In Wien hat die Nummer 93 der 500 schnellsten Supercomputer weltweit den Betrieb aufgenommen: der vom PC-Giganten Lenovo gelieferte Vienna Scientific Cluster 4 (VSC-4). Der acht Millionen Euro teure Großrechner ist ein Gemeinschaftsprojekt von fünf heimischen Universitäten, liefert mit fast 38.000 Kernen eine Rechenleistung von 2,7 Petaflops und soll unter anderem für medizinische und bioinformatische Fragestellung sowie die Erstellung von Klimamodellen eingesetzt werden. Wir haben uns den schnellsten Rechner Österreichs vor Ort angesehen und mit Lenovos Supercomputer-Expertin Antigoni Chrysostomou gesprochen.
Es ist laut, warm und riecht nach Hardware im Untergeschoss des TU Wien Science Center, wo der mächtigste Computer Österreichs Quartier bezogen hat. Elf Serverschränke voller Rechenmodule und Switches zu deren Vernetzung arbeiten hier unter stetem Surren höchst komplexe wissenschaftliche Berechnungen ab.
Unter dem VSC-4 haben die Betreiber einen Glasboden installiert, der den Blick auf die Rohre der Wasserkühlung ermöglicht. Das Innere des Supercomputers hat man - so viel Casemodding muss sein - mit blauen LEDs beleuchtet. Das erinnert ein wenig an einen hochgezüchteten Gaming-PC, nur im deutlich größeren und nochmals weit leistungsstärkerem Stil.
Spezielle Warmwasserkühlung im Einsatz
Gekühlt wird der 2,7 Petaflops - 2,7 Millionen Milliarden Rechenoperationen pro Sekunde - schnelle Supercomputer, den die Technische Universität Wien, die Uni Wien, die Universität für Bodenkultur, die TU Graz und die Uni Innsbruck gemeinsam nutzen, mit einer speziellen Warmwasserkühlung.
Mit rund 45 Grad Temperatur wird das Wasser in den Kühlkreislauf geschickt, fließt durch Kupferrohre über die vielen Xeon-Prozessoren und den RAM und nimmt die Abwärme der Komponenten mit. Mit rund drei Grad mehr kommt es am anderen Ende in einen Wärmetauscher, der ihm die Wärme wieder entzieht, dann beginnt der Kreislauf von vorn.
790 Rechenmodule mit 420 Kilowatt Verbrauch
Wärme produzieren die Komponenten des ersten Petaflop-Rechners in Österreich mit einem Stromverbrauch von bei unserem Besuch gut 420 Kilowatt genug: Der Supercomputer vom Typ Lenovo ThinkSystem SD650 beherbergt in seinen 790 Rechenmodulen je zwei potente Xeon-Prozessoren von Intel mit je 24 Kernen und 3,1 Gigahertz Takt, die jeweils auf 96 Gigabyte RAM zugreifen. Daten lagern auf zig 12-Terabyte-Festplatten, die gemeinsam rund sieben Petabyte Kapazität bieten - also 7000 Terabyte.
Damit ist er fünfmal so schnell wie sein fünf Jahre alter Vorgänger, der VSC-3, der im Nebenzimmer im Ölbad auch weiterhin komplexe Aufgaben löst. Ausgemustert werde der 0,6-Petaflops-Rechner erst, wenn in einigen Jahren der Nachfolger des VSC-4 an den Start gehe, erklärt uns Irene Reichl vom VSC Research Center der TU Wien beim Lokalaugenschein. Auf diese Weise stelle man immer zwei Großrechner für die teilnehmenden Unis bereit.
Interview: Supercomputer und ihre Bedeutung
Wir verlassen die Räumlichkeiten mit den Supercomputern - und treffen nach Abschluss der Führung Antigoni Chrysostomou, Lenovo-Managerin und Supercomputer-Expertin, für ein Interview über die Welt der Supercomputer.
„Krone“: Können Sie uns für Laien verständlich erklären, wie ein Supercomputer aufgebaut ist und was ihn von normalen PCs unterscheidet?
Antigoni Chrysostomou: Bei einem Supercomputer geht es im Wesentlichen um drei Kernpunkte: Die schnellsten verfügbaren Prozessoren, schnellen Speicher mit hoher Schreib- und Lesegeschwindigkeit, und darum, sehr viele dieser Komponenten über ein Netzwerk zu verbinden, das schnellen Datenaustausch gewährleistet. Beim VSC-4 haben wir 790 einzelne Knoten mit den schnellsten CPUs installiert, die der Markt hergibt.
Wofür setzt man einen so starken Computer denn konkret ein?
Supercomputer sind wertvoll, wenn es um die Berechnung komplexer zwei- oder dreidimensionaler Modelle geht, zum Beispiel in der Klimaforschung, wenn räumliche Ausdehnungen im Spiel sind, oder in der medizinischen Forschung, zum Beispiel der Herzforschung, wo sehr komplexe Modelle nötig sind, um Veränderung zu simulieren. Das braucht sehr viel Rechenleistung, und je schneller der Supercomputer ist, desto komplexere Probleme kann man damit lösen.
Was sind die größten Herausforderungen beim Bau so einer Maschine?
Da gibt es zwei große Bereiche: Erstens die Konzeption des Rechners, also zum Beispiel die Wahl des Prozessors und der anderen Komponenten, und anschließend beschäftigt man sich mit der Stromaufnahme und der Wärmeabfuhr. Gerade das Kühlsystem kann dabei sehr komplex werden, wie man hier in Wien am VSC-4 mit seiner Warmwasserkühlung sieht. Da sind pro Rack 13 Liter Wasser drin, die eine gewisse Mindesttemperatur haben müssen und über eine Direct-to-Node-Kühlung über Prozessor und Arbeitsspeicher geleitet werden.
Heute hört man überall von Künstlicher Intelligenz: Ist so ein Supercomputer wie der VSC-4 durch seine Leistung auch eine künstliche Intelligenz oder wäre das zu hoch gegriffen?
Der Begriff Künstliche Intelligenz wird wirklich etwas überstrapaziert: Nicht jede Berechnung ist KI. Viele Modelle und Algorithmen, die man heute berechnen kann, gibt es seit Jahrzehnten. Wir können die Berechnungen heute nur schneller durchführen. Bei Künstlicher Intelligenz geht es dagegen darum, dass man ein so kompliziertes Problem hat, dass es kein eindeutig richtiges Ergebnis gibt. Da geht es darum, dass in einem Rechensystem Entscheidungen getroffen werden - also zum Beispiel, welche medizinische Diagnose auf Basis bestimmter Beobachtungen zu stellen ist. Zur richtigen Entscheidung kommt der Rechner nur, wenn er zuvor große Datensätze auswerten konnte, hier spricht man von Machine Learning bzw. Deep Learning und neuronalen Netzen. Sie beziehen viele Entscheidungsebenen ein und arbeiten als Mustererkennung. Eine mit einem großen Datensatz trainierte KI kann Bilder eines Organs analysieren und feststellen, ob es gesund ist. Das unterscheidet die KI von anderen Modellen.
Bei vielen Privatkunden ersetzt heute das Smartphone den PC. Wie wichtig ist das Supercomputer-Geschäft da für einen PC-Hersteller wie Lenovo?
Das hat sich für Lenovo sehr positiv entwickelt - auch, weil wir viel in Innovation gesteckt und zum Beispiel die Wasserkühlung Neptun entwickelt haben. Wirtschaftlich zahlt sich das aus, weil die Probleme, die Wirtschaft und Wissenschaft in unserer Zeit lösen müssen, immer komplexer und Supercomputer damit immer wichtiger werden. Den Kunden ist insbesondere die Wärme- und Energieabfuhr wichtig. Im Gegensatz zum Consumer-Markt pflegen wir im High-Performance-Computing längerfristige Kundenbeziehungen, dafür haben erst kürzlich unser Experten-Team für die deutschsprachigen Länder erweitert.
Google hat einen Quantencomputer vorgestellt, der gewisse Aufgaben deutlich schneller lösen können soll als ein Supercomputer. Ist das die Zukunft?
Ich glaube, die nächsten 10 bis 20 Jahre werden klassische Supercomputer die vorherrschende Technik bleiben. Es forschen zwar viele an Quantencomputern, neben Google zum Beispiel auch IBM, und es gibt sicherlich spezielle Problemstellungen, die ein Quantencomputer lösen kann und ein Supercomputer nicht. Allerdings stehen wir bei der Arbeit mit Quantencomputern noch ganz am Anfang: Da geht es beispielsweise darum, zu lernen, wie man eine Fragestellung formuliert, die ein Quantencomputer bearbeiten soll. Konventionelle Rechner kennen ja nur zwei Zustände: Null und eins. Ein Quantencomputer kennt mehrere Zustände und braucht passende Fragestellungen. Ich glaube, bis auf weiteres ist der Quantencomputer keine Konkurrenz für Supercomputer. Er könnte aber bei andersartigen Problemen helfen, für die ein Supercomputer nicht ideal ist.
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