Höhergradig abnorm, aber zurechnungsfähig - zu diesem Ergebnis kommt Gerichtspsychiater Reinhard Haller bezüglich des Geisteszustandes von Soner Ö., der vor einem Jahr in Dornbirn den Sozialamtsleiter Alexander A. tötete. Der 35-Jährige hat sich geständig gezeigt, den Mann erstochen zu haben. Von Mord wollte der Angeklagte - wie berichtet - jedoch nichts wissen, vielmehr habe er den Sozialamtsleiter lediglich „verletzen“ wollen. Die von Ö. geforderten Mittel aus der Grundversorgung, wegen der er bei der BH vorstellig geworden war, wurden noch am Tag der Bluttat freigegeben - und zwar 15 Minuten bevor der 35-Jährige den Sozialamtsleiter niederstach.
Der Gerichtspsychiater erklärte am zweiten Prozesstag, dass der Angeklagte in seiner Kindheit möglicherweise hyperaktiv gewesen sei, auch wenn diese Diagnose nicht gestellt worden sei. Die Schule habe er einigermaßen gut bewältigt, anschließend habe er aber keine weitere Ausbildung absolviert und beruflich nie Fuß gefasst. Stattdessen habe Ö. früh Alkohol (mit acht Jahren) und Drogen (ab 14 Jahren) konsumiert. Nach Cannabis habe der Angeklagte etwa auch Heroin und Kokain zu sich genommen.
2009 mit Aufenthaltsverbot belegt
Parallel dazu habe sich die kriminelle Karriere des 35-Jährigen entwickelt, dabei ging es vornehmlich um Drogen- und Eigentumsdelikte. Nach der 15. Verurteilung war Ö. 2009 mit einem Aufenthaltsverbot belegt worden - und zwar vom späteren Opfer, dem Sozialamtsleiter, der damals noch eine andere Funktion innehatte.
Posttraumatische Belastungsstörung
In der Türkei, wo sich der Angeklagte nie heimisch gefühlt habe, sei er eigenen Angaben zufolge als Scharfschütze in den Krieg gegen den IS gezogen. Dass daraus eine posttraumatische Belastungsstörung entstanden sei, sei „nachvollziehbar“, so Haller: „Die Symptome passen.“ Die aus diesen Umständen und einer Herzkrankheit resultierende Persönlichkeitsstörung sei aber nicht als Geisteskrankheit zu werten. Da der Angeklagte bei der Tat auch nicht voll berauscht gewesen sei bzw. im Affekt gehandelt habe, sei die Zurechnungsfähigkeit gegeben gewesen. Ein Affekt, der zu Unzurechnungsfähigkeit führe, komme nur ganz selten vor, so Haller: „Das habe ich in 38 Jahren Gutachtertätigkeit nur zweimal gesehen.“ Es sei aber unstrittig, dass Emotionen im Spiel gewesen seien.
Laut und entsetzt „Na!“ geschrien
Die Schilderungen des Angeklagten, der Sozialamtsleiter habe ihn beschimpft, bevor er auf das spätere Opfer zugestürmt sei, bestritten am Dienstagnachmittag insgesamt sieben Zeugen vor Gericht. Wortlos sei der 35-Jährige gegen 15 Uhr in das Büro des Amtsleiters gestürmt, ob er dabei bereits ein Messer in der Hand hielt, konnte keiner der Zeugen sagen. Ein Mitarbeiter, der sich zur Tatzeit im Büro des Opfers aufhielt, schilderte, dass der Sozialamtsleiter beim Anblick Ö.‘s laut und entsetzt „Na!“ geschrien habe, danach seien Schmerzensschreie zu hören gewesen, der Zeuge ist „aus Reflex aus dem Zimmer hinausgerannt“.
„Ich lass mich nicht verarschen“
Ö. war bereits eine Stunde zuvor bei der BH vorstellig geworden und habe ein Gespräch mit dem Sozialamtsleiter geführt. Danach sei er schimpfend aus dem Büro gegangen. Zuvor hatte Ö. auch das letzte noch fehlende Dokument vorgelegt, um Mittel aus der Grundversorgung beziehen zu können. Aggressiv habe er sich dabei nicht verhalten, so die Sachbearbeiterin vor Gericht. Dies änderte sich allerdings, als ihm erklärt und versichert wurde, dass der Antrag sofort bearbeitet werde und das Geld am nächsten Tag auf seinem Konto sei. Da habe der 35-Jährige plötzlich gerufen, er lasse sich „nicht verarschen“, und sei davongelaufen.
Der Akt sei anschließend wie versprochen sofort bearbeitet und vom Amtsleiter unterschrieben worden, erklärte sie weiter. Freigegeben wurde das Geld um 14.47 Uhr - nur Minuten danach stürmte Soner Ö. in die BH und weiter ins Büro von Alexander A., stach mit dem Messer auf ihn ein und tötete ihn.
Jegliche Absicht bestritten
Der 35-jährige Ö. hatte sich am Montag, dem ersten von drei Prozesstagen, geständig gezeigt, den Sozialamtsleiter der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn am 6. Februar 2019 erstochen zu haben. Er war als Asylwerber wegen Mitteln aus der Grundversorgung bei der Bezirkshauptmannschaft vorstellig geworden. Der 35-Jährige bestritt aber jegliche Absicht - es habe sich vielmehr um einen tragischen Unfall gehandelt. Ö. bekannte sich schuldig der absichtlich schweren Körperverletzung mit Todesfolge. Die Verhandlung wird am Mittwoch fortgesetzt, dann soll das Urteil erfolgen.
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