Mitten im Indischen Ozean liegt der südlichste Punkt der Europäischen Union, Frankreichs Überseedepartement La Réunion - ein Paradies.
Kennen Sie den heiligen Expédit? Wahrscheinlich nicht. Dass die katholische Kirche an seiner Existenz zweifelt, ist den Bewohnern auf La Réunion egal. Dort, 13 Flugstunden von Wien entfernt, 700 Kilometer östlich von Madagaskar, mitten im Indischen Ozean, haben die Bewohner für ihren Heiligen rot bemalte Gebetsstätten errichtet. Er spielt für sie die Hauptrolle, denn nur er ist in der Lage, Probleme sofort zu lösen. Ob es um eine Führerscheinprüfung oder die Bitte um die Rückkehr des untreuen Ehemannes geht – wer den „kleinen, lieben Gott“ verehrt, darf auf seine Unterstützung hoffen.
Auch ich habe mir etwas gewünscht, nämlich einen angenehmen Flug, aber daraus wird nichts. Geflogen wird von Wien nach Paris, dann direkt mit der Air Austral nach St-Denis, zur Hauptstadt der Insel, die gerade einmal so groß wie Vorarlberg oder Luxemburg ist. Die Reise ist lange und beschwerlich, dafür führt sie in ein Paradies. Kein Wunder: La Réunion ist ein französisches Überseedepartement und der südlichste Punkt der EU, in dem der Euro am 1. Jänner 2002 erstmals als Zahlungsmittel verwendet wurde. Das Mutterland sorgt sich um seine Fernwehidylle und schickt viel Geld übers Meer. Die Besucher erwartet eine perfekte Infrastruktur – gepflegte Städte und Dörfer, ein gut ausgebautes Straßennetz, schöne Unterkünfte und kulinarische Spezialitäten aus einer Fusion zwischen französischer und kreolischer Küche.
Unser Programm beginnt nach der Landung in St-Denis im Norden mit dem Besuch eines TamilenTempels. Nach außen gleicht er einer Baustelle, doch die kleine Anlage hat für Rolande, unsere aus Madagaskar stammende Reiseleiterin, eine große symbolische Bedeutung: „Ob Tamilen, Moslems, Buddhisten oder Christen - bei uns auf der Insel leben alle Menschen friedlich miteinander.“ Wenn das nur so auf der ganzen Welt wäre!
Die Fahrt geht weiter in den üppig grünen Talkessel von Salazie, der zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Die steilen, dicht bewachsenen Hänge, ein Eldorado für Wanderer, sind von Wasserfällen durchsetzt. In die Landschaft eingebettet finden sich kleine kreolische Dörfer.
Hell-Bourg ist eines der schönsten, besticht durch seine bunten Häuser. In der Nähe befindet sich das Restaurant Villa Marthe, in dem wir typisch kreolische Küche kennenlernen: pikant gefüllte Frühlingsrollen, scharfe frittierte Bällchen mit einer Mischung von Kichererbsen und Chili sowie etwas, das auf La Réunion niemals fehlen darf: das Cari. Das ist ein Mix aus Reis, Bohnen, Fisch oder Fleisch. Wer mag, verfeinert ihn mit Rougail, einer scharfen Soße aus Zitronen, Mangos und Chili. Dazu wird das auf der Insel gebraute Dodo-Bier getrunken oder die leichte Variante, die sich wie im deutschen Sprachraum „Radler“ nennt. Sind Sie ein Weinliebhaber, keine Sorge: Sie bekommen edle Tropfen aus Frankreich, aber auch aus Südafrika. Wein wird auch auf der Insel gekeltert – aus Isabella-Trauben, mit viel Zucker versetzt. Wie er schmeckt? Na ja
Die erste Übernachtung erfolgt in 600 Meter Seehöhe in der Diana Déa Lodge. Eine schmale Asphaltstraße und unzählige Serpentinen führen zu dem Vier-Sterne-Hotel, das einen atemberaubenden Blick ins Tal ermöglicht. Der Gast fühlt sich wie auf einer Alm, und dieses Gefühl wird beim Anblick von Rehen und Hirschen verstärkt. Kein Witz: Auf La Réunion gibt es auch Wild, das – ebenfalls ungewöhnlich – von Mauritius eingeschifft wurde. Im Hotel dominiert französische Gastlichkeit. Da dürfen knusprige Baguettes, flaumige Croissants und die unvergleichlichen Macarons natürlich nicht fehlen. Köstlich!
Der zweite Tag führt uns an die Südostküste zu den erkalteten Lavaströmen des 2632 Meter hohen Piton de la Fournaise, eines Vulkans, der keine Ruhe geben will. Seit 1640 gab es mehr als 180 Ausbrüche, den letzten im Oktober 2019. In den meisten Fällen strömte die 1200 Grad heiße Lava mit einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h ins Meer und erwärmte es auf 70 Grad, wodurch Tausende Fische gekocht wurden. „Der Vulkan furzt“, sagen die Einheimischen über jeden Ausbruch. „Einmal hat er vor einer Kirche haltgemacht – ein Wunder“, erzählt Jean, unser Chauffeur.
Jean macht mit mir eine kleine Rundfahrt, während meine Berufskollegen, von einem Profi begleitet, durch ein beeindruckendes Höhlensystem kriechen (buchbar unter www.reunionmeretmontagne.com). Dabei erzählt er mir über sein Leben: Dass er seine aus der Bretagne stammende Ehefrau auf Mauritius kennengelernt habe, weil beide einen Flug versäumten. Und er vertraut mir seine Schwäche an. „Auf der Insel wachsen überall Litschi-Bäume, und ich könnte pro Tag drei Kilo Früchte essen.“ Mich aber interessiert eine ganz andere Frucht, und sie beherrscht vom Dorf Le Tremblet aus die kulinarische Welt. Ich meine die Bourbon-Vanille, die seit einigen Jahren und gesetzlich geschützt auch als „Blaue“ angeboten wird. Sie wird konserviert statt dehydriert, bewahrt so ihr Aroma. Der Preis? 90 Euro für acht Schoten.
Der folgende Tag gehört dem Vulkan. Die Fahrt dorthin führt an saftigen Wiesen vorbei, auf denen Kühe weiden. Einen Moment fühlt man sich (so weit weg von daheim) wie auf einer Alm, doch die Idylle ist ganz plötzlich vorbei. Rundherum nur erstarrte Lava. So schaut’s wohl auch auf dem Mond aus. Für alle Wanderer ist das ein wahres Paradies. Wer das (in 2356 Meter Höhe) besonders genießen möchte, fragt nach Claire, die Meditationswanderungen durchführt. Paradiesisch sind auch die vielen Pfade, die in den Talkessel von Mafate führen. Erreichbar sind die Bewohner nur zu Fuß oder mittels Helikopter. Gewandert wird auf den Spuren von Ivrin Pausé, dem berühmten Briefträger von Mafate, der vor einigen Monaten im 92. Lebensjahr starb. In seiner 40-jährigen Amtszeit hat er 250.000 Kilometer bewältigt und damit zu Fuß mehr als sechsmal die Erde umrundet. Wem das Marschieren in der Hitze zu anstrengend ist, der erlebt an der Westküste seinen Traumurlaub. Rund um St-Gilles befinden sich schöne Hotels und tolle Restaurants. Und ein blitzblaues, sauberes Meer.
Apropos Meer: Es stimmt, dass es rund um La Réunion viele Haie gibt und zahlreiche Surfer und Schwimmer starben. Sie alle haben zu viel riskiert und nicht respektiert, dass Menschen im Einklang mit der Natur leben sollen. Ungefährliche Strände - sie sind durch Korallenriffe oder Netze gesichert - gibt es genügend. Doch wo eine rote Tafel steht, ist das Wasser tabu.
Die beste Reisezeit ist das ganze Jahr über, ausgenommen von Ende Dezember bis Anfang Februar. Da kann es passieren, dass Zyklone mit 200 km/h über die Insel fegen, Schaden anrichten – aber den Bewohnern auch nutzen. Denn der Orkan reißt alle lästigen Moskitos mit. Da braucht niemand den heiligen Expédit darum zu bitten.
Manfred Niederl, Kronen Zeitung
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