Viele ländliche Gebiete kämpfen mit der Abwanderung junger Menschen. Doch einige haben die Obersteiermark auch zu ihrer Wahlheimat gemacht. Ein Lokalaugenschein vor der Landtagswahl.
Wenn Sabine Dettenweitz zwischen den großen Fabrikshallen der Firma Heldeco in Aflenz marschiert, grüßt sie jeden Mitarbeiter beim Vornamen. Auf den Lippen ein breites, warmes Lächeln. Natürlich grüßt auch jeder zurück. „Die Lehrlinge sagen noch ,Frau Dettenweitz’, aber nach der Lehrabschlussprüfung sind wir dann per Du“, erzählt sie lachend. Neben den meterlangen Maschinen, mit denen der Fertigungstechnik-Betrieb maßgeschneiderte Teile herstellt, kehren die jungen Burschen in den dunkelblauen Latzhosen gerade den Boden – es ist kurz vor 14 Uhr. Schichtwechsel.
Seit 30 Jahren ist das Familienunternehmen im Ortsteil Döllach, zwischen Turnau und Aflenz, angesiedelt. „Die Industrie ist so wichtig, damit keine Abwanderung passiert. Wenn die Menschen Arbeit haben, dann bauen sie hier ein Haus, dann gründen sie eine Familie. In Turnau gibt es jetzt seit Langem wieder vier Volksschulklassen“, erzählt Dettenweitz, die im Unternehmen die Finanzen über hat. Geschäftsführer ist ihr Mann Helmut.
Mit der Region und dem Arbeitgeber verbunden
Mit seinen 63 Mitarbeitern ist Heldeco nur ein kleiner Teil der für die Obersteiermark so prägenden Industrie. Hier sind fast alle aus der Gegend, mehr als die Hälfte des Personals hat bereits im Betrieb gelernt. „Die Loyalität der Mitarbeiter ist am Land gut. Es gibt hier einen echten Zusammenhalt.“
Neun Lehrlinge bildet das Unternehmen aktuell aus, großteils Zerspanungstechniker. „Nach dreieinhalb Jahren sind sie Facharbeiter. Von ihnen leben wir“, sagt Dettenweitz. Um sie, die Lehrlinge, muss das Unternehmen buhlen: „Wir werben in den sozialen Medien, gehen an die Schulen, wir haben sogar einen Kino-Spot gemacht.“ Nur junge Frauen springen auf das Angebot nicht gut an. „Wenn die Mädels einmal weg sind, dann kommen sie auch nicht mehr zurück.“
Was ihr Sorgen bereitet, ist die Bürokratie – von Jahr zu Jahr werde der Papierkram mehr. Außerdem ärgert sie sich über die hohen Lohnnebenkosten: „Dem Mitarbeiter lässt man fast nichts. Dabei sollte gerade ihm mehr bleiben.“
Ein Thema werden auch noch andere aufs Tapet bringen: den Ärztemangel. „Mein Schwiegervater braucht Pflege. Im Notfall kann ihn niemand versorgen. Auf ein MR wartet man sechs bis acht Wochen. Es wird immer schlimmer“, sagt Dettenweitz.
Junger Kaufmann fühlt sich zuhause
Fünf Autominuten entfernt sitzt Gernot Gradwohl hinter der Kasse des Aflenzer „Spar Gradi“ – er hat seinem Geschäft seinen eigenen Spitznamen verliehen –, während seine Mitarbeiterinnen Regale schlichten und Kunden bedienen. Als er gerade einmal 23 Jahre alt war, hat er den Nahversorger im Ortskern übernommen. „Zwischendurch wollte ich unbedingt nach Graz, dorthin, wo was los ist“, sagt der heute 27-Jährige. „Seit ich zurück bin, habe ich dieses Bedürfnis nicht mehr.“
Ob der Ort tatsächlich ausstirbt? „Absolut nicht. Familien zieht es hierher, weil Aflenz alles hat, was man braucht.“
Ein paar Dinge hat er allerdings zu beklagen: „Bei uns ist der Arbeitsmarkt gesättigt“, sagt er auf die Frage, ob es schwer sei, neue Mitarbeiter und Lehrlinge zu finden. Die Bürokratie und die hohen Lohnnebenkosten machen dem Unternehmer ebenso zu schaffen.
Gesucht: kulturelles Angebot am Land
Eine halbe Stunde mit dem Auto über den idyllischen Pretal-Sattel trennt das Aflenzer Tal vom Mürztal. Vor gut 30 Jahren hat Claudia Winkler Krieglach zu ihrer Heimat erklärt. Für sie sind Verwurzelung und Weltoffenheit kein Widerspruch. Als Professorin für Deutsch und Italienisch am BORG Kindberg sieht sie jeden Tag, was die jungen Erwachsenen bewegt. „Viele unserer Schüler sind wahnsinnig heimatverbunden. Selbst wenn sie dann studieren, fahren viele mehrmals die Woche heim.“
Was die Abwanderung angeht, ist sie geteilter Meinung. „Es geht dadurch viel Potenzial verloren, aber es ist auch wichtig, einmal etwas anderes zu sehen.“ Ein Grund dafür: Das kulturellen Angebot fehlt. „Die Kultur hat am Land einen anderen Stellenwert. Für die Jungen gibt es kaum Angebot.“
Besorgt ist Winkler um die Bildungspolitik – und die neue Lehrerausbildung an den Universitäten: „Die Richtung ist für uns Besorgnis erregend. Massives Lehrer-Burn-out ist vorprogrammiert.“ Die Politik solle endlich auf die Meinung von Experten aus der Praxis hören, sagt Winkler. „Ich wehre mich gegen parteipolitisches Denken in der Schulpolitik.“
Eine neue Heimat gefunden
Noch jemand hat die Obersteiermark zu seiner Wahlheimat gemacht. Die Familie Alaubedy lebt seit 2014 in Österreich. Oder wie Familienvater Raad Ahmed genauer weiß: seit 29. Mai 2014. Mit ihren drei Kindern sind er und seine Frau Amal damals vor Krieg und Zerstörung im Irak geflohen.
Heute leben sie in Bruck an der Mur – zufrieden und voll integriert. „Wir wurden gut aufgenommen. In Bruck gibt es alles, was man braucht“, sagt Raad. Seine 15-jährige Tochter Monya wird bald die Hauptschule abschließen. „Ich bin noch nie sitzen geblieben“, sagt sie stolz im steirischen Dialekt. „Ich geh dann fix studieren.“
Die Familie Alaubedy will und darf bleiben - weil sie nun endlich in Sicherheit ist. Sie will Perspektiven für ihre Kinder. So, wie jeder andere Obersteirer auch.
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