Die grauenhafte Bluttat eines Afghanen ist das 33. Tötungsdelikt heuer - in Österreich, an einer Frau. In der „Krone“ spricht nun eine Wienerin über ihre langjährige Ehe mit einem gewaltbereiten Mann. Der später seine neue Partnerin umgebracht hat.
Vergangener Donnerstag, am frühen Nachmittag. Sonja G. (Name geändert) sitzt in einem Kaffeehaus, trinkt Tee; die aktuellen Tageszeitungen liegen vor ihr.
„Ich verzieh ihm viel zu oft - weil er mir leidtat“
„Ich habe schon alle Berichte über den Fall gelesen“, sagt sie. Der Fall, den sie meint: Am Abend davor ist wieder einmal eine Frau von ihrem Mann umgebracht worden. In Wien-Favoriten. Die Tatwaffe: ein Messer. „So wie damals“ Im selben Bezirk wurde im September 2016 eine 53-Jährige von ihrem Lebensgefährten, Manfred B. (47), erstochen. Weil sie sich von ihm hatte trennen wollen. Weil er davon überzeugt gewesen war, sie hätte bereits einen neuen Freund - wie er später in Verhören angegeben hat.
„Ich erinnere mich noch genau an den Moment, in dem ich von Manfreds Verbrechen erfahren habe.“ Der Schock, dieser fürchterliche Schock, „bis heute bin ich traumatisiert von dem Geschehenen.“ Sonja G., sie ist die Ex-Frau des mittlerweile wegen Mord Verurteilten. „Auch meine Beziehung mit ihm“, berichtet sie, „war schwierig. Und manchmal frage ich mich, was geschehen wäre, hätte ich nicht rechtzeitig den Absprung von ihm geschafft.“
Was war der Grund für das Aus? „Ich bin ohne ihn zu einer Geburtstagsfeier gegangen, beim Heimkommen hat er auf mich eingeschlagen. „Und ja“, erzählt die 55-Jährige weiter, es seien auch schon davor Handgreiflichkeiten gegen sie passiert - während der zehn Jahre, in denen sie und Manfred B. ein Paar gewesen sind. Frau G., warum ließen Sie sich diese Übergriffe gefallen? „So komisch es klingen mag - er tat mir leid.“ Weswegen? „Er hatte eine schwierige Kindheit und Jugend, er ist in Heimen aufgewachsen, musste dort entsetzliche Gewalt erfahren, wurde sogar sexuell missbraucht.“
„Er konnte sehr lieb sein - und sehr böse“
Manfred B. bekam - später - für die erlittenen Peinigungen vom Staat finanzielle Entschädigungen zugesprochen, „doch seine seelischen Wunden blieben natürlich“. Was bedeutete das im Umgang mit ihm? „Er konnte der beste Mann auf der Welt sein; unsere Tochter hat er stets extrem fürsorglich und liebevoll behandelt - und mich meistens auch. Aber dann gab es wieder diese Augenblicke, in denen seine Stimmung plötzlich kippte, er eine andere Stimme, einen anderen Blick bekam. Und völlig ausrastete.“
Die Auslöser? „Kleinigkeiten. Er fühlte sich einfach extrem schnell zurückgewiesen und gekränkt. In seiner Suche nach einer schützenden Mutterfigur, die ich für ihn darstellte.“ Sie, Sonja G; ein paar Jahre älter als er, in einem Sozialberuf tätig, „dazu veranlagt“, wie sie sagt, „extrem verständnisvoll zu sein. Besonders Menschen gegenüber, die in ihrer Vergangenheit schreckliche Dinge erlebt haben.“
Manfred B.s Opfer, Liane B., „war eigentlich wie ich“. Sie übte einen ähnlichen Job wie sie selbst aus, „und auch sie wollte Manfred die ganzen 13 Jahre hindurch, in denen sie mit ihm zusammen war, immerzu helfen“. Sonja G. mochte die Frau, „lange Zeit dachte ich, sie wäre die Richtige für meinen Ex; an ihrer Seite wurde er ruhiger, gelassener. Die zwei schienen harmonisch.“
Obwohl es „bei ihnen schon mitunter Schwierigkeiten gab. Etwa, wenn Manfred mit ihrem Umfeld in Kontakt kam. Viele ihrer Freunde waren Akademiker, er fühlte sich ihnen unterlegen; nach Treffen mit ihnen verhielt er sich ziemlich unangenehm.“
„Das Problem war: Er ließ sich nicht therapieren“
Wenige Wochen vor der Tat hörte die 55-Jährige zufällig - „Lianes Handy hatte quasi von selbst meine Nummer angewählt“ - ein Gespräch zwischenManfred B.und seiner Freundin mit. Das identisch verlief zu so zahlreichen, die sie selbst vor Jahrzehnten mit ihm geführt hatte: „Sie redete auf ihn ein, er müsse endlich eine Therapie beginnen; er sagte: Ja, du hast recht, ich werde das machen.“ Er „machte das selbstverständlich nicht“; betäubte seine Probleme weiterhin, wie gewohnt, mit Pillen, Haschisch und Alkohol: „Dennoch, ich hätte nie gedacht, dass er fähig wäre, irgendjemandem etwas wirklich Böses anzutun.“
Nach seinem Verbrechen hat Manfred B. einen Suizidversuch unternommen, er wurde gerettet. In der Strafhaft gilt er nun als Musterinsasse, er arbeitet fleißig in einer Werkstätte, ist ständig in psychologischer Betreuung. Über sein grauenhaftes Handeln will er mit Angehörigen und Freunden bis dato nicht sprechen, das würde ihn zu sehr belasten. Wie es den drei Kindern seines Opfers geht? „Schlecht, sehr schlecht“, sagt Sonja G.
„Seine Tat hat in mir vieles verändert“
Wie ihrer, seiner Tochter? „Sie steht hinter ihm, besucht ihn oft hinter Gittern. Sie kennt nur seine positiven Seiten und kann deshalb bis heute nicht realisieren, dass er ein Mörder ist.“ Und Sie, Frau G.? „Mir ist durch das Drama klargeworden, dass ich ein Helfersyndrom hatte und deswegen zu vergebend war.“ Nachsatz: „Das bin ich jetzt nicht mehr.“
Die 55-Jährige hat - „um die Gefahr eines ,Rückfalls‘zu minimieren“ - mittlerweile ihren Beruf gewechselt, „damit entfloh ich der ständigen Konfrontation mit tragischen Schicksalen.“ Erst vor Kurzem hat sie noch einmal geheiratet: „Einen gefestigten bodenständigen Mann, der mir Halt gibt; der mich nicht als Mama sieht, sondern wie eine Partnerin behandelt.“ Sonja G.s Rat an Frauen, die - wie einst sie selbst - in zerstörerischen Verbindungen gefangen sind? „Weggehen, sofort. Beim ersten absurden Wutausbruch, beim ersten ,Schubser‘. Und nicht daran glauben, dass ein Mensch ,besserbar‘ ist.“
Die „Frauenmord-Analyse“
Vor wenigen Tagen wurden die Ergebnisse einer groß angelegten Studie präsentiert: Eine Screening-Gruppe - Polizisten, Kriminalpsycholgen und Experten vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Uni Wien - hat 55 Morde und 174 versuchte Tötungsdelikte an Frauen, geschehen in Österreich, von Jänner 2018 bis 2019, analysiert. Resultat der Untersuchungen: Im Großteil der Fälle standen Täter und Opfer in Intimbeziehungen, waren Lebensgefährten oder sogar miteinander verheiratet.
Das Motiv für die Verbrechen - meist dasselbe: Die Frauen hatten sich von ihren Männern trennen wollen. Als besondere Risikofaktoren für schwere Gewalthandlungen wurdenzudem Arbeitslosigkeit, Alkohol- und Drogenmissbrauch und der Streit um das Sorgerecht für gemeinsame Kinder festgestellt.
Martina Prewein, Kronen Zeitung
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