Kriminelles Netzwerk
Kinderhandel-Mafia verkaufte Babys aus Armenien
Nur eine Unterschrift, und ihre kleine Stella war weg. Seit 20 Jahren sucht die Armenierin Susan Patwakanian nach ihrer Tochter, die möglicherweise in die Fänge eines illegalen Kinderhandel-Netzwerkes geraten ist. Derzeit laufen in Armenien Ermittlungen gegen mehrere Verantwortliche, denen vorgeworfen wird, an zahlreichen Fällen von Kinderhandel beteiligt zu sein.
Patwakanian erhebt schwere Vorwürfe gegen den Leiter der Geburtsklinik. Die heute 35-Jährige war erst 16, als sie von einem fünf Jahre älteren Mann schwanger wurde und ein Kind bekam. Sie sei damals „wahnsinnig verliebt“ gewesen, erzählt sie. Nach der Geburt ihrer Tochter im Jahr 2000 hätten die Ärzte ihr gedroht, ihren Freund wegen Verführung Minderjähriger anzuzeigen, wenn sie selbst nicht bereit sei, ihr Kind abzugeben.
Mutter überzeugt: „Kind wurde verkauft“
„Ich habe geweint, ich wollte es nicht tun“, erzählt Patwakanian unter Tränen. Schließlich habe sie das Dokument unter dem Druck des medizinischen Personals unterzeichnet, es aber sofort bereut. Als sie drei Tage später in die Geburtsstation zurückkehrte, um Stella mit nach Hause zu nehmen, sei ihre Tochter nicht mehr dort gewesen. Auch in einem Waisenhaus, in das die Ärzte sie schickten, sei keine Spur von dem Säugling gewesen. Ihr Kind sei bereits „verkauft“ worden, ist die Mutter überzeugt.
Susan ist eine von vielen armenischen Frauen, die von solchen Erfahrungen berichten. Ein Ermittlerteam geht nun gegen ein mutmaßliches Kinderhandel-Netzwerk in Armenien vor. Regierungschef Nikol Paschinjan ordnete gründliche Untersuchungen an und äußerte den Verdacht, der Babyhändlerring habe „seit vielen Jahren“ bestanden. Mitte Dezember wurden Rasmik Abramian, der Leiter der Geburtsklinik in der Hauptstadt Jerewan, sein Stellvertreter sowie die Leiterin eines Waisenhauses festgenommen.
„Land in eine Baby-Brutstätte verwandelt“
„Die Kinderhandel-Mafia ist mächtiger als die Drogenmafia“, sagt der Anwalt Marat Kostanian, der Susan seit mehreren Jahren vertritt. „Das kriminelle Netzwerk hat das Land in eine Baby-Brutstätte verwandelt.“ Kostanian zufolge handelt es sich um ein großes Netzwerk, in das neben Kliniken und Waisenhäusern auch Regierungsbeamte und Polizisten involviert seien.
Der Anwalt des Chef-Gynäkologen Abramian weist die Vorwürfe als „unbegründet und absurd“ zurück - sein Mandant habe mit dem Fall nichts zu tun. Abramian sei zwar bei der Geburt der kleinen Stella dabei gewesen - „aber das ist 20 Jahre her, wie könnte er sich da noch an sie erinnern?“
Land setzte sämtliche Adoptionen aus
Nach Angaben der stellvertretenden Arbeitsministerin Sanna Andreasian wurden die Behörden aufmerksam, nachdem auffiel, dass viermal so viele armenische Kinder zur Adoption an ausländische Eltern vermittelt wurden als an Einheimische. Während die Ermittlungen laufen, wurden sämtliche Adoptionen ausgesetzt.
Susan Patwakanian gibt die Hoffnung nicht auf, ihre Tochter eines Tages wiederzufinden. Sie kauft ihr Geschenke, träumt von ihr und hat ein kleines Stück Land gekauft, auf dem sie für ihre Tochter einen Garten anlegen will. Fremden schaut sie stets ganz genau ins Gesicht, um zu sehen, ob eine davon vielleicht ihre Stella ist. „Ich werde nie aufhören, nach ihr zu suchen“, sagt Susan. „Selbst wenn mein Haar eines Tages weiß ist, werde ich weiter nach ihr suchen.“
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