Die Absage der auf Mittwoch anberaumten UVP-Verhandlung der „Gletscherehe“ ist (nur) eine Vertagung. Im „Krone“-Interview kommt mit dem Umwelthistoriker Robert Groß endlich ein „Neutraler“ zu Wort. Robert Groß ist Umwelthistoriker an der Wiener Universität für Bodenkultur und an der Uni Innsbruck und beschäftigt sich in seinem Buch „Die Beschleunigung der Berge“ mit der Frage, wie die Wintertourismusindustrie seit den 1920er Jahren Talschaften und alpine Landschaften in Westösterreich verändert hat.
Herr Groß, vorerst eine wirtschaftsethische Frage: Wem gehören die Berge?
Gegenfrage: Kann man denn die Berge überhaupt besitzen? Die Idee des Eigentums war zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Geschichte eine andere. Ein wichtiger Aspekt des gegenwärtigen Eigentumverständnisses ist die Verfügungsgewalt, also wer bestimmt, wie die Berge genutzt werden. Und diese Verfügungsgewalt drückt sich in modernen Marktwirtschaften zumeist in Geld aus. Einfach gesagt: „Wer zahlt, schafft an“. Allerdings wurde und wird die Macht des Kapitals immer wieder in Frage gestellt. Genau das sehen wir auch in den Konflikten zwischen Natur- und Umweltschutz versus Wirtschaft, die existieren seitdem es die Tourismusindustrie gibt. Auch um diesen Konflikt zu befrieden, hat sich der Staat z.B. mit Naturschutzbehörden, Raumplanungsinstitutionen etc. zwischen diese beiden Parteien geschoben. Nun hat sich in den letzten Jahrzehnten aber auch die Rolle des Staates verändert, manche sprechen auch vom Rückzug des Staates, wodurch eben diese Konflikte wieder stärker aufbrechen, bzw. auch die Frage „Wem gehören die Berge“ wieder vermehrt zur Diskussion steht.
Es gibt enormen Widerstand gegen die so genannte Gletscherehe Ötztal/Pitztal. Hat es in Tirol jemals eine derart heftige Auseinandersetzung im touristischen Kontext gegeben?
Die heftigen Auseinandersetzungen gibt es, seitdem es Tourismusprojekte gibt. Was sich aber stark verändert hat, sind die Arenen, in denen die Konflikte ausgetragen werden. Ein Innsbrucker Uniprofessor hat mir einmal erzählt, dass er von der Seilbahnwirtschaft in den 1980er Jahren verbal derart unter Beschuss genommen wurde, dass er sich zum Rückzug aus seinen Naturschutzaktivitäten gezwungen sah, auch um seine Studenten aus der Schusslinie zu nehmen. Vorarlberger Bauern haben mir in Interviews davon berichtet, dass sie, nachdem sie gegen einen Zusammenschluss zweier Skigebiete Stellung bezogen haben, anonyme Drohbriefe und -anrufe erhalten haben. In der Zeit vor Social Media, drangen solche Dinge aber nicht an die Öffentlichkeit. Social Media hat den großen Medienhäusern die Deutungshoheit entzogen und gleichzeitig die Verbreitung von Neuigkeiten enorm beschleunigt, wodurch die Konflikte viel intensiver und schneller hochkochen und teilweise halt dann auch im Ton eskalieren. So entsteht der Eindruck, die Auseinandersetzungen wären heftiger. Dabei muss man schon sagen, die Zeit, in der Natur- und Umweltschutzproteste Großprojekte wie Hainburg oder Zwentendorf verhindert haben, die ist schon länger vorbei.
Aber touristische Großprojekte hatten es früher doch leichter, oder?
Sicherlich auch, weil die Dimension der Projekte eine andere war. Vergleicht man zum Beispiel die Förderkapazitäten von Skiliften (1000 Personen/Stunde), die in den 1970er Jahren gebaut wurden, mit der heutigen (4000 Personen/Stunde), wird das deutlich. Auch in der künstlichen Beschneiung hat sich viel getan. Ging es Ende der 1980er Jahre darum, neuralgische Punkte im Skigebiet zu beschneien, haben wir heute nahezu Vollbeschneiung mit einem entsprechend großen Flächenverbrauch durch Speicherteiche, Pumpstationen etc. Schauen wir uns die Verkehrsproblematik an. Seit den 1980er Jahren redet man davon, den Zubringerverkehr zu reduzieren. Was ist passiert? Die Anwohner erleben eine Verkehrslawine nach der anderen. Was passiert, wenn der Verkehrsinfarkt droht? Dann werden die Straßen verbreitert und neue Umfahrungen gebaut, die letztlich noch mehr Verkehr anziehen und das öffentliche Budget belasten. Und was natürlich auch immer klarer wird: Es gibt Skigebietsbetreiber, die sich nicht an die Regeln halten oder, weil sie gute Verbindungen in die Landesregierungen haben, es sich einfach richten können, man denke hier an Projekte, die erst gebaut und nachträglich bewilligt werden. Oder die leidige Salamitaktik bei der man ein Gesamtprojekt in viele Einzelprojekte zerstückelt, gerade klein genug, um z.B. keine UVP durchführen zu müssen. Das wirft halt ein sehr schlechtes Licht auf die ganze Branche, nämlich auch auf jene, die sich bisher an die Regeln gehalten haben und ist ein Grund dafür, dass es touristische Projekte heute schwerer haben als früher.
64 Hektar Pisten sind in Relation zur Gletscherfläche in den Alpen ein winziger Punkt. Geht es den Gegnern wirklich um die Umwelt, den Verkehr oder um die Symbolik oder gar um die Profitgier in der Wirtschaft?
Die Motive der Gegner sind sehr unterschiedlich, auch weil die Gegner aus ganz unterschiedlichen sozialen Lagern stammen. Ein bildungsbürgerlich sozialisiertes Alpenvereinsmitglied, das sich in den Alpen gern erholt, hat eben andere Interessen, wie ein Häuslbauer mit Lehrabschluss, der an der Zufahrtsstraße zum Skigebiet wohnt und oft gar keine Möglichkeit hat, seinen Unmut auszudrücken. Das Alpenvereinsmitglied wird seinen Unmut eher durch Bezug auf den einmaligen aber bedrohten Charakter der Alpen Ausdruck verleihen. Der Häuslbauer mit Lehrabschluss, der zuschauen muss, wie es sich die „großkopferten“ richten und er, wenn er seine Steuer nicht rechtzeitig zahlt, das Finanzamt am Hals hat, dessen Motiv ist wohl eher die Profitgier der Touristiker. Und dann gibt es natürlich auch noch Gegner und GegnerInnen, die in politischen Parteien organisiert sind und die den bildungsbürgerlichen Zugang des Alpenvereins mit einer Idee von den Alpen als Labor für die Erprobung grüner Mobilitätstechnologien und Tiroler Werten (wir Tiroler wirtschaften mit Augenmaß) verbinden. Echte Wachstumskritik findet man hier aber wegen der politischen Mehrheitsverhältnisse in Tirol nicht. Es geht insgesamt also um viel mehr als um 64 Hektar Skipisten, nämlich um Gestaltungsinteressen.
Laut Touristiker sei die Größe eines Skigebietes ein entscheidender „Überlebensfaktor“. Stimmt das und warum hat sich das so entwickelt?
Ein Grund warum sich das so entwickelt hat, war die aufstrebende Seilbahnindustrie in den 1950er Jahren. Für diese bedeutete die Vergrößerung der Skigebiete ja wachsende Absatzmärkte im Inland. Dementsprechend hat die Seilbahnindustrie seit der Nachkriegszeit unter Skigebietsbetreibern für die Vergrößerung der Skigebiete geworben. Wir sehen dann bereits in den 1970er Jahren erste Folgen davon: Skigebiete standen damals an dem Punkt, dass sie nicht mehr nur mit Winterurlaubern gefüllt werden konnten, weil sie zu groß waren. Deswegen hat man zusätzlich auf den Tagestourismus gesetzt und so den Autoverkehr angeheizt. Mit den Marktliberalisierungen der 1980er Jahren und später dem EU-Beitritt wurde es immer einfacher, ausländische Gäste in die Skigebiete zu holen. Gleichzeitig hat dies auch die globale Konkurrenz befeuert. Das versteht auch das Tourismusmarketing auszunutzen und versucht ganz gezielt am wirtschaftlichen Aufschwung in China, Indien, Saudi-Arabien, Russland, Brasilien etc. teilzuhaben, in dem man deren wachsenden Mittelschichten nach Österreich holt. Man könnte heute kein einziges der großen Skigebiete mehr ausschließlich mit heimischen Gästen füllen, weil ja auch immer weniger Österreicher Ski fahren. Jedenfalls wird gerade die wachsende Abhängigkeit der Skigebiete vom Flugverkehr noch spannend werden. Der globale Tourismus ist mit Wachstumsraten um 4% deutlich dynamischer als viele anderen Wirtschaftsbereiche. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die CO2 Emissionen aus dem Tourismus überproportional wachsen werden. Da hilft es dann auch nicht mehr viel, wenn alle Tiroler im Elektroauto herumfahren und ihre Häuser mit Hackschnitzelheizungen heizen.
Wodurch nährte sich die Sensibilität der Bevölkerung, wenn es um die Verbindung Umwelt - Tourismus geht?
Ich würde sagen, Natur- und Umweltschutz, beziehungsweise Tourismus teilen ein ähnliches, idealisiertes Naturbild. Der Sommertourismus vermarktet intakte Agrarlandschaften, der Wintertourismus verschneite, hochalpine Panoramen. Und der Natur- bzw. Umweltschutz engagiert sich für die Erhaltung dieser Kulturlandschaften. Das heißt die Naturästhetik beider Gruppierungen ist im Grunde sehr ähnlich, wobei der Natur- und Umweltschutz die Kulturlandschaften versucht zu bewahren und die Touristiker oft der Meinung sind, sie seien die echten Natur- und Umweltschützer, da sie je in erheblichem Maße in betrieblichen Umweltschutz investieren. Diese Konflikte erlebt die Bevölkerung jetzt seit einigen Jahrzehnten. Gleichzeitig wird aber jeder Person, die öfters in den Bergen unterwegs ist, deutlich, dass diese im Laufe der Jahrzehnte immer stärker von touristischer Infrastruktur überformt wird.
Würde dieser Gegenwind ohne aktuelle Klimadiskussion lauer sein?
Vermutlich ja. Wobei gerade die Klimadiskussion zeigt, dass sowohl Befürworter als auch Gegner weniger fakten-, als viel eher gefühlsbasiert argumentieren. Warum? Weil wir bis heute sehr wenig darüber wissen, wie stark der Wintertourismus zu den CO2 Emissionen beiträgt. Es gibt zwar bereits einige Skigebiete, die Umweltaudits durchführen, in diesen wird aber der Verkehr nicht berücksichtigt. Das ist gerade in Tirol wegen des Innsbrucker Flughafens ein Problem, weil ja eine wachsende Zahl an Touristen mit dem Flugzeug von immer weiter herkommt. Einer neuen Studie zufolge gehen rund acht Prozent der globalen CO2 Emissionen auf das Konto des Tourismus. Im Vergleich dazu ist die Landwirtschaft für rund zehn Prozent der CO2 Emissionen in Österreich verantwortlich.
Was wären die Folgen, wenn dieser Zusammenschluss gegen den Willen großer Teile der Bevölkerung realisiert würde und was würde es für die künftige Umweltpolitik bedeuten?
30% der Bevölkerung würde sich bestätigt fühlen und die übrigen 70%, die bei einer Umfrage dagegen gestimmt haben, wären sehr enttäuscht und in dem Gefühl bestärkt, dass sich die Politik nicht um ihre Interessen bemüht. Was es für die zukünftige Umweltpolitik bedeuten würde, ist schwer abzuschätzen. Es gab in Vorarlberg einmal den Fall im Montafon, da wurde einem Skigebiet während der Ausarbeitung eines Raumplanungskonzepts ein Bewilligungsstopp für einige Jahre erlassen. Kaum war der Bewilligungsstopp aufgeboben, hat das Skigebiet eingereicht was nur gegangen ist, alles Versäumte in kürzester Zeit aufgeholt und bei allen folgenden Projekten immer wieder betont, man hätte damals ja kooperiert und eigentlich damit die Landesregierung unter Druck gesetzt. In dem konkreten Fall, wird es vermutlich so ausgehen, dass man das Projekt in verkleinerter Form bewilligt, sodass keiner der Beteiligten einen Gesichtsverlust erleidet. Auch die Regierungsparteien könnten das verkleinerte Projekt dann beide als Erfolg verkaufen, was kaum der Fall wäre, wenn das Projekt im ursprünglich vorhergesehenen Ausmaß umgesetzt werde würde.
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