„Politiker versagten“
Venedig zum dritten Mal binnen Tagen überflutet
Venedig ist zum dritten Mal in nur einer Woche überschwemmt worden. Das Wasser stieg bis kurz nach 13 Uhr auf 150 Zentimeter, seitdem sinken die Pegel wieder. Der Stadtkern steht erneut zum Großteil unter Wasser, der Markusplatz wurde gesperrt. Für die Venezianer geht das Leben im Rhythmus der Gezeiten - etwas langsamer als gewohnt - weiter, auch wenn die Schäden durch das Rekordhochwasser vom Dienstag enorm sind. Der Bürgermeister der Lagunenstadt spricht von einem Ausmaß von einer Milliarde Euro. Für viele Venezianer sind die Politiker schuld an der Katastrophenlage: „Sie haben versagt.“
Versorgt mit bunten Plastikstiefeln planschten die Urlauber am Samstag und noch am Sonntagvormittag vergnügt am Markusplatz herum. Anders als sonst schenkten sie jedoch der Gezeitentabelle mehr Aufmerksamkeit: Ebbe und Flut waren plötzlich auch für Landratten interessant. Am frühen Sonntagnachmittag wurde der Platz gesperrt: Das Wasser stand bereits wieder 60 Zentimeter hoch.
Wasserstand begann bereits wieder zu sinken
Rund 70 Prozent des Stadtkerns standen am Sonntagnachmittag unter Wasser. Für viele Venezianer ging das Leben trotzdem seinen gewohnten Gang - zumal sich das Rekordhochwasser in der Nacht auf Mittwoch, als die Flut auf bis zu 187 Zentimeter gestiegen war, nicht mehr wiederholen dürfte. Gegen 14 Uhr begann der Wasserstand wieder zu sinken.
Spenden aus ganz Italien und dem Ausland treffen ein
Inzwischen begann eine Solidaritätsaktion für die überschwemmte Lagunenstadt. Aus ganz Italien und dem Ausland trafen Spenden ein. Und sie sind bitter nötig: Der Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnaro, bezifferte die Schäden auf eine Milliarde Euro. Die Regierung machte bereits 20 Millionen Euro für erste Hilfsmaßnahmen locker. Privatleute sollen mit jeweils bis zu 5000 Euro für die Flutschäden entschädigt werden, Geschäftsleute mit bis zu 20.000 Euro.
Venedig will reagieren
Am 26. November soll eine Sonderkommission über die „Probleme Venedigs“ beraten. Dabei soll es auch um ein geplantes Anlegeverbot für große Kreuzfahrtschiffe und das umstrittene Hochwasserschutzsystem gehen, das die Stadt mit schwimmenden Barrieren schützen soll und bereits seit 2003 in Bau ist. Dass dieses noch nicht im Einsatz ist, ärgert auch beim „Krone“-Lokalaugenschein am Samstag in der Lagunenstadt.
Video: Bootsfahrt zeigt, wie das Wasser am Samstag wieder anstieg
„Wozu sind die Milliarden für das Schutzprojekt geflossen?“
Wo immer Venezianer zusammenstanden, gab es heftige Kritik an den Politikern. „Wozu sind die Milliarden für das Schutzprojekt M.O.S.E. geflossen, wenn es nach 30 Jahren noch nicht in Betrieb ist?“, murrte Giacomo, der an der Theke seinen Kaffee schlürfte - unter allgemeiner Zustimmung. „Die Politiker haben versagt“, sagte auch Christiano: „Aber die Venezianer haben sich gegenseitig geholfen.“
Markusplatz Sonntagmittag erneut gesperrt
Seit das Meer die Herrschaft über die Lagunenstadt übernommen hat, leben die Venezianer im Rhythmus der Gezeiten. Zweimal am Tag wird bei Flut die Lage kritisch. Auch Samstagmittag stand der Markusplatz wieder unter Wasser, allerdings nur um die 20, 30 Zentimeter - weit entfernt vom Rekordstand am Mittwoch. Am Sonntagmorgen watete man dort bereits wieder durch knietiefes Wasser, bis zum frühen Nachmittag stieg es auf 60 Zentimeter. Der Platz wurde gesperrt.
Aufräumen und putzen statt Luxus-Shopping
„Wir fürchten uns schon vor Montag. Da soll es wieder schwere Überschwemmungen geben“, sagte Laura Bisotti, die ein Geschäft für handgenähte Schuhe betreibt, zur „Krone“. Fast einen halben Meter hoch stand das Wasser in ihrem Laden. Am Samstag traf man sie beim Aufräumen an: „Das Leben geht ja schließlich weiter.“
Den Luxusgeschäften in der Calle Vallaresso geht es nicht besser, nur dass bei Missoni, Balenciaga & Co. Profis beim Aufräumen am Werk sind. Shopping ist dieser Tage aber nicht angesagt: Die Läden bleiben geschlossen, die teure Ware verstaut. Einige Geschäfte hatten aber trotz aller Widrigkeiten auch am Samstag offen: Schließlich tummeln sich schon wieder Touristen in der Stadt.
„Die einen kommen, um zu schauen, die anderen hoffen auf ruhige Stadt“
Der Tourismusverband beklagt zwar schwere Schäden an den Hotels und zahlreiche Stornierungen. Es gibt aber auch eine Art Katastrophen-Tourismus. „Die einen kommen, um den Nervenkitzel des Hochwassers zu erleben. Die anderen hoffen, einmal wieder ein ruhiges Venedig wie früher vorzufinden“, fand der Taxiboot-Fahrer Christiano heraus, wie er uns erzählte.
Kreuzfahrtschiffe sollen spenden
Die Kreuzfahrtschiffe legten jedenfalls an wie immer, und ihre Passagiere wollen sich Venedig nicht entgehen lassen, selbst wenn viele Sehenswürdigkeiten wie der Markusdom gesperrt sind. Um die enormen Schäden zu beheben, sind auch die Reedereien gefordert: Der Chef der Hafenbehörde rief sie zu Spenden als „konkretes Signal der Solidarität mit Venedig“ auf.
„Zwischen den Hochwassern sperren wir auf“
In der weltberühmten Harry’s Bar direkt am Canal Grande herrscht jedenfalls so gut wie immer Hochbetrieb. „Wir sind an Acqua Alta gewöhnt“, meinte Restaurantchef Claudio. Sein Kollege Joel vom Ristorante Nova Grotta in einer kleinen Seitengasse hinter dem Dom sieht es ähnlich: „Das Wasser wird wiederkommen. Aber dazwischen sperren wir auf.“
Waltraud Dengel, Kronen Zeitung, und krone.at
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