Im Grazer Straflandesgericht hat am Freitag ein Prozess gegen elf mutmaßliche Dschihadisten begonnen. Allen Beschuldigten wurden die Verbrechen der terroristischen Vereinigung, der kriminellen Organisation und der staatsfeindlichen Verbindung vorgeworfen. Der Staatsanwalt prangerte in seinem Plädoyer eine „falsche Toleranzpolitik“ im Hinblick auf die radikalislamischen Glaubensvereine an.
Die Anklageschrift listete 13 Personen auf, zum Prozess erschienen nur elf. Der Hauptangeklagte, ein Prediger, hatte keine andere Wahl, er wurde aus der Haft vorgeführt. Ein zweiter Prediger hatte sich nach Malaysia abgesetzt, von einem weiteren Angeklagten fehlt jede Spur. Die beiden sind zur internationalen Fahndung ausgeschrieben.
„Extreme Abschottung“
Der Staatsanwalt umriss in seinem Eröffnungsvortrag die Geschichte des Taqwa-Vereins, der zusammen mit zwei weiteren Vereinen eine radikale Richtung des Islam vertreten haben soll. „Sie sehen sich selbst als Elite, es kam zu einer extremen Abschottung“, beschrieb der Ankläger das Verhalten der Mitglieder.
Spur verlor sich in Syrien
Der Verein in Graz wurde 2008 gegründet. 38 Personen aus diesem Umfeld gingen nach Syrien, um sich der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) anzuschließen. Die erste Gruppe Auswanderer kehrte nicht zurück, ihre Spur hat sich teilweise verloren, möglicherweise wurden sie auch getötet, erzählte der Staatsanwalt.
Eine zweite Auswanderungstranche von Vereinsmitgliedern Ende 2014 war bereits Gegenstand eines Verfahrens in Graz gewesen und hatte zur Verurteilung von drei Ehepaaren geführt. Unter anderem auch deshalb, weil sie mit ihren Kindern die teilweise extrem grausamen IS-Propagandavideos angeschaut hatten.
„Ideologie des IS in Graz leben“
„Das Milieu, in dem das entsteht, muss genau angeschaut werden, und das tun wir hier“, betonte der Staatsanwalt. Im Verein Taqwa habe man nichts anderes getan „als die Ideologie des IS in Graz zu leben“. Auch in Wien konnten die IS-Anhänger in ihrer eigenen Schule ihre T-Shirts tragen oder die Fahne bei einer Demonstration mitführen. „Es ist erschreckend, wenn man sich das anschaut. In Wien ist das hingenommen worden, als Folklore oder so“, prangerte der Ankläger an.
Er wetterte auch gegen die „Gegenerziehung der Kinder“ im Verein. „Die ganze falsche Toleranzpolitik ist eine Politik der Feigheit“, war der Staatsanwalt überzeugt. Man könne sich nicht auf die „spießbürgerliche Position zurückziehen, dass es in Österreich noch keinen IS-Anschlag gegeben hat“.
Angeklagte fühlen sich nicht schuldig
Nach dem Staatsanwalt waren die sechs Verteidiger am Wort. Die Angeklagten fühlten sich in keiner Weise schuldig. „Mein Mandant hat nie jemanden radikalisiert oder bestärkt, nach Syrien zum IS zu gehen“, betonte der Anwalt des hauptangeklagten Predigers. Das sei in jedem Fall „eine autonome Lebensentscheidung gewesen“, war der Verteidiger überzeugt. „Die Anklage ist auf 300 Seiten aufgeblasen worden“, war einer seiner Kollegen überzeugt. Man hätte sie „auf 30 Seiten zusammenbringen können“, meinte ein anderer.
„Kein Eiferer, sondern Humanist“
Über den angeklagten Obmann des Taqwa-Vereins sagte sein Anwalt: „Er war von seiner Einstellung her kein Eiferer, er ist ein Humanist.“ Er habe den Verein nur auf eindringliche Bitte des Predigers geleitet, „aber nur auf dem Papier“. Die Anklage „stimmt einfach nicht, vieles ist Fiktion“. Ein weiterer Verteidiger sagte über seinen Mandanten: „Es gibt nichts, man hat nichts gefunden, und trotzdem sitzt er hier.“ Der Lkw-Fahrer „ist nur auf Urlaub da, alle wünschen sich, dass er so schnell wie möglich zurückkommt“.
Die Verhandlung wurde nach den Eröffnungsplädoyers vertagt. Sie wird am Montag um 9 Uhr fortgesetzt. Ein Urteil wird für Ende November erwartet.
Zweimal enthaftet
Im Vorfeld dieses Verfahrens hatte es einigen Wirbel um die Angeklagten gegeben: Einige von ursprünglich noch mehr Verdächtigen waren 2018 aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil das Verfahren schon zu lange dauerte. Dann wurden sie wieder festgenommen, um schließlich heuer Mitte September erneut enthaftet zu werden. Laut Oberlandesgericht bestand keine Tatbegehungs- und Fluchtgefahr mehr, also wurden - bis auf einen 44-jährigen Prediger - alle auf freien Fuß gesetzt.
Mehrere Dschihadisten-Prozesse in Graz
Die Grazer Staatsanwaltschaft ist seit Februar 2016 mit der Führung großer Dschihadisten-Prozesse mit mehreren Dutzend Angeklagten beschäftigt. Nicht nur gegen Prediger wie Fikret B. und Mirsad O. wurde verhandelt, sondern auch gegen Tschetschenen oder drei Elternpaare, die mit zwölf Kindern nach Syrien gingen, um sich dem IS anzuschließen.
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