Doch nicht Afrika:

Aufrechter Menschengang entwickelte sich in Europa

Wissenschaft
06.11.2019 19:54

Diese Funde dürften wohl alle bisherigen Annahmen rund um die Entwicklung des Menschen für null und nichtig erklären. Gingen Forscher bislang davon aus, dass sich der aufrechte Gang des heutigen Menschen in Afrika entwickelt hatte, lässt ein nun neu entdeckter Skelettfund gänzlich anderes vermuten. So konnte sich dieser Menschenaffe bereits vor knapp zwölf Millionen Jahren auf zwei Beinen aufrecht fortbewegen und wurde in Europa gefunden!

Das wäre mehrere Millionen Jahre früher als Wissenschaftler bisher zumeist angenommen hatten. Die Forscher rund um Madelaine Böhme von der Universität Tübingen und des Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment haben ihre Erkenntnisse im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht.

„Erschüttert die Grundfeste der Paläoanthropologie“
„Das ist eine Sternstunde der Paläoanthropologie und ein Paradigmenwechsel“, sagte Böhme. Die Funde stellten die bisherige Sichtweise auf die Evolution der großen Menschenaffen und des Menschen grundlegend infrage. „Dass sich der Prozess des aufrechten Gangs in Europa vollzog, erschüttert die Grundfeste der Paläoanthropologie“, sagte Böhme. Sie hält es für „nahezu ausgeschlossen“, dass in Afrika noch ältere aufrecht gehende Menschenaffenformen existierten.

Prof. Madelaine Böhme (Bild: Uni Tübingen/Christoph Jäckle)
Prof. Madelaine Böhme

„Danuvius guggenmosi“ lebte vor 11,62 Millionen Jahren
Das Team hatte zwischen 2015 und 2018 in einem Bachlauf der Tongrube „Hammerschmiede“ im Unterallgäu die versteinerten Fossilien einer bisher unbekannten Primatenart entdeckt. Der sogenannte Danuvius guggenmosi habe vor 11,62 Millionen Jahren gelebt und sich wahrscheinlich sowohl auf zwei Beinen als auch kletternd fortbewegt. „Bislang war der aufrechte Gang ein ausschließliches Merkmal von Menschen. Aber Danuvius war ein Menschenaffe“, sagte Böhme. Die bisher ältesten Belege für den aufrechten Gang sind rund sechs Millionen Jahre alt und stammen von der Insel Kreta und aus Kenia.

37 Einzelfunde in Tongrube entdeckt
Aus der Tongrube im Ostallgäu bargen die Paläontologen 37 Einzelfunde. Darunter waren vollständig erhaltene Arm- und Beinknochen, Wirbel, Finger- und Zehenknochen - insgesamt 15 Prozent eines Skeletts. „Damit ließ sich rekonstruieren, wie sich Danuvius fortbewegte“, sagte Böhme. „Zu unserem Erstaunen ähnelten einige Knochen mehr dem Menschen als dem Menschenaffen.“ 
So habe Danuvius seinen Rumpf durch eine S-förmige Wirbelsäule aufrecht halten können, während Menschenaffen lediglich eine einfach gebogene Wirbelsäule besitzen. „Danuvius kombinierte die von den hinteren Gliedmaßen dominierte Zweibeinigkeit mit dem von den vorderen Gliedmaßen dominierten Klettern“, sagte Mitautor David Begun von der University of Toronto. 

(Bild: Uni Tübingen/Christoph Jäckle)
(Bild: Uni Tübingen/Christoph Jäckle)

Nach Einschätzung der Forscher war der „neue Vorfahr des Menschen“ etwa einen Meter groß. Die Weibchen, von denen ebenfalls Teile eines Exemplars in der Tongrube gefunden wurden, dürften etwa 18 Kilogramm gewogen haben, das gefundene Männchen 31 Kilogramm.

Beiname „Udo“ - benannt nach Udo Lindenberg
Böhme zufolge ernährte sich Danuvius eher von härteren Pflanzenteilen als von weichen Blättern. In der Gegend um das heutige Kaufbeuren gab es Auenwälder und viele Niederschläge, mit etwa 20 Grad war die durchschnittliche Jahrestemperatur wärmer als heute. 
Das männliche Fossil hat das Forscherteam auf den Beinamen „Udo“ getauft - nach Sänger Udo Lindenberg. Den Unterkiefer des Primaten entdeckten die Wissenschafter am 17. Mai 2016 - Udo Lindenbergs 70. Geburtstag. „Im Radio sind nur seine Songs gelaufen“, erinnerte sich Böhme. 

Weitere Funden stützen Annahme
Nach Einschätzung der Paläontologin dürften weitere Funde die Erkenntnisse aus dem Danuvius-Fund stützen. Von einem Weibchen wurden bereits Zähne, ein Finger und ein kompletter Oberschenkel ausgegraben. Auch von einem jungen Exemplar liegen gut erhaltene Reste vor. Außerdem erwartet die Tübinger Paläontologin weitere erfolgreiche Ausgrabungen in dem Bachbett der Tongrube. „Das muss man sich vorstellen wie ein Puzzle, in das immer mehr Teile eingefügt werden.“

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