Bereits vor seiner Veröffentlichung sorgt das am Montag erscheinende Buch „Machtkampf im Ministerium“ landesweit für Aufregung. Verfasst wurde es von Susanne Wiesinger - bis vor Kurzem noch Ombudsfrau des Bildungsministeriums. Wie die „Krone“ berichtete, prangert die Pädagogin darin Missstände in den Klassenzimmern an. Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) ortete einen „Vertrauensbruch“ - und feuerte die Expertin. Jetzt droht ein Rechtsstreit.
Es eskaliert. „Es“ ist in dem Fall kein Horrorschocker von Stephen King, aber ein Politthriller allemal. Wiesinger, bis vor Kurzem Ombudsfrau des Bildungsministeriums, eingesetzt, um Missstände und Problemzonen in Österreichs Schulsystem zu offenbaren, veröffentlicht am Montag ein Buch: „Machtkampf im Ministerium“ heißt es. Nachdem die Enthüllung am Samstag bekannt geworden war, feuerte Minister Faßmann am Samstag jene Frau, die er selbst Anfang 2019 geholt hatte („Ich selbst habe aus den Medien von meiner Entlassung erfahren“, sagt Wiesinger). Man fühle sich hintergangen, von Vertrauensbruch ist die Rede, zumal Wiesinger niemanden im Ministerium über ihr Buchprojekt informiert habe.
Erst kurz davor sei sie an den Minister herangetreten und habe ihm en passant davon erzählt. Wiesinger wiederum verwehrt sich gegen diese „haltlosen Vorwürfe“ und lässt über ihren Anwalt rechtliche Schritte prüfen. Es bestehe der Verdacht der „Ehrenbeleidigung“. In einer offiziellen Aussendung nämlich wird die Lehrerin als „mehr Maulwurf als Ombudsfrau“ bezeichnet. Diese Bewertung wurde auch von Heidi Glück, ÖVP-Beraterin (sie war schon für Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel unterwegs und spielt mitunter auch die Feuerwehrfrau für brennende türkise Angelegenheiten), vorgenommen.
Turbulente Zeiten
Der Titel des Buches ist jedenfalls Programm, und beschert der Autorin unruhige Zeiten, darin sind sich wohl alle Parteien einig. Man wollte sie mundtot machen und als Querulantin darstellen, sagt Wiesinger. Dabei habe sie nur die Finger, eifrig in Salz getaucht mit Sicherheit, in alle möglichen Wunden gelegt. Und deren gebe es viele. Doch man habe sie boykottiert und wollte die Wahrheit nicht hören oder sie zumindest nicht publiziert wissen.
Nach dem Rauswurf sei sie zunächst schockiert gewesen, nun aber „bin ich in erster Linie zornig und wütend. Ich werde die Angelegenheit jetzt erst recht durchziehen“. Der Grund für diese heftige Auseinandersetzung ist eben ihr Buch. Darin hat sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen festgehalten, welche sie in den vergangenen Monaten im Auftrag des Bildungsministeriums gesammelt hatte. „Es droht ein Kollaps des Schulsystems. Parteiideologie und Bürokratie verhindern Reformen“, lautet eine zentrale These. Die Schule werde immer mehr zur Brutstätte von Parallelgesellschaften. Die deutsche Sprache verliere an Bedeutung. Wiesinger spricht von „Message Control“ durch Ministeriumsbeamte, vorgefertigten Antworten bei Interviews etc. Die „Krone“ hatte erste brisante Auszüge in der Sonntagsausgabe publiziert. Diese sorgten für ein Beben.
Minister Faßmann ortet einen Vertrauensbruch, man fühle sich hintergangen, da Wiesinger niemanden über ihr Buchprojekt eingeweiht habe und eigentlich für das Ministerium arbeiten sollte - nicht gegen dieses. Das Buch kommt tatsächlich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Neue Regierung. Neues Glück. Neue Harmonie. Da braucht man keine Dissonanzen.
Ruhigstellen dank tollem Job?
Brisant ist überdies: Von Ministeriumsseite habe man, so das Wiesinger-Lager, versucht, die unbequeme Dame mit einem lukrativen und hochrangigen Job im Ministerium quasi ruhigzustellen - offenbar habe man geahnt, dass sie sich nicht, wie sie selbst formuliert, „den Mund verbieten“ lassen würde. Das Ministerium dementiert diesen Vorhalt vehement. Später, als man von dem Buch erfuhr, sei man direkt beim Verlag vorstellig geworden, um eine Veröffentlichung zumindest zu verzögern. Das zumindest behaupten Verantwortliche des Verlages QVV. Das Problem ist nur: Der Verlag zählt zum Imperium von Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz. Der ist eher nicht bekannt dafür, für politische Einflüsse empfänglich zu sein.
Wie auch immer diese Streitereien ausgehen mögen. Schwarz auf Weiß steht ab Montag zu lesen, was Frau Wiesinger bewegt. Doch was steht alles in dem gut 200 Seiten starken Buch, das für so viel Aufregung sorgt? Im Prinzip ist es eine Bestandsaufnahme aus der Sicht der Ombudsfrau, die sie nach ihren Reisen durch Österreich und Gesprächen mit zahlreichen Verantwortlichen getätigt hat. Einer ihrer größten Kritikpunkte betrifft das Verdrängen und Schönreden von Problemzonen, die nicht nur in Wiens „Brennpunktschulen“, sondern in allen Ballungszentren zu finden sind. Dabei geht es um eine Nivellierung des Bildungsniveaus nach unten, um Gewalt an Schulen und Verweigerung des Unterrichts sowie um die Ohnmacht der Lehrer.
Nicht nur, aber oft geht es um den Umgang mit Menschen aus dem muslimischen Bereich. Einige Beispiele: „Fast jede Lehrerin schilderte mir Fälle religiöser Unterwerfung. Die Verdunkelung des Klassenzimmers - aus Angst, fremde Männer könnten einige unbedeckte Hautstellen bei muslimischen Frauen entdecken.“ Vielfach würden Menschen aus diesem Kulturbereich unsere Bildungsangebote nicht annehmen. „Das ist ein enormes Problem, das jedoch, vor allem im roten Wien, beiseitegeschoben wird. Man will das nicht hören“, sagt Wiesinger, die sich selbst als „Rote“ bezeichnet.
Sie bringt weitere Beispiele: „Ein somalisches Mädchen steht in einem selbst gehäkelten Burkini im Babybecken, nur damit sie eine Schulnote bekommen kann, irgendeine Note, weil sie anwesend war. Wir akzeptieren das. Wir brechen Wanderungen ab, weil muslimische Kinder Probleme mit dem Gipfelkreuz haben. Wir verzichten auf Sexualkundeunterricht, weil es sonst Tumulte im Klassenzimmer geben würde. Wir fahren nicht mehr Ski, weil die Mädchen glauben, ihr Jungfernhäutchen würde reißen. Das ist irre. Und es ist traurig. In allen Bundesländern entscheiden Religion, Kultur und Migration darüber, ob ein normaler Unterricht möglich ist.“
Lügen für den Lehrplan?
Ein Kapitel in Wiesingers Buch lautet „Lügen für den Lehrplan“. Darin führt die ehemalige Ombudsfrau aus, welche Probleme Österreichs Schüler im Bereich Lesen haben. Sinnerfassendes Lesen werde demnach für immer mehr eine nicht zu nehmende Hürde. „In vielen Gesprächen waren die schwachen Leistungen der Schüler eines der bestimmenden Themen während meiner Zeit als Ombudsfrau. Viele Pädagogen beklagten sich und fragten, wo das noch alles hinführen werde. Sie sind verzweifelt. Sie wissen oft nicht einmal, wie sie eine Frage in einem Test formulieren sollen, damit die Schüler zumindest die Frage verstehen.“
Die Folge aus diesen Entwicklungen sei ein allgemeiner Niveauverlust. Leute, die es sich leisten könnten, schicken ihre Kinder auf Privatschulen, die öffentlichen bleiben ein Hort für Benachteiligte und Nachrangige. Meist für Menschen mit Migrationshintergrund oder Ausländer. Da drohe eine Spaltung der Gesellschaft. „Was soll aus Menschen werden, die keine Perspektiven haben?“, fragt die Sozialdemokratin, die von ihrer eigenen Partei zum Teil gemieden wird, schon seit der Veröffentlichung ihres ersten Buches, das den Titel „Kulturkampf im Klassenzimmer“ trug. Am Ende des Buches liefert sie noch zehn Thesen, die das Schul- bzw. Bildungssystem verbessern könnten. Unter anderem fordert sie mehr Investitionen für das Lehrpersonal, Strafen für Eltern, die ihre Kinder nicht am Bildungsangebot teilnehmen lassen, Gemeinschaftsschulen bis zu einem gewissen Alter, damit nicht wieder eine Generation verloren gehe.
Abschlussbericht: Aussage gegen Aussage
Apropos Fazit und Bestandsaufnahme: Wiesinger sollte einen Abschlussbericht für das Ministerium verfassen. Was sie auch getan hat, wie sie betont. Er liege fixfertig und gebunden bei Faßmann und seinen Beamten. Das Ministerium wiederum behauptet, man habe keinen Abschlussbericht, sondern nur Auszüge. Aussage gegen Aussage, wieder einmal. Es bleibt spannend.
Fest steht: Die Causa wird auch die Politik noch länger beschäftigen. NEOS, SPÖ und FPÖ sind in trauter Einigkeit. Sie wollen das Thema im Parlament erörtert wissen und Fragen an das Ministerium stellen.
Erich Vogl, Kronen Zeitung/krone.at
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