Wahl in Großbritannien

Johnson erfüllt sich seinen „Brexmas“-Wunsch

Ausland
13.12.2019 00:35

Sieben Wochen vor dem geplanten Austritt Großbritanniens aus der EU haben die Briten bei der Parlamentswahl am Donnerstag entscheidende Weichen gestellt: Sogenannte Exit Polls zeigen eine klare absolute Mehrheit für die Tories. Deren Chef, Premierminister Boris Johnson, der mit Hund „Dilyn“ zur Stimmabgabe erschien (siehe Video oben), will seine Austrittspläne nun noch vor Weihnachten durch das Parlament bekommen und sich damit seinen „Brexmas“-Wunsch erfüllen. Bis zum Schluss kämpften die Parteien in E-Mails und mit Nachrichten in sozialen Medien um jede Stimme.

Eine Wählerbefragung, die von den britischen Fernsehsendern mit Wahlschluss um 22 Uhr Ortszeit (23 Uhr MEZ) veröffentlicht wurde, zeigt, dass die Tories demnach 368 der 650 Mandate erhielten, die oppositionelle Labour Party unter Jeremy Corbyn stürzte auf 191 Mandate ab. Die pro-europäischen Liberaldemokraten kamen laut der Exit Poll auf 13 Mandate und verpassten damit klar ihr Ziel, drittstärkste Kraft im Unterhaus zu werden. Diese Position konnte die Schottische Nationalpartei (SNP) behaupten, die mit 55 Mandate fast alle Sitze in Schottland gewann. Die Grünen behielten ihren Sitz, die Brexit Party von EU-Gegner Nigel Farage ging leer aus.

„Wir leben in der großartigsten Demokratie der Welt“
Johnson will sich offenbar nicht vorzeitig zum Sieger der Unterhauswahl erklären. Am späten Donnerstagabend verbreitete er zwar das Ergebnis der Wählerbefragung, die seinen Konservativen eine klare absolute Mehrheit vorhersagen, auf Twitter. In einem weiteren Tweet begnügte er sich aber mit allgemeinem Lob für die britische Demokratie: „Danke an jeden in unserem großartigen Land, der gewählt, freiwillig gearbeitet und kandidiert hat. Wir leben in der großartigsten Demokratie der Welt.“ In einem E-Mail an Parteimitglieder zeigte Johnson freilich weniger Zurückhaltung. "Ich hoffe, ihr feiert heute Nacht“, schrieb er.

Auch Corbyn wandte sich via Twitter an seine Unterstützer und dankte ihnen für ihre Hilfe während des Wahlkampfes.

Mehrheit offenbar wieder zurückgewonnen
Sollte sich die Prognose bestätigen, wäre es die größte Tory-Mehrheit seit mehr als drei Jahrzehnten. Zuletzt hatte die legendäre Premierministerin Margaret Thatcher im Jahr 1987 eine größere Mehrheit gewonnen. Bei der Wahl im Juni 2017 hatten die Konservativen ihre absolute Mehrheit überraschend verloren. Sie kamen damals auf 317 Mandate, Labour auf 262. Die Tories regieren das Vereinigte Königreich seit dem Jahr 2010, zunächst in einer Koalitionsregierung mit den Liberaldemokraten, ehe sie im Jahr 2015 - unter anderem mit dem Versprechen eines EU-Austrittsreferendums - eine knappe absolute Mehrheit errangen.

Mehrfach verschobener Brexit am 31. Jänner könnte stattfinden
Die Konservativen um Premier Johnson traten im Wahlkampf mit dem Slogan „Get Brexit Done“ (etwa: Erledigt den Brexit) an. Mit der Mehrheit will er nun noch vor Weihnachten seinen Austrittsdeal mit der EU durch das Parlament bringen und im neuen Jahr mit den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen beginnen. Derzeit ist der - mehrfach verschobene - Brexit für den 31. Jänner geplant.

Boris Johnson (Bild: AP)
Boris Johnson
Boris Johnson mit seinem Hund „Dilyn“ (Bild: AP)
Boris Johnson mit seinem Hund „Dilyn“

Mehrheitswahlrecht machte es spannend bis zum Schluss
Die Konservativen und die Labour-Partei lieferten sich vor allem in Mittel- und Nordengland ein enges Rennen. Brexit-Gegner hatten hier zum taktischen Wählen gegen konservative Kandidaten aufgerufen. Das Mehrheitswahlrecht in Großbritannien kennt nur Direktmandate. Ins Parlament ziehen die Kandidaten mit den jeweils meisten Stimmen in einem der 650 Wahlkreise ein - egal wie knapp ihr Sieg war. Die Stimmen für unterlegene Kandidaten verfallen. Das macht es sehr schwer, aus landesweiten Umfrageergebnissen auf die mögliche Sitzverteilung im Parlament zu schließen.

Besonders viele Schmähkommentare für Johnson
In vielen Wahllokalen wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, weil während der Wahlkampagnen - zum Beispiel über soziale Medien - immer wieder Drohungen gegen Kandidaten aufgetaucht waren. Die Polizei erhielt innerhalb von knapp vier Wochen rund 200 Beschwerden im Zusammenhang mit der Sicherheit von Kandidaten. In der Hälfte der Fälle sei es um böswillige Online-Kommentare gegangen, teilte die Polizei mit. Besonders viele Schmähkommentare erhielt einer Studie der Universität Sheffield zufolge Johnson.

(Bild: AP)

Lange Schlangen, um einen der beiden „Teufel“ zu wählen
In London gab es lange Schlangen vor mehreren Wahllokalen - und das auch noch in den Abendstunden - und sozialen Medien zufolge teils ungewöhnlich viele junge Wähler. In Bermondsey and Old Southwark sagte ein 27-Jähriger: „Für viele ist es eben die Wahl unseres Lebens.“ Zahlreiche User schrieben von einer ungewöhnlich großen Anzahl an Menschen, die sich anstellten, um ihre Stimme abzugeben.

„Wie Wahl zwischen Donald Trump und Hillary Clinton“
Johnson und Corbyn sind bei den Wählern nicht besonders populär. Viele Briten stufen den Premierminister, der den Brexit zum 31. Jänner 2020 durchziehen will, als nicht als vertrauenswürdig ein. Corbyn, der vor allem auf soziale Themen wie Gesundheit und Bildung setzte, hat sich lange Zeit nicht klar zum Brexit positioniert. Außerdem werden ihm und seiner Partei eine feindliche Haltung gegen Juden vorgeworfen. „Ich finde, man kann die Wahl zwischen Boris Johnson und Jeremy Corbyn mit der Abstimmung damals in den USA über Donald Trump und Hillary Clinton vergleichen: Beide sind Teufel“, sagte ein Brite, der in der Nähe des Londoner Parlaments arbeitet.

(Bild: AFP)

EU begrüßt Klarheit des britischen Wahlausgangs
Europäische Diplomaten begrüßten die Deutlichkeit des offenbaren Wahlausgangs. „Klarheit ist gut“, sagt ein EU-Vertreter. Ein französischer Diplomat erwartet einen raschen Ausstieg Großbritanniens aus der EU. „Falls das Ergebnis bestätigt wird, nehmen wir an, dass (Johnson) das tun wird, was er gesagt hat - Brexit Ende Jänner“, sagt der Diplomat. Die Beziehung zu Großbritannien sollte so eng wie möglich bleiben. 

Tusk für „bestmögliche Beziehungen“ mit Vereinigtem Königreich
Darauf hatte zuvor auch der Chef der Europäischen Volkspartei, Donald Tusk, gepocht: „Die EU sollte alles tun, um die bestmöglichen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich zu haben. Brexit-Müdigkeit kann nicht Müdigkeit gegenüber dem Vereinigten Königreich bedeuten. Was auch immer passiert, wir müssen beste Freunde und engste Partner bleiben“, sagte Tusk am Donnerstag am Rande eines Treffens der Staats- und Regierungschefs der EVP vor dem EU-Gipfel in Brüssel.

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