Unter dem Credo „das Beste aus beiden Welten“ zu vereinen, haben ÖVP und Grüne ein Regierungsabkommen geschmiedet. Doch wie kann all das angesichts der fundamentalen Ideologieunterschiede der beiden Parteien gut gehen? Experten listen auf, was für eine langfristige Zusammenarbeit spricht - und welche Punkte Sprengkraft für die türkis-grüne Allianz bergen.
Ob nun vom Umweltschützer zum Industriellen, vom Flüchtlingshelfer zum Asyl-Hardliner oder einfach nur ganz grundsätzlich von Mitte-rechts nach ganz links: Die Wege, die Türkis und Grün in nahezu allen Bereichen aufeinander zuzugehen haben, sind weit.
Und doch haben die beiden Parteien nun auf 326 Seiten niedergeschrieben, wie sie Österreich in den kommenden Jahren regieren wollen.
Allein: Wie soll das funktionieren?
Pro: Jedem sein Gehege und kaum Alternativen
Hört man sich bei Experten um, spricht tatsächlich eine Reihe von Gründen dafür, dass die türkis-grüne Partnerschaft lange - zumindest länger als die letzten beiden Regierungen - halten wird. „Allen voran“, erklärt Meinungsforscher Peter Hajek, „ist es der Druck von außen.“ Konkret: „Vor allem die ÖVP kann es sich schließlich nicht leisten, diese Regierung frühzeitig platzen zu lassen. Das ist eine starke Klammer.“ Zumal, wie Peter Filzmaier ergänzt, die ÖVP angesichts der Krisen von Rot und Blau mittelfristig ohnehin über keine wirklichen Alternativen verfügt.
Laut Hajek hängt viel von den ersten Monaten ab: Schafft es die neue Regierung, ideologische Gräben zu überspringen, „kann das viel Sicherheit bringen“. Damit ist laut Filzmaier eine aus parteitaktischer Sicht große Chance verbunden: Gelingt der Abtausch von Projekten halbwegs, und darauf deutet laut dem Experten nach der Programmpräsentation einiges hin, kommen sich ÖVP und Grüne de facto „nicht ins Gehege“.
Der Abtausch scheint zu funktionieren. Zudem kann die Unterschiedlichkeit eine Stärke sein, weil man sich nicht ins Gehege kommt.
Peter Filzmaier
Das war unter Türkis-Blau noch anders, da ritterten die teils im selben Wählerteich fischenden Koalitionäre ÖVP und FPÖ etwa im Sicherheitsbereich stets darum, wer denn nun der Härtere ist. Auch die Führungsfiguren Kurz und Kogler ähneln einander so wenig, dass sie sich nicht in ständigen Revierkämpfen verlieren müssten, sagt Filzmaier. Kurzum: „All diese Unterschiede können letztlich zur Stärke werden.“
Letzthin spiele auch die Themenlage eine zentrale Rolle - denn um den Nimbus der Erneuerung zu wahren, müsse die ÖVP auch Ökomaßnahmen ermöglichen.
Kontra: Geldnot und der „koalitionsfreie Raum“
Allerdings existieren auch Fallstricke zuhauf, mitunter in der Frage nach dem Geld. Denn wie die für Grün so wichtigen Ökoprojekte - vom 1-2-3-Klimaticket bis hin zur großen Ökosteuerreform - finanziert werden sollen, das ist derzeit völlig unklar. „Verschlechtert sich die Wirtschaftslage“, sagt Filzmaier, „funktioniert der Abtausch plötzlich nicht mehr so gut, man hat ja weniger zu verteilen“ - vor allem angesichts des von den Grünen im Koalitionspakt akzeptierten ÖVP-Mantras, keine neuen Schulden zu machen.
Die größte Krux liegt wohl im koalitionsfreien Raum, den ÖVP und Grüne für den Fall einer Asylkrise paktiert haben.
Peter Hajek
Laut Hajek ist das Budget allerdings noch gar nicht „die größte Krux“ an der türkis-grünen Sache. Der Meinungsforscher wähnt den meisten Zündstoff im „koalitionsfreien Raum“, den ÖVP und Grüne für den Fall einer Asylkrise paktiert haben: „Das Ganze hat Sprengkraft, es ist ja nicht sehr genau beschrieben“, sagt Hajek. „Denn wer sagt, wann eine solche Krise herrscht?“
Klaus Knittelfelder, Kronen Zeitung
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