„Drüberfahren“ satt

Die Macht der Bürger in der touristischen Zukunft

Tirol
04.01.2020 09:00
Speziell im Tourismus sieht die ansässige Bevölkerung die Grenze des Erträglichen erreicht, sie möchte in die Entscheidungen der Zukunft eingebunden werden. Im Ötztal und im Tannheimertal scheint man zu verstehen, dass es ohne breiten Konsens keinen „Frieden“ gibt. Dort lässt man die Bürger bereits mitreden.

Die Tiroler wissen genau, dass der Tourismus jene Hand ist, die sie füttert. Doch viele spüren ein Völlegefühl und fürchten die Auswirkungen einer Überfütterung. Sich des Urgedankens der Demokratie besinnend, begehrte das „Volk“ im letzten Jahr beispielsweise im Ötztal auf. Die Pläne eines Zusammenschlusses der Skigebiete Hochoetz und Kühtai erfuhren heftigen proletarischen Gegenwind, die Bürgerinitiative zur „Rettung der Feldringer Böden“ als Speerspitze. Letztendlich waren wohl der unerwartet heftige Widerstand und die unangenehme Medienpräsenz dafür verantwortlich, dass das Tourismusprojekt zumindest vorerst auf Eis gelegt wurde.

Bürger reden bei der Mobilität im Ötztal mit
Auch das (nicht mehr) ewige Eis der Ötztaler und Pitztaler Gletscher wirbelte enormen Staub auf: Die so genannte Gletscherehe polarisierte und polarisiert die Menschen in beiden Tälern. Im Ötztal fürchten viele Einwohner einen weiteren Anstieg des Verkehrs. Die Touristiker traten die Flucht nach vorne an und gründeten die Mobilitätsstrategie „Ötztal 2030“. Der projektverantwortliche Verkehrsexperte Andreas Knapp bei der Präsentation: „Unser Ziel ist es, die Fahrten um 30 Prozent zu reduzieren. Die Maßnahmen dafür sollen in einem ergebnisoffenen Bürgerbeteiligungsprozess entwickelt werden.“

Bis zu 20.000 Fahrzeuge rollen an Spitzentagen durch Oetz. (Bild: Daum Hubert)
Bis zu 20.000 Fahrzeuge rollen an Spitzentagen durch Oetz.

Gesagt, getan. In jeder Ötztaler Gemeinde wurde im Herbst ein Abend organisiert, an dem die Dorfbürger ihre Anliegen und ihre Vorschläge darlegen konnten. Mittlerweile hatte sich auch in Oetz eine Bürgerinitiative gegründet, die sich gegen das „über die Bürger drüberfahren“ stark macht. Im Fokus steht nämlich das, was über den Oetzer Asphalt drüberfährt, nämlich bis zu 20.000 Fahrzeuge an Spitzentagen.

Oetzer Bevölkerung soll Zukunftsimpulse liefern
Wie geht es also weiter in Oetz? „Wir möchten die Einwohner in die künftige Entwicklung der Gemeinde einbinden“, sagt BM Hansjörg Falkner. Deshalb habe der Gemeinderat den Beschluss gefasst, eine „trag- und konsensfähige Zukunftsstrategie“ zu entwickeln. Im Mantel eines Regio-Projektes werde in den kommenden Jahren mit den Bürgern eine Strategie zum Wirtschafts-, Lebens- und Kulturraum Oetz entwickelt – und das Ganze mit professioneller Begleitung.

Tourismusgesinnung zusehends kritischer
„Wir spüren, dass die Haltung der Bevölkerung dem Tourismus gegenüber kritischer wird“, sagt der Obmann des Tourismusverbandes Tannheimertal, Walter Barbist, „das Hauptproblem scheint der Verkehr zu sein.“ Deshalb werde man die Einwohner in die künftige Entwicklung einbinden. Aus diesem Grund starteten die Touristiker in der Vollversammlung am 17. Dezember einen anonymen Online-Bürgerbeteiligungsprozess für einen „noch lebenswerteren Lebensraum“, professionell begleitet von einem Wiener Unternehmen.

„Lebensqualimeter“ als Leitfaden
Bis Ende Jänner stehen 86 Fragen zu verschiedenen Themen wie Infrastruktur, Verkehr, Lebensqualität, Arbeit oder Bildung unter www.tannheimertal.com/umfrage zur Beantwortung bereit. Dieses „Lebensqualimeter“ sollte nach der Auswertung als Leitfaden für Verbesserungen dienen. Verbessert werden sollte in erster Linie die Tourismusgesinnung. Auch die Experten glauben, dass es künftig ohne Bürgerbeteiligung nicht mehr gehen wird.

Hubert Daum, Kronen Zeitung

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