Corbyn vor Rücktritt
Absolute für Johnson, „Blutbad“ für Labour
Historischer Wahlsieg und die absolute Mehrheit für die Konservativen in Großbritannien! Bei der Unterhauswahl am Donnerstag hat die Partei von Premierminister Boris Johnson neben ihren traditionellen Wahlbezirken auch in den Labour-Hochburgen ordentlich abgeräumt. Schon als die Tories die Arbeiterbezirke Workington und Darlington gewinnen konnten, sagte ein Kommentator des TV-Senders Sky News: „Man kann von einem Blutbad sprechen.“ Labour-Chef Jeremy Corbyn stellte seinen Rücktritt bereits in Aussicht, Johnson wertete den sich abzeichnenden Erdrutschsieg seiner Tories als „mächtiges Mandat für den Brexit“.
„Ich werde die Partei nicht in eine weitere Wahl führen“, sagte Corbyn Freitagfrüh bei der Verkündung des Ergebnisses in seinem Londoner Wahlkreis Islington, wo er mit großer Mehrheit als Unterhausabgeordneter wiedergewählt wurde. Er sprach von einer „sehr enttäuschenden Nacht“.
Der Labour-Chef betonte, dass die von der Partei vorgeschlagenen Programme „äußerst populär“ gewesen seien. Der Brexit habe das Land aber polarisiert und diese Fragen überdeckt. „Die Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Nöte wird aber nicht verschwinden, all diese Fragen werden wieder in den Mittelpunkt zurückkehren“, betonte er.
Johnson: Mit Arbeit schon „heute“ beginnen
Auch Johnson konnte seinen Sitz im Londoner Unterhaus verteidigen. Er setzte sich in seinem Wahlkreis Uxbridge and South Ruislip deutlich gegen seinen jungen Labour-Herausforderer durch. Nach dem in der Nacht auf Freitag verkündeten Ergebnis konnte der Premierminister sogar leicht auf 52,6 Prozent der Stimmen zulegen. Die britische Regierung habe nun die Gelegenheit, „den demokratischen Willen des britischen Volkes zu respektieren“. Mit der Arbeit daran werde man schon „heute“ beginnen.
Fast alle Wahlkreise ausgezählt
Die Tories überschritten bereits vor Abschluss der Auszählung die Schwelle von 326 der 650 Unterhaussitze. Laut einem vom Fernsehsender Sky News veröffentlichten Zwischenergebnis erhielten sie 357 der 639 ausgezählten Mandate, während die Labour Party bei 202 Mandaten lag. Fernsehsender sagten der Regierungspartei ein Endergebnis von rund 360 Sitzen voraus.
Liberaldemokraten erleiden ebenfalls Wahldesaster
Die Labour Party konnte sich immerhin über der symbolischen Marke von 200 Mandaten halten, verlor aber 60 Sitze im Vergleich zur Wahl 2017. Es handelte sich um den geringsten Mandatsstand seit dem Jahr 1935. Ein Wahldesaster setzte es auch für die proeuropäischen Liberaldemokraten, die den EU-Austrittsantrag rückgängig machen wollten und nur bei rund zehn Mandaten landeten. Ihre Chefin Jo Swinson verlor sogar ihren Sitz im schottischen Dunbartonshire East an die Schottische Nationalpartei (SNP), die rund 50 der 59 schottischen Sitze einsammeln dürfte. SNP-Chefin Nicola Sturgeon sagte mit Blick auf das Ergebnis in Schottland, dass Premier Johnson kein Mandat habe, den Landesteil aus der EU zu führen. „Schottland muss eine Wahl über seine Zukunft bekommen“, forderte sie ein neuerliches Unabhängigkeitsreferendum.
Nationalistische Mehrheit in Nordirland?
Einen Denkzettel für ihren Brexit-Kurs erhielten auch die nordirischen Unionisten, deren Vizechef Nigel Dodds abgewählt wurde. Erstmals seit der Teilung der Insel im Jahr 1921 dürfte Nordirland damit mehr irisch-nationalistische Abgeordnete haben als Unionisten. Die Grünen behielten ihren Sitz, die Brexit Party von EU-Gegner Nigel Farage ging leer aus.
Die Tories haben auch in den Labour-Hochburgen abgeräumt. Nach dem historischen Durchbruch im Wahlkreis Blythe Valley konnten die Tories auch die Arbeiterbezirke Workington und Darlington gewinnen. In Leigh in Greater Manchester ergatterten sie einen Sitz, der fast 100 Jahre Labour gehört hatte.
Scharfe Kritik an Labour-Chef Corbyn
Auf Twitter und in Fernsehsendungen gab es bereits kurz nach der Bekanntgabe der ersten Ergebnisse scharfe Kritik am Labour-Parteichef, aber auch gegenseitige Vorwürfe von Vertretern der verschiedenen Parteiflügel. Während das Lager Corbyns die Brexit-Kampagne von Premierminister Johnson für die sich abzeichnende Niederlage verantwortlich machte, verwiesen die Gegner des Parteichefs auf dessen niedrige Zustimmungswerte.
„Das ist die Schuld eines Mannes. Seine Kampagne, sein Wahlprogramm, seine Führung“, schrieb die langjährige Labour-Abgeordnete Siobhain McDonagh. Der Abgeordnete Gareth Snell, der sich auf eine Niederlage in der Labour-Hochburg Stoke-on-Trent Central einstellte, beantwortete in einem BBC-Interview die Frage, ob Corbyn gehen müsse, mit einem lapidaren „Ja“.
„Die nächste Wahl wird keine Brexit-Wahl sein“
„Das war eine Brexit-Wahl, aber die nächste Wahl wird keine Brexit-Wahl sein“, sagte dagegen Schatten-Justizminister Richard Burgon, der sich für eine genaue Analyse des Wahlergebnisses aussprach. Die Nummer zwei des Labour-Schattenkabinetts, John McDonnell, wollte in einer ersten Reaktion einen Rücktritt Corbyns explizit nicht ausschließen. Der Schatten-Finanzminister sagte lediglich, dass nach dem Vorliegen der tatsächlichen Ergebnisse „die angemessenen Entscheidungen“ getroffen würden.
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