und es überträgt sich natürlich auch auf die Patienten, die eine Menge Geld dafür bezahlen, aber die Qualität ist sehr mangelhaft. Es ist schlimm genug für mich, mit ansehen zu müssen, wie manche Patienten zu Hause leben, und dann ist man selbst ständig unter Druck. Diese Arbeit macht keinen Spaß mehr, und auch ich werde mich bald, sollte sich an der Situation, den Arbeitszeiten und dem Gehalt nichts ändern, beruflich umorientieren.“
Pflegekraft (will anonym bleiben)
Ich habe alle Funktionen hingeschmissen.
Eine diplomierte Krankenschwester
„Ich war fast 20 Jahre gewerkschaftlich für freiberufliche DGKP (Diplomierte Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, Anm.) zuständig, vorher Schülervertreterin in der Krankenpflegeschule, bis ich im Jänner aus dem ÖGB ausgetreten bin und alle Funktionen hingeschmissen habe.
Seit vielen Jahren vermittle ich Pflege und Betreuung und habe selbst in den meisten Häusern in Wien freiberuflich gearbeitet. Ich kann Ihnen jetzt nur sagen, dass die Besetzung drei Pfleger für 56 Patienten, wie von der ,Krone‘ berichtet, in der Nacht LUXUS ist. In anderen Häusern habe ich mir ausgerechnet, dass pro Patient auf einen zwölfstündigen Nachtdienst acht Pflegeminuten kommen - inklusive Dokumentation, wenn man die ganze Nacht durcharbeitet. In Niederösterreich ist im Regelfall eine Pflegeperson für bis zu 40 Patienten alleine im Nachtdienst.
Ein Problem ist es, wenn eine DGKP und eine Pflegeassistenz in der Nacht für 105 Patienten zuständig sind. Ein Problem ist es, wenn Fehlposten aus budgetären Gründen nicht nachbesetzt werden und dadurch chronischer Personalmangel auf den Stationen herrscht. Ein Problem ist es, wenn ein Patient im Spital liegen bleibt, weil die Versorgung zu Hause nicht gewährleistet werden kann und keine Pflegeheimbetten frei sind. Was den Steuerzahler dann statt 3000 Euro im Monat 30.000 Euro kostet.“
Diplomkrankenschwester (Name der Redaktion bekannt)
Ein Arzt für 320 Patienten verantwortlich.
„Krone"-Leser N. N.
„Dass in der Nacht drei Pflegepersonen für ca. 56 Patienten verantwortlich sind, ist nicht nur im Haus Donaustadt, sondern auch in dem Haus, in dem ich beschäftigt bin, die Norm. Allerdings möchte ich auch darauf hinweisen, dass in vielen Häusern nur ein Arzt ab 18 Uhr (bzw. ab 13h) für bis zu 320 Patienten verantwortlich ist, da aus Einsparungsgründen vor etwa zwei Jahren der zweite ärztliche Nachtdienst gestrichen wurde.
Das heißt, dass für mindestens 14 Stunden ein einziger Arzt nicht nur für alle Notfälle, akuten Erkrankungen und Beschwerden und sonstigen medizinischen Probleme (wie häufige Stürze, randalierende, aggressive, schwer verwirrte oder in anderer Weise psychisch beeinträchtigte Patienten) von 320 Menschen verantwortlich ist - sondern sich nebenbei auch noch der Aufnahme von akut eingewiesenen Patienten, die daheim nicht mehr versorgt werden können, widmen muss. Dass sowohl aufseiten der Pflege als auch im ärztlichen Bereich der Personalmangel immer drastischer wird, ist eine Tatsache.“
„Krone“-Leser N. N.
Sie haben aktuelle Infos zum Thema Pflegenotstand? E-Mails bitte an: pflege@kronenzeitung.at oder per Post an: Kronen Zeitung, Wien-Redaktion, Muthgasse 2, 1190 Wien.
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