Das große Interview

Sind Sie Wiederholungstäter, Herr Faßmann?

Politik
10.01.2020 06:00

Zum zweiten Mal türkiser Unterrichtsminister: Mit Conny Bischofberger spricht Heinz Faßmann (64) über die Weltformel für das Schulsystem, eine „innere Verpflichtung“, Zuspruch im Supermarkt und den Luxus einer privaten Auszeit.

Das Palais Starhemberg am Wiener Minoritenplatz: Über den roten Teppich geht’s hinauf in den ersten Stock, die Wände auf dem Weg in sein Büro sind voll mit Kunst von Schülern. Das hat seine Vorgängerin in der Übergangsregierung sich so gewünscht und vielleicht bleibt es auch so. „Das Büro ist noch ganz leer“, entschuldigt sich Faßmann, noch nicht einmal die Bücher sind übersiedelt. Dann nimmt der freundliche Riese (2,03 Meter groß) am Tisch vor dem goldenen Spiegel Platz. Er spricht eindringlich und leise. Schlagzeilen und simple Formeln sind nicht seins, Faßmann hat eine Liebe zum Komplexen.

„Krone“: Glücklich, wieder hier zu sein?
Heinz Faßmann: Ja, ich bin froh, wieder hier zu sein, bin freudig aufgenommen worden. Es fühlt sich so an, als ob es nur eine kurze Pause gewesen wäre.

Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?
Ich war an der Uni, aber ich habe mir ein Forschungsfreisemester zugestanden. Viel gelesen, nachgedacht, geschrieben. Es war eine gute Zeit, um die Batterien wieder aufzuladen und über manches nachzudenken.

Haben Sie auch überlegt, nicht mehr zurück ins Ministerium zu gehen?
Aber natürlich, man denkt immer in Alternativen. Die 17 Monate vor dem Bruch der Koalition waren aber so interessant, dass ich schon das Gefühl einer inneren Missionierung habe. Man möchte etwas weiterbringen, etwas gestalten, und ich bin daher glücklich, dies tun zu dürfen.

(Bild: Klemens Groh)

Wann hat sich denn herauskristallisiert, dass Sie Ihr eigener Nachfolger werden?
Ich stand mit Sebastian Kurz in regelmäßigem Austausch. Wir haben darüber schon nach der Wahl gesprochen. Ich fand deshalb interessant, welche Namen durch die Zeitungen gegeistert sind, obwohl es von Anfang an einigermaßen klar war. Interessanterweise hatte ich auch viel Zuspruch. Mich haben Menschen im Supermarkt angesprochen, was aufgrund meines hohen Wiedererkennungswertes vielleicht keine Überraschung ist.

Was haben sie gesagt?
„Gut gemacht!“ „Machen Sie weiter so.“ Viel Zuspruch baut schon so etwas wie eine innere Verpflichtung in einem auf.

Hatten Sie im Gespräch mit Sebastian Kurz auch Bedingungen?
Natürlich thematisiert man, unter welchen Prämissen und wie die Gesamtkonzeption auszuschauen hat, aber man geht mit einem Kanzler nicht in ein Gespräch und sagt: „Eins, zwei drei: Das sind meine Bedingungen.“

Ihre Vorgängerin hat im Abschiedsinterview gemeint, die größte Ernüchterung in diesem Amt sei gewesen, wie schaumgebremst man eigentlich als Minister dann in der Umsetzung ist. Hat sie recht?
Ich denke, Frau Rauskala hat darauf angespielt, dass der Übergangsregierung die parlamentarische Unterstützung gefehlt hat. Ich hätte auch nicht gesagt, dass „schaumgebremst“ die richtige Etikette ist. Der politische Prozess ist vielschichtig, er erfordert immer Zeit und Geduld und Überzeugungskraft. Wir leben eben nicht in einem Staat, wo man sagt, was zu geschehen hat. Die Mühen der Ebene … Ich halte diesen Prozess für gut, weil er Fehler vermeidet.

(Bild: Klemens Groh)

Sebastian Kurz hat Werner Kogler als „Überzeugungstäter“ bezeichnet. Sind Sie dann ein „Wiederholungstäter“, weil Sie jetzt zum zweiten Mal Unterrichtsminister werden?
Ich bin sicher kein „Täter“ (lacht). Aber ich bin sehr wohl einer, der sein Ministeramt mit großer innerer Überzeugung macht. Und jetzt weiß ich auch schon, worauf ich mich eingelassen habe.

Vieles, was im Regierungsprogramm steht, klingt super: mehr Unterstützung für Brennpunktschulen, für Kinder, die Deutsch lernen müssen, für Gewaltprävention. Aber woher soll das Personal kommen und woher soll das Geld dafür kommen? 
Es ist nicht alles immer eine Frage des Geldes und des Personals. Manches ist doch einfach eine Frage der Organisation. Wir wollen eine situationsabhängige, problemorientierte Finanzierung im Schulsystem schaffen. Daher muss man auch die Schulen fragen: Was ist eure Konzeption? Was wollt ihr mit mehr Geld machen? Wir schütten nicht einfach das Füllhorn aus.

Das Regierungsprogramm enthält auch vieles für die Religionsgemeinschaften: Kopftuchverbot, Bekämpfung des politischen Islam, integrationsfördernder Religionsunterricht. Ist das alles auf muslimische Schüler gemünzt? 
Nein, ich sehe das generell. Religion kann eine Brücke sein, Religion kann aber auch ein Instrument der Trennung sein. Und ich hätte gerne die Brückenfunktion der Religion betont. Das betrifft den islamischen Religionsunterricht, aber es ist auch eine generelle Frage.

Frage an Sie als Migrationsexperten: Bringt die Ausweitung des Kopftuchverbots auf 14 Jahre etwas?
Ja, es schafft den Mädchen Freiräume, in denen sie sich von bestimmten Traditionen lösen können. Susanne Wiesinger, die im Ministerium Ombudsfrau für Kultur- und Wertefragen ist, hat für mich sehr überzeugend darstellen können, dass Mädchen manchmal zu einer ganz spezifischen Rolle gedrängt werden. Deshalb braucht es die Schule als einen gesellschaftlichen Raum, wo es solche Traditionen nicht unbedingt geben muss. Da habe ich auch dazugelernt.

(Bild: Klemens Groh)

Das Kopftuchverbot muss im Parlament beschlossen werden. Glauben Sie, dass Grün da mitstimmen wird?
Ja, gerade dieser Aspekt von Mädchen- und Frauenförderung ist für die Grünen ein ganz wichtiger Punkt. Für mich genauso. Ich glaube, dass das eine breite Mehrheit finden wird.

Ist es für Sie nachvollziehbar, dass die Frauenagenden zur Integrationsministerin wandern? Klingt eher wie eine Provokation.
Also ich habe es nicht als Provokation empfunden. Die Frauenagenden waren in der Vergangenheit immer an bestimmte andere Ministerien gekoppelt, manchmal war es mit der Familie zusammen. Jetzt ist es mit der Integration zusammen und es wird, glaube ich, von Susanne Raab in einer glaubwürdigen Art und Weise vertreten werden. Und ich bin sicher, dass sie alle Frauen meinen und behandeln wird, nicht nur muslimische.

Sie haben ja mit der FPÖ - Stichwort Ausreisezentrum oder Bevölkerungsaustausch - nicht immer die reinste Freude gehabt. Sind Sie froh, dass jetzt die ÖVP mit den Grünen koaliert?
Ich muss sagen, dass die Zusammenarbeit mit der FPÖ, beispielsweise mit Norbert Hofer im Forschungsbereich, immer hervorragend funktioniert hat. Was sicherlich störend war und was letztlich zur Auflösung geführt hat, war alles das, was sozusagen hinzugekommen ist. Dahin gehend glaube ich, dass wir jetzt in ruhigeres Fahrwasser kommen werden.

Woran wird man an den Schulen ganz konkret merken, dass jetzt nicht mehr die Blauen, sondern die Grünen mitregieren?
Ich glaube, wir werden merken, dass wir ein gemeinsames Regierungsprogramm beschlossen haben. Da halte ich es ganz mit dem Bundespräsidenten: „Es ist ein rot-weiß-rotes Programm.“ Es geht nicht darum, parteipolitische Textexegese zu betreiben. Wer hat was durchgesetzt? Das ist nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist das, was im Regierungsprogramm steht.

(Bild: Klemens Groh)

Keine grünen Signale an den Schulen?
Doch! Mehr Fokus auf die Brennpunktschulen, Klimawandel als Bildungsauftrag. Wir werden auch unsere Schulneubauten noch ökologischer ausrichten.

Wie lange geben Sie dieser Regierung?
Fünf Jahre. Ich bin ein Optimist.

Glauben Sie nicht, dass es in der Praxis dann an Details scheitern könnte?
Es wird immer wieder Anlässe geben, die heikel sind, keine Frage. Aber wir haben eine gemeinsame Vision, wie Österreich in den nächsten fünf Jahren verändert werden soll, und das wird grundsätzlicher sein als einzelne Anlässe. Das wird höher stehen.

Vor acht Monaten tauchte ein Video auf, das zeigte, wie Schüler einer HTL einen Lehrer bedrohen und verspotten. Die Schüler durften an die Schule zurück, der Lehrer ist von der Bildfläche verschwunden. Es hat sich also nichts geändert?
Ich darf Sie korrigieren, es wurden vier Schüler von der Schule ausgeschlossen, von denen einer zum Verwaltungsgerichtshof gegangen ist, der ihm Recht gegeben hat. Er durfte an die Schule zurückkehren. Der Lehrer, das ist richtig, unterrichtet nicht mehr.

(Bild: Klemens Groh)

Ist das nicht ein furchtbares Signal?
Wir haben daraus gelernt und entsprechende Maßnahmen beschlossen. Das Verfahren des Schulausschlusses wird verändert, es muss mehr Kompetenz an den Schulen geben. Wir brauchen auch Streitschlichter, die eingreifen, bevor Konflikte eskalieren. Wenn dieser Fall mich eines gelehrt hat, dann ist es das: Wegschauen löst keine Probleme. Und man hat zu lange weggeschaut.

Sie haben Susanne Wiesinger erwähnt, die ja auch „Krone“-Kolumnistin ist. Wird sie Ombudsfrau im Ministerium bleiben?
Ich hatte mit ihr noch kein Gespräch, ich bin ja erst seit Dienstag wieder im Amt. Ich halte ihre Arbeit für sehr wichtig. Sie hat eine hohe Glaubwürdigkeit in Bildungsfragen und sie wird dafür sorgen, dass Dinge auch transparent gemacht werden. Ich habe Zwischenberichte ihres großen Abschlussberichts gelesen, der uns vieles lehren wird.

Wann wird der Abschlussbericht erscheinen?
Im Laufe des Frühjahres.

Herr Faßmann, was wollen Sie bis 2025 erreicht haben?
Ich habe mich an unseres erstes Gespräch vor zwei Jahren erinnert. Damals habe ich auf Ihre Frage geantwortet: „Vernünftiger Minister. Wollte nicht die Welt aus den Angeln heben, hat aber für Schüler und Schülerinnen, Lehrer und Lehrerinnen und auch für die Eltern das Beste gewollt und manches davon auch erreicht.“

Gilt es noch immer?
Ja. Denn es ist ein großer Irrtum zu glauben, es gäbe eine Weltformel für das Bildungssystem. In Wirklichkeit gibt es nur Schritte, inkrementelle kleine und größere Schritte - und wenn wir diese in die richtige Richtung gehen, dann passt es. Das Haus wird nicht niedergerissen und neu gebaut.

Anerkannter Migrationsexperte
Geboren am 13. August 1955 in Düsseldorf. Studium der Geografie, Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Wien. 1996 wird Faßmann Professor an der TU München, ab 2000 arbeitet er in Wien, vor der Politik als Vizerektor der Universität. Als Kurz Integrationsminister wird, lässt er sich von Faßmann, der anerkannter Migrationsexperte ist, beraten. 2017 wird er das erste Mal Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung, am 7. Jänner das zweite Mal. Verheiratet mit Sigrid, einer AHS-Lehrerin, eine Tochter (33), ein Sohn (29 Jahre alt).

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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