In Österreich starben 2019 mehr als 30 Frauen durch männliche Hände. Oft jene des Ex- bzw. des Partners, wie im aktuellen Mordfall in Niederösterreich. Meist gab es davor schon Vorfälle. Es kann nach dem ersten Schlag auch anders weitergehen! Ein Täter kann Fehler einsehen, daran arbeiten. Wie John (51). Ein gutes Beispiel. Ein Vorbild. Ja, er hat einmal hingeschlagen. In einer langjährigen On-Off-Beziehung, geprägt von Differenzen, Eifersucht. Doch er suchte Hilfe, ging zur Männerberatung. Er lernte, er reifte. Und: Er hat heute seine Partnerin Maria (36) wieder. Wir trafen das Paar zum Gespräch.
„Krone“: Sie führten seit 2011 eine On-Off-Beziehung. 2018 an einem Freitag geschah es?
John: Der Graben zwischen uns war damals da, auch wenn wir sagten, es gibt keinen. Im November waren wir auseinander, gingen einmal aber zusammen fort. Wir tranken zu viel, ich mehr. Dann kam es in ihrer Wohnung zur Diskussion, da wurde das letzte Tabu, betrügen, angesprochen. Ich hab verstanden, sie geht zu einem anderen. Die Frauen vorher haben mich betrogen. Da ist mir der Faden gerissen, da kam es zu körperlicher Gewalt.
Sie haben hingeschlagen?
Ja. War nicht unheftig. Irgendwann hab ich mich dann umgedreht und bin gegangen.
Was war da los bei Ihnen?
Zuerst ein unbändiger Schmerz wegen des Betrügens. Ich dachte: Den spürst du jetzt auch! Dann unbändiger Zorn, Wut. Und dann entscheidet man: Das tu ich jetzt, ich tu dir weh, weil du mir wehgetan hast.
Und danach war es leichter?
Ich will nicht sagen Erleichterung. Es war noch immer Ärger da. Aber kurz auch: Das hast du davon.
Wie war es für Sie, Maria?
Maria: Bevor wir zu mir sind, war schon eine komische Stimmung. Ich sagte, komm noch mit, wir schaffen das. Taten wir nicht. Wusch, ist es explodiert.
Was haben Sie gefühlt?
Opfer! Schon wieder! Obwohl er gewusst hat, dass ich schon schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht hatte. Ich dachte: Er auch! Das kann es nicht sein.
Waren Sie schwer verletzt?
Prellungen im Gesicht, bei den Rippen.
Was taten Sie, als er ging?
Ich blieb liegen, hab gewartet, ob sich eh nichts rührt, nicht dass ich gleich noch eine krieg. Dann hab ich einen Freund angerufen. Der ging mit mir zur Polizei, die haben die Rettung alarmiert. Montagfrüh hab ich es dem Chef in der Firma gesagt (John und Maria arbeiteten zusammen, Anm.).
Irgendwann erkannte ich: Es geht nicht darum, wie schwer die Tat ist, sondern, warum man es getan hat. Dann hab ich aufgemacht.
Eine Erkenntnis, die John in Therapie hatte
Was taten Sie, John?
Ich bin heim, hätte mich am nächsten Tag am liebsten vergraben, da wurde mir das erste Mal bewusst, was ich getan hab. Ich zeigte mich an. Am Montag in der Firma hatte Maria schon mit dem Chef geredet. Es wurde mir nahegelegt, zu gehen. Ich schrieb ihr, dass es mir leidtut, suchte mir am gleichen Tag einen Psychologen, der schickte mich zur Männerberatung: Psycho-Test, Erstgespräch, Einzel-, dann Gruppentherapie.
Wie lief es in der Gruppe?
Zuerst hab ich mich distanziert, weil ich mir gedacht hab, da gehör ich nicht hin! Da sind Leute drinnen, die wirklich schwere Geschichten hinter sich haben. Irgendwann erkannte ich, dass es nicht darum geht, wie schwer die Tat ist, sondern, warum man das gemacht hat und wie man das verhindert. Und da hab ich angefangen, aufzumachen.
Also half die Gruppe?
Man muss reden! Jeder hat ein Problem, du kannst es nur bekämpfen, wenn du dich damit befasst. Und wenn ein anderer aufmacht, ist man auch eher bereit, darüber nachzudenken, was man selbst getan hat.
Was heißt das für Sie?
Ich begriff: Das war keine Kleinigkeit. Und wäre zu verhindern gewesen. Aggression fängt beim Reden an, da kann man viel abfangen. Es ist nicht der andere Schuld. Nicht er treibt mich dazu, sondern ich entscheide mich, etwas zu tun. Ich kann mich immer dafür entscheiden, mich zurückzuziehen. Auch Alkohol ist nicht schuld. Heute weiß ich: Das war eine Entscheidung, die ich traf - und die falsche. Ich hätte einfach gehen können.
Die Beziehung war aus?
Ja. Ich wollte keinen Kontakt, dachte, das sei nur mit Schmerzen verbunden. Ich dachte auch nicht, dass sie auf mich zugehen wird, weil mir bewusst war, was ich getan hatte. Das lässt sich nicht wegschieben. Setzt man sich damit auseinander, weiß man, man hat Schuld auf sich geladen, und es dauert, bis die getilgt ist.
War es aus, Maria?
Ja, sicher. Anfangs schon. Ich dachte: Geh, ich will dich nie wieder sehen.
Sie haben sich aber wieder angenähert?
Maria: Ja, sieben Monate später. Anfangs war ich wütend. Aber langsam kamen die Gefühle für ihn wieder. Weil die einfach da sind, die kann man nicht abdrehen.
John: Zuerst war ich nicht sehr zugänglich. Erst im September, als ich so weit war, als ich mit mir im Reinen war. Da sind wir ins Schreiben gekommen. Dann haben wir uns das erste Mal getroffen, dann wieder ...
Ich probiere alles, damit wir es hinkriegen. Aber wenn ich seh, es geht nicht, dann geh ich. Dann muss ich gehen.
John, warum es sich nicht mehr wiederholt
Wie war das Wiedersehen?
Unbehagen, Distanz, Furcht. Davonrennen war näher als schauen, dass wir zusammenkommen. Ich war aber überrascht, wie offen sie gezeigt hat, dass ich ihr fehle. Ich hab gemerkt, es steckt Liebe dahinter. Jetzt müssen wir Vertrauen neu aufbauen. Das ist eine Chance! Früher machten wir immer da weiter, wo wir aufgehört hatten. Das klappte nicht. Ich hätte gern, dass der Vorfall nicht passiert wär. Aber ohne einen Bruch hätten wir es nicht geschafft.
Habt ihr verziehen?
John: Wenn ich mir nicht verzeih, hab ich es nicht verarbeitet. Damit bin ich ja auch noch nicht fertig.
Maria: Ich bin zumindest nicht mehr böse.
Was sagt das Umfeld, dass ihr wieder zusammen seid?
Maria: Manche sagen, nicht schon wieder. Aber die müssen ja nicht damit leben.
Warum wird so etwas nicht mehr passieren, John?
Wir haben beide an uns gearbeitet. Jetzt reden wir miteinander, fragen auch nach. Manche sagen, sie bringt mich wieder dazu – nein! Ich lass das nicht zu. Entwickelt es sich nur annähernd in die Richtung von damals, zieh ich sofort die Reißleine. Das tu ich auch mir nie wieder an. Ich probiere alles, damit wir es hinkriegen. Aber wenn ich seh, es geht nicht, geh ich.
Maria sieht ihn an, da lächelt John: Aber es wird gehen!
Daten und Fakten
In der Männerberatung arbeiten Experten mit Gewalttätern. Die Therapie dauert ein Jahr, die Gruppensitzungen leiten je ein Mann und eine Frau. So sind Perspektivenwechsel leichter, ein „Verbrüdern“ unter Männern nicht möglich. Mit Opferschutz-Stellen wird eng kooperiert. Infos: www.maenner.at.
Silvia Schober, Kronen Zeitung
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