Der Jaguar I-Pace gehört schon in seiner Straßen-Version zu den sportlichen Vertretern der Gattung Elektro-SUV. Nicht nur wegen seiner 400 PS und 700 Nm, sondern vor allem wegen seines relativ geringen Gewichts, der flach bauenden Karosserie und der Fahrwerksauslegung. Trotzdem lag es nicht gerade auf der Hand, eine eigene Rennserie für das World Car of the Year 2019 einzuführen. Doch es funktioniert. Am ersten Testtag für die zweite Saison hatten wir nun die Gelegenheit, mit der Rennversion über die Strecke zu heizen.
In der Boxengasse des Bedford Autodrome herrscht eine fast gespenstische Stille, obwohl alle zehn Teams gerade ihre Boliden auf dem Track testen. Normalerweise könnte man sich hier nicht ohne Ohrstöpsel aufhalten, wenn man nicht sein Gehör riskieren möchte. Aber die Elektro-Rennautos geben ja kein Motorgeräusch von sich, daher auch keinen ohrenbetäubenden Lärm.
Und genau das ist auch der gravierende Unterschied im Fahrzeug: Man kann sich praktisch nicht akustisch orientieren, kann Geschwindigkeit also kaum hören, sondern nur sehen. Wer in die Rennserien einsteigt, braucht ein wenig, bis er das kompensiert hat. „Eine ganz neue Herausforderung, sagt der saudische Startupper Mashhur Bel Hejaila, einer der Neulinge.
Extrem gestrippt, aber nicht sehr leicht
Die Renn-I-Paces sind nah dran an den Serienfahrzeugen, auch wenn sie nicht so aussehen. Die Aerodynamik-Teile samt verstellbarem Heckflügel sind auffällig. Motoren und Batterie werden für den Renneinsatz nicht verändert. Natürlich ist alles rausgeflogen, was man nicht braucht: Sitze, die ganze Innenausstattung, elektrisch ausfahrbare Türgriffe usw., es zählt jedes Gramm. Einige Karosserieteile wurden durch solche aus Verbundwerkstoffen ersetzt. Dass der eTrophy-Racer dennoch nicht einmal 100 Kilogramm leichter ist als das Serienauto, liegt an zusätzlicher Ausstattung wie Überrollkäfig und Feuerlöschsystem. 2050 kg bringt er ohne Fahrer auf die Waage (statt 2133 kg). Mit 600 kg am schwersten ist die 90-kWh-Batterie, die von einem speziellen Carbon-Unterboden geschützt wird.
Kletterpartie zu Beginn
Mit Helm und Rennanzug klettere ich durch Türausschnitt und Überrollbügel, zwänge mich in den Sabelt-Rennschalensitz, lasse mich per Sechspunktgurt festschnallen und stecke das Lenkrad auf. Was im Fußbereich wie ein Kupplungspedal aussieht, ist nur eine Fußstütze. Daneben ganz normal Bremse und Gas (bzw. Strom). Mit einem Druck auf den Startknopf (stammt aus der Serie) springt das Mäusekino an, Fuß auf die Bremse, ein Druck auf „D“, schon kann es losgehen.
Vollgas im Jaguar I-Pace eTrophy - so fühlt es sich an
Fahrwerk und Bremsen sind logischerweise nicht serienmäßig, und das merkt man sofort. Der I-Pace lenkt auf den Punkt ein, nicht zuletzt, weil die Gummipuffer in der Radaufhängung durch solide Kugeln ersetzt wurden. Die AP-Racing-Bremsen sind Schraubstöcke, dank spezieller Beläge jedoch so feinfühlig, dass man näher an den ABS-Regelbereich heranbremsen kann. Mächtig, wie das bremst, aber vor der Kurve ist das Gewicht ein echter Faktor, den man erst einmal zusammenbremsen muss, sonst geht‘s ins Untersteuern.
Bremsen ist auf jeden Fall beeindruckender als zu beschleunigen, auch hier spüre ich die 2050 kg plus mein Gewicht plus das meines Beifahrers, und für das große Drama fehlt der Verbrennungsmotor.
In 4,3 Sekunden soll der Rennwagen Tempo 100 schaffen (Serie: 4,8 Sekunden). Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 205 km/h, sie wird aber in keinem Rennen erreicht, weil die Geraden auf den Stadtkursen im Vorprogramm der Formel E nicht lang genug sind. Schneller als 165 km/h ist man auch mit dem Messer zwischen den Zähnen nie unterwegs.
In Kurven ist vom Gewicht wenig zu spüren, unterstützt durch den tiefen Schwerpunkt und das Sportfahrwerk bauen die Michelin Pilot Sport in der Dimension 265/35 ZR 22 immensen Grip auf. Sie werden übrigens bei jedem Wetter gefahren, es wird nicht zwischen Regen- und Trockenreifen unterschieden.
Attack Mode: 480 statt 400 PS
Ich bin allein auf der Strecke. In einem Rennen wäre ich von meinen Konkurrenten regelrecht eingezwängt. Alle Autos sind technisch so identisch, dass sie nach den üblichen 25 Minuten plus eine Runde im Zehntelsekundenabstand ins Ziel kommen. Um etwas mehr Spannung reinzubringen, wurde für die neue Saison der “Attack Mode„ eingeführt. Jeder Fahrer kann sofort zweimal pro Rennen für bis zu zwei Minuten einen zwanzigprozentigen Extra-Schub abrufen. Dazu muss er etwas abseits der Ideallinie eine imaginäre Schleuse passieren, welche den Power-Button scharfschaltet.
Mit 480 PS geht natürlich etwas mehr weiter, in der nächsten Kurve bremse ich folglich gleich einmal zu spät dran, weil ich am Bremspunkt von vorhin schneller bin als zuvor.
Im Unterschied zum Serienauto kann man hier sehr viel einstellen. So gibt es vier verschiedene Optionen für die Drehmomentverteilung des Allradantriebs, der Fahrer kann die Bremsbalance um 15 Prozent in beide Richtungen variieren und auch das Bosch-Race-ABS ist variabel. Ebenfalls eingreifen kann der Fahrer in die Rekuperation, also wie stark das Auto abbremst, wenn er vom Gas geht (im Qualifying immer deaktiviert, im Rennen immer aktiviert). Der eTrophy-I-Pace kann fast mit der gleichen Leistung rekuperieren, wie er beschleunigt.
Gut, dass es draußen kühl ist, den an einem heißen Tag wird es heiß im Auto. Damit die Batterien beim vollen Einsatz nicht überhitzen, wurde die Innenraum-Klimatisierung umgeleitet, um sie zusätzlich zu kühlen. Sind sie leer gefahren, dauert es an den 50-kW-Ladestationen in der Boxengasse (der Strom stammt aus Biodiesel-Aggregaten) 1:45 Stunden, um sie von 15 auf 100 Prozent aufzuladen.
Wehe, wenn das rote Licht leuchtet!
Nach meinen Testrunden ziehe ich das Lenkrad ab, löse den Zentralverschluss des Sicherheitsgurtes - und schaue auf das Licht vorne unter der Scheibe. Leuchtet es rot, kann das Auto unter Strom stehen, Kontakt mit den 400 Volt wäre tödlich. In dem Fall müsste ich auf Hilfe warten, wenn möglich. Oder, wenn ich zum Beispiel wegen Feuer wirklich schnell raus muss, so aussteigen, dass ich mit beiden Füßen gleichzeitig aus dem Wagen springe, um nicht den Stromkreis zu schließen (blau gäbe es auch noch, dann wurden zu hohe g-Kräfte gemessen und ich müsste ins Medical Center). Jetzt leuchtet es grün, ich kann also ganz normal rausklettern.
Theoretisch kann jeder mitfahren
Wer zahlt, fährt mit, heißt es bei der Jaguar I-Pace eTrophy. Dazu muss man nur 200.000 britische Pfund plus Steuern für das Auto zahlen, dazu 450.000 Pfund als Antrittsgage für die Saison, dazu 28.000 Pfund für ein Jahresservice, macht 678.000 Pfund (knapp 786.000 Euro) plus Steuern. Dann wird für alles gesorgt, das Auto steht am Rennwochenende bereit, samt technischem Support, Datenauswertung und der kompletten Logistik. Reifen sind auch dabei (ein Satz pro Rennwochenende). Schäden gehen natürlich auf eigene Rechnung. Zehn Rennen, zehn Teams, 20 Autos, 20 Fahrer. Das erste Rennen der Saison steigt am 22. November in Ad Diriyah/Saudi Arabien, das letzte am 26. Juli 2020 in London.
Und warum das Ganze?
Marketing natürlich. Außerdem lernt der Hersteller viel für die Serie, sagt eTrophy-Chef-Entwicklungsingenieur Jack Lambert: “Wir haben ein riesiges Datenpaket aus der ersten Saison, die Erkenntnisse daraus werden wir bald in der Serie wiederfinden."
Apropos: Für den Preis eines eTrophy-Jaguars bekommt man ziemlich genau drei serienmäßige I-Pace. Viel langsamer sind die nicht - aber komfortabler ausgestattet.
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