Sie ist die erste Ministerin mit Migrationshintergrund, die erste grüne Justizministerin und auch die jüngste, die Österreich je hatte: Mit Conny Bischofberger spricht Alma Zadic (35) über ihr Hitlergruß-Posting, Morddrohungen, „90 Prozent Solidarität“ und ihre Flucht vor dem Jugoslawien-Krieg, als sie zehn Jahre alt war.
Das barocke Palais Trautson mit seinem verstaubten Charme und den braunen Achtzigerjahre-Möbeln und die junge, grüne Justizministerin, das passt irgendwie nicht ganz zusammen. „Die Einrichtung stammt noch aus der Zeit von Christian Broda“, lacht Alma Zadic, in den riesigen Räumen wirkt sie fast verloren. Ihr Schreibtisch ist noch leer, nur ein „Glücksglas“ fällt auf. Darin sind eingerollte Sprüche, „zur Aufmunterung“, wie sie betont.
Die 35-Jährige trägt schwarzen Blazer, ein dunkelblaues Top mit Spitzeneinsatz, antike Ohrringe. Vor sich hat die neue Justizministerin ein Notizbuch mit Stichworten für ihre Antrittsinterviews, daneben liegt das Regierungsprogramm der Grünen mit 326 Seiten, aufgeschlagen ist das Kapitel „Justiz“. Zadic ist hochkonzentriert und verliert während des ganzen Gesprächs fast nie ihr strahlendes Lächeln.
„Krone“: Frau Zadic …
Alma Zadic: Mit summendem s, nicht mit z… - Sie lacht.
Frau Ssssadic, Sie sind die erste Ministerin mit Migrationshintergrund und auch die erste Ministerin, der gleich nach ihrer Angelobung Polizeischutz gewährt wurde. Wie fühlt sich das an?
Letzteres ehrlich gesagt nicht besonders angenehm. Aber die Beamten machen ihre Arbeit unglaublich professionell und diskret.
Wo sind sie zum Beispiel jetzt?
Immer in meiner Nähe. Am Anfang war es sehr ungewohnt, mittlerweile fühle ich mich in besten Händen.
Gegen Sie hat es eine beispiellose Hasswelle im Netz gegeben, Morddrohungen inklusive. Wie muss man sich das vorstellen?
Ich persönlich halte mich mittlerweile aus den sozialen Medien weitgehend raus und versuche, das alles ganz nüchtern zu betrachten. Der Verfassungsschutz prüft das umfassend und schätzt die Gefährdung immer wieder ein. Das spielt sich fast alles in den sozialen Medien ab, Briefe hab‘ ich bisher noch keine bekommen. Oder ich habe sie noch nicht gesehen.
Ist da auch Angst?
Natürlich wird man auch damit konfrontiert. Aber da ist auch sehr viel Rückhalt. In den letzten Tagen hat mich eine unglaubliche Welle an Solidarität begleitet, das gibt so viel Kraft und Stärke! Es haben sogar Bürgerinnen und Bürger hier im Ministerium angerufen. Das ist wirklich herzzerreißend, wenn man hört: „Frau Ministerin, lassen Sie sich nicht unterkriegen!“
Assoziieren Sie Angst heute noch mit jener Angst, die Sie als Kind in Bosnien-Herzegowina vor dem Zerfall Ihres Landes, vor dem drohenden Krieg gespürt haben?
Das ist eine sehr philosophische Frage … Ich kann sehr emotional werden, man hat das oft in meinen Reden gespürt. Wenn es um Hetze und Spaltung geht, wenn eine Minderheit oder Bevölkerungsgruppe an den Rand gestellt und diskriminiert wird, spüre ich diese Angst wieder, die ich auch damals als Kind gespürt habe. Das ist auch der Grund, warum ich immer aufstehen werde, wenn es um Rassismus geht, weil es mich persönlich auch begleitet hat. So gesehen schöpfe ich aus dieser Angst, wenn man so will, auch meine Kraft.
Sie sind als zehnjähriges Mädchen mit Ihrer Mutter - Ihr Vater kam schon vorher - als Kriegsflüchtling nach Österreich gekommen. Fühlen Sie sich heute als Österreicherin?
Das würde ich gern ein bisschen ausholen. Als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich alles getan, um Teil der Gesellschaft zu werden. Trotzdem bin ich immer wieder zurückgeworfen worden. „Woher kommst du wirklich?“, „Du bist doch keine Österreicherin!“ und so weiter. Da gab es immer wieder Menschen, die einem das Gefühl gaben, nicht dazuzugehören, dabei hat jeder Mensch das Bedürfnis, Teil einer Gruppe zu sein. In den USA habe ich gesehen, dass man sich nicht entscheiden muss. Dort kannst du Mexikaner UND Amerikaner sein. Damals habe ich für mich entschieden: Du kannst beides sein. Österreicherin und Bosnierin. Ich bin in Bosnien-Herzegowina geboren, habe dort die ersten zehn Jahre meines Lebens verbracht, das ist ein Teil meiner Prägung. Und ich bin in Österreich aufgewachsen und hier sozialisiert, auch das ist Teil meiner Prägung und meines sozialen Umfelds. Und gleichzeitig bin ich auch Europäerin. Ich trage also drei Identitäten mit mir.
Und zu wem halten Sie zum Beispiel beim Fußball?
Zu wem hält die Mutter von Serena Williams und Venus Williams, wenn sie beim Spiel zuschaut? Beides sind ihre Kinder, sie wird keines von ihnen bevorzugen. So ist es auch bei mir.
„Migranten müssen sich anpassen“ - sind Sie auf solche Aussagen allergisch?
Wichtig ist es einfach, die Sprache zu lernen. Die Sprache ist der Schlüssel zu Qualifikation. Es ist auch wichtig, ein Teil der Gesellschaft zu sein, ein Teil des Ganzen. Aber ob man jetzt lieber Cevapcici isst oder Wiener Schnitzel, sei jedem selbst überlassen.
Es gab eine Diskussion darüber, ob Sie nun Muslimin sind oder nicht. Wie kam das?
Wir leben in einem säkularen Staat, wo es eigentlich keine Rolle spielen darf, welche Religion man hat, und zum Glück sind wir da auch als Gesellschaft einen weiten Weg gegangen. Es würde ja auch Ihnen niemand die Frage stellen, ob Sie katholisch oder evangelisch sind. Nichtsdestotrotz ist es, gerade wenn es um den muslimischen Glauben geht, immer wieder ein Thema. Die Hetze von einigen Freiheitlichen und der Identitären zielt genau darauf ab. Ich persönlich bin ohne Religionsbekenntnis.
Sie haben in Österreich eine Top-Karriere hingelegt. Können Sie es noch hören, wenn dabei immer der „Migrationshintergrund“ betont wird?
Man wird tatsächlich immer wieder auf dieser Migrationsdasein reduziert. Ich nenne es seither „Migrationsvordergrund“. - Lacht.
Woran spüren Sie heute noch, dass Sie ursprünglich nicht aus Österreich stammen?
Besonders sichtbar war es im Parlament, wenn es um das Thema Sicherheit gegangen ist. Erinnern Sie sich an den Abgeordneten, der gemeint hat: „Wir sind ja hier nicht in Bosnien.“ Und der andere, der gemeint hat: „Alma, bei mir bist du sicher“, was sexistisch war. - Lacht. - Dabei bin ich Österreicherin und gewählte österreichische Abgeordnete, und habe das Recht, mich zu allen Themen zu äußern. Ich denke aber, dass ein sehr großer Teil meine Arbeit positiv sieht. Die Hasser sind nur ein kleiner Teil.
Wie klein, in Prozent?
Ich glaube nicht einmal zehn Prozent. Über 90 Prozent stehen hinter mir.
Schenkt man dieser kleinen Gruppe zu viel Aufmerksamkeit?
Natürlich bekommt sie mehr Aufmerksamkeit, als sie verdient. Andererseits darf man es auch nicht unterschätzen. Man muss Gefahrenpotenziale erkennen und aufgreifen und das hat der Verfassungsschutz gemacht. Das was in den sozialen Medien, diesen Echokammern der eigenen Meinung, passiert und eskaliert, muss die Politik aufgreifen und Gegenmaßnahmen setzen.
Bei der ganzen Diskussion wird ein wenig vergessen, was am Anfang gestanden ist: Sie haben das Foto eines Burschenschafters geteilt, der Donnerstagsdemonstranten den Hitlergruß gezeigt haben soll. Er fühlte sich „gekränkt“ und klagte, der Richter gab ihm in erster Instanz Recht. Ihr Kommentar lautete: „Keine Toleranz für Neonazis, Faschisten und Rassisten!“ Würden Sie das noch einmal so schreiben?
Dieses Foto wurde vielfach geteilt und kommentiert. Ich habe es damals, auch als Vergangenheitssprecherin der Liste JETZT, und während der Gedenkwoche als meine Pflicht gesehen, entsprechend zu reagieren. Das Foto würde ich heute nicht mehr teilen.
Das Verfahren ist anhängig, Ihre Anwältin hat berufen. Was, wenn der Berufung nicht stattgegeben wird? Hätte das Auswirkungen auf Ihr Amt?
Nein, weil es um eine medienrechtliche Entschädigungszahlung geht, nicht um eine strafrechtliche Verurteilung.
Haben Sie Sebastian Kurz seinen Fehler verziehen? Er hatte fälschlicherweise gepostet, Sie seien strafrechtlich verurteilt, und hat das dann richtiggestellt.
Ja, natürlich. Wir haben uns am selben Tag gesehen und persönlich darüber gesprochen. Alles gut!
Es gibt den schlimmen Vorwurf, dass Sie Kontakte zu islamistischen Gruppen hätten. Ein gewisser Irfan Peci - er bezeichnet sich selber als „geläuterten Salafisten“ - behauptet in einem YouTube-Video, dass Sie im Islamischen Kulturzentrum Graz strengkonservative Prediger getroffen hätten, außerdem gebe es auch Kontakte zu anderen Moscheen, in denen problematische Inhalte verbreitet würden.
Das YouTube-Video kenne ich nicht, den Vorwurf schon. Das stimmt so nicht. Peci bezieht sich auf eine Wahlkampfveranstaltung, da sind mehrere Politiker und Politikerinnen in dem Zentrum ein- und ausgegangen, auch von ÖVP und SPÖ. Auch der Grazer Bürgermeister ist immer wieder dort. Ich habe weder Kontakte zu islamistischen Gruppen noch zu anderen Moscheeverbänden.
Ihr Vorgänger in der Übergangsregierung, Clemens Jabloner, hat gesagt, die Justiz sterbe einen stillen Tod. Personalnot, überfüllte Gefängnisse, mangelnde technische Ausrüstung: Fühlt sich diese Aufgabe nicht sehr schwer und groß an?
Ich habe ein sehr ausführliches Gespräch mit dem ehemaligen Justizminister Clemens Jabloner geführt und bin umfassend über die Zustände informiert worden. Natürlich ist es eine Herausforderung, aber ich habe auch hochqualifizierte Fachkräfte, die mich unterstützen. Justiz und Gerichte müssen bald wieder die Rahmenbedingungen vorfinden, unter denen sie gut und gestärkt arbeiten können.
Es fehlen 90 Millionen Euro, die Ermittler sind angesichts großer Causen überfordert. Welche Reformen wird es da brauchen?
Wichtig ist zunächst einmal zu evaluieren, warum gewisse Verfahren so lange dauern und welche konkreten Maßnahmen kann man setzen, dass die Verfahren schneller ablaufen. Gibt es vielleicht zu viele Berichtspflichten, inwiefern behindern sie die Arbeit der Staatsanwälte? Die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft muss auch gestärkt werden. Und natürlich braucht es die notwendigen Ressourcen.
Haben Sie die nötige Härte, das alles durchzusetzen?
Wenn ich etwas in meinem Leben gelernt habe, dann ist es zu kämpfen, immer wieder aufzustehen und weiterzukämpfen. Hartnäckig zu sein.
Was ist der Unterschied zur Härte?
Ich finde es wichtig, bei allen Prozessen und Entscheidungen die handelnden Personen mit einzubeziehen, mit ihnen in einem guten Austausch zu sein, sie nicht vor den Kopf zu stoßen mit irrationalen Forderungen oder mit irrationaler Härte. Fassen wir es so zusammen: Hart in der Sache, herzlich im Umgang.
Sind Sie jemand, der glaubt, dass Häftlinge sich durch Strafen bessern?
Wenn sie die notwendigen Resozialisierungsmaßnahmen bekommen: ja. Psychologen, Bewährungshelfer, auch die Nachbetreuung ist extrem wichtig. Wir wollen, dass Personen nicht rückfällig werden, die Rückfallrate ist leider hoch. Und wir müssen auch in der Präventionsarbeit ansetzen, wenn wir wollen, dass es erst gar nicht zu einer Straftat kommt.
Verstehen Sie, dass der Bevölkerung das Ausmaß der Strafe im Sinne der Gerechtigkeit wichtig ist?
Ja. Strafen sind immer auch ein wichtiges Signal. Sie haben sowohl eine spezial- als auch eine generalpräventive Funktion.
Frau Zadic, Sie sind auch ausgebildete Fitness- und Aerobic-Trainerin, Ihr Hobby ist Beachvolleyball. Wo spielt man das bitte?
Im Sommer auf der Schmelz, da gibt es zwölf Beachvolleyballplätze. Im Winter in Hallen. Ich hoffe, dass ich auch als Justizministerin noch zum Spielen komme, jedenfalls habe ich es fest vor.
Was soll man 2025 - ich nehme an, Sie glauben, dass die Koalition so lange hält - über Sie die erste grüne Justizministerin sagen?
Ich glaube, wir werden fünf Jahre schaffen. Wir haben so viele Nächte verhandelt, das gemeinsame Programm wollen wir schließlich auch umsetzen. Was soll man über mich sagen? - Denkt kurz nach und spricht es dann fast andächtig aus. - Sie hat die Justiz modernisiert und bürgernäher gemacht. Sie hat durch verstärkte Korruptionsbekämpfung das Vertrauen in den Staat und in die Politik gestärkt.
Migrantin mit Top-Karriere
Geboren am 24. Mai 1984 in der nordbosnischen Industriestadt Tuszla, ein vier Jahre jüngerer Bruder, der Vater war Professor für Elektrotechnik, die Mutter Bauingenieurin (beide sind in Pension). Als Alma zehn ist, kommt sie als Kriegsflüchtling nach Österreich. Jus-Studium in Wien und an der Columbia University New York, Erasmus-Semester in Mailand, Praktikum am Haager Tribunal. 2007 kommt sie zur IOM (Internationale Organisation für Migration). 2011 bis 2017 arbeitet sie als Wirtschaftsadvokatin bei „Freshfields“. Danach Wechsel zur Liste JETZT, seit 2019 bei den Grünen. Privat ist Zadic, wie sie es ausdrückt, „vergeben“ und liebt Beach-Volleyball.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.