Mord im Gemeindebau

Ehefrau: „Kann nicht aufhören, ihn zu lieben“

Wien
24.11.2019 06:01

Vor drei Wochen erschoss ein 46-Jähriger in einem Gemeindebau in Wien-Döbling einen Nachbarn. Scheinbar ohne Motiv. In der „Krone“ spricht jetzt die Ehefrau des Täters.

Vor wenigen Wochen, in einer Gemeindebausiedlung in Wien-Döbling. Dort, wo am Abend des 4. November eine grauenhafte Tat geschehen ist: Andreas U. (47) saß mit einer Nachbarin auf einer Bank im Innenhof, die beiden rauchten, plauderten - als plötzlich ein Mieter von Stiege 1, Alois H. (46), mit einer Glock vor ihnen stand.

„Wir dachten, es wäre eine Spielzeugpistole“, gab die Zeugin später der Polizei zu Protokoll - aber gleich sei das Unfassbare geschehen. Lächelnd habe H. gesagt: „Es geht eh schnell.“ Ein Schuss, die Kugel traf Andreas U. ins Gesicht.

Der 47-jährige Hobbyfotograf wurde durch einen Kopfschuss tödlich verletzt. (Bild: zVg)
Der 47-jährige Hobbyfotograf wurde durch einen Kopfschuss tödlich verletzt.

„Ich verstehe gar nichts mehr“
Eine schwarz gekleidete Frau geht nun an der Stelle, an der das Verbrechen geschehen ist, vorbei. Sie bekreuzigt sich, verschwindet dann rasch in ihrer Erdgeschoßwohnung, setzt sich auf ihr Sofa, beginnt zu weinen, schluchzt: „Ich verstehe gar nichts mehr.“

Sie: Anna H. (Vorname geändert), die Frau des Todesschützen. „Heute Morgen“, erzählt die 43-Jährige, „war ich in der Justizanstalt Josefstadt.“ Um ihren Mann in der U-Haft zu besuchen, ihn nach dem Warum zu fragen, „er wollte mich nicht sehen“. Frau H., haben Sie Erklärungen für sein schreckliches Handeln? „Wie denn? Ich kenne Alois ja nur als einen besonders herzenswarmen Menschen.“

Die Geschichte des Paars? „Wir lernten einander vor 23 Jahren kennen, in einem Café, in dem ich als Kellnerin arbeitete. Nach meiner Flucht aus Rumänien.“ Alleine habe sie sich in Österreich gefühlt: „Alois kümmerte sich rührend um mich - und so kam es, dass ich mich in ihn verliebte.“ Was wusste sie über ihn? „Dass er Tischler war. Und dass er dieselben Ziele hatte wie ich: ein ruhiges Leben zu führen.“ Bald die Hochzeit: „Danach taten wir alles, um uns eine gesicherte Existenz aufzubauen.“ Er nahm eine Stelle bei der Feuerwehr an, sie wurde Verkäuferin.

Ein 47 Jahre alter Mann wurde im Innenhof eines Wohnhauses in Wien-Döbling erschossen. (Bild: HELMUT FOHRINGER)
Ein 47 Jahre alter Mann wurde im Innenhof eines Wohnhauses in Wien-Döbling erschossen.

„Er behandelte mich wie eine Prinzessin“
Und sonst? „Alois brachte mich beinahe jeden Tag mit dem Auto zu meiner Firma, und er holte mich ab. Er behandelte mich wie eine Prinzessin. Oft dachte ich: Wieso habe ich einen so guten Mann verdient?“ Einen Mann, der ihr „im Haushalt half“, der „sämtliche organisatorischen Dinge - Bankwege und so - übernahm“. Der sie nach zwei Fehlgeburten „in völliger Selbstlosigkeit tröstete“.

Fühlte sie sich durch seine überbordende Fürsorge niemals unfrei? „Nein. Denn Alois las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Er begleitete mich in die Kirche. Er unterstützte meine Eltern finanziell. Wir machten Urlaube am Meer. Wir unternahmen Ausflüge ins Grüne, ich mochte es nämlich so gern, von ihm in der Gegend herumgefahren zu werden.“

(Bild: HELMUT FOHRINGER)

Gab es Treffen mit Freunden? „Manchmal ging er mit einem Bekannten ein Bier trinken und ich mit Kolleginnen essen. Aber eigentlich waren wir eher bloß für uns.“ Ohne zu streiten? „Wirklich, wir vertrugen uns wunderbar.“ Sogar noch, als Alois H. „schwierig wurde“.

Verfolgungswahn entwickelt
2015 hatte er einen Arbeitsunfall: „Danach fühlte er sich im Dienst gemobbt.“ Noch mehr: Er begann, Verfolgungsideen zu entwickeln: „Er glaubte, die Sitze in seinem Fiat wären vergiftet. Und er behauptete, im Wagen und in unserer Wohnung wären Abhörgeräte. Er kaufte deshalb sogar einen Wanzenscanner.“

Kam Ihnen das nicht seltsam vor? „Schon. Aber ich glaubte halt, er wäre wegen seiner beruflichen Situation psychisch angeknackst. Deshalb war ich auch froh, als er im Frühjahr gekündigt wurde. Ich hoffte, dass ihn eine Auszeit wieder in Balance bringen würde.“ Doch das passierte nicht. Immer öfter sprach Alois H. von „Jägern“, die hinter ihm her seien.

Der Tatort (Bild: Florian Hitz)
Der Tatort

„Überall war Polizei“
Aber am 4. November, nach seiner Tat, „verhielt er sich normal“. Anna H. wusste nichts von dem Geschehenen, als ihr Mann sie um 22 Uhr aus der Innenstadt abholte: „Er fragte mich, ob er mich herumkutschieren solle. Ich freute mich.“ Gegen Mitternacht kam das Paar zu Hause an, „überall war Polizei, da meinte Alois, dass wir ja noch eine kleine Tour machen könnten“. Er fuhr mit seiner Frau ins Burgenland. Um 4 Uhr früh stellte er sich, in ihrer Begleitung, der Polizei.

Im Verhör redet der 46-Jährige wirr. Er gibt an, ein Staatspolizist zu sein, 140 Millionen Euro zu besitzen und bereits 400 Menschen ermordet zu haben.

Zitat Icon

"Mein Mandant wird nun von Gerichtspsychiaterin Gabriele Wörgötter untersucht. Ich bin gespannt auf ihre Analysen. Mir selbst war bisher ein umfassendes Gespräch mit Herrn H. nicht möglich. Er spricht wirr, scheint nicht zu begreifen, dass er einen Menschen getötet hat."

Astrid Wagner, Anwältin des Verdächtigen

Astrid Wagner (Bild: Martin Jöchl)
Astrid Wagner

Frau H., Ihr Mann ist offenkundig geisteskrank ... „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht damit fertigwerde, dass er einen Menschen umgebracht hat. Trotzdem, ich kann nicht aufhören, ihn zu lieben. Und ich will das auch gar nicht.“ Was soll Ihre Zukunft sein? „Meine Nachbarn behandeln mich nett, aber ich ziehe bald um. Meine Chefin und meine Kolleginnen halten zu mir, dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“

„Vielleicht nehme ich ein paar Fahrstunden“
Ihre weiteren Pläne? „Ich muss vieles lernen. Ich merke nun, dass ich ziemlich unselbstständig bin.“ Die Kindheit in einem Überwachungsstaat; ihr Leben später, an der Seite eines Mannes, der ihr - ohne dass sie das begriff - keine Möglichkeit zum Atmen gab, hat sie dazu gemacht. „Vielleicht“, sagt Anna U. leise, „nehme ich ein paar Fahrstunden. Ich habe zwar den Führerschein, aber nur selten unser Auto gelenkt. Jetzt wird das allerdings notwendig sein - damit ich Alois oft im Gefängnis besuchen kann.“

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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