Wenn bis Jahresende kein Handels- und Zollabkommen gelingt, werden die Folgen die gleichen sein wie bei einem harten Brexit.
Die Briten sind draußen, aber erst mit einem Bein. Denn auch nach dem offiziellen Austritt bleiben sie auf jeden Fall noch bis zum Jahresende 2020 Teil des Binnenmarktes und der Zollunion. Diese Übergangsfrist soll dann auf jeden Fall enden, verkündete der britische Regierungschef Boris Johnson vollmundig.
Experte zu Handels- und Zollvertrag: „Extrem wenig Zeit“
Stattdessen soll ein Handels- und Zollvertrag mit der EU abgeschlossen werden. „Das ist extrem wenig Zeit. Man muss bedenken, dass solche Abkommen üblicherweise über Jahre verhandelt werden“, zweifelt Harald Oberhofer, Brexit-Experte von Wirtschaftsuni Wien und Wifo, am Fahrplan.
Droht nun ein verspäteter harter Brexit?
Alle nationalen Parlamente müssten so einem Vertrag zustimmen. Da geht es nicht nur darum, dass es im Warenhandel keine Zölle gibt. Kritisch sei zum Beispiel die Frage des Zugangs von Arbeitskräften aus Europa nach Großbritannien oder die Zukunft des Agrarhandels, „da sind die Briten extrem von Importen aus der EU abhängig“, so Oberhofer. Würden von heute auf morgen (ohne Abkommen) die WTO-Regeln gelten, käme das einem „verspäteten ,Hard Brexit‘“ gleich. „Daher halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass es noch weitere Übergangsfristen geben wird.“
Der Austritt aus der EU hat für die Briten negative Folgen: Das Wachstum war seit dem Brexit-Referendum vor drei Jahren in Summe um 2,3 Prozent schwächer, die Investitionen der Unternehmen gingen um elf Prozent zurück. Oberhofer: „Das schadet mittelfristig der Wettbewerbsfähigkeit der britischen Wirtschaft.“ Der Kursverlust des Pfundes verteuerte die Importe, vor allem von Lebensmitteln und Medikamenten. Man rechnet damit, dass die Beschäftigung in den nächsten Jahren zurückgeht.
Doch da noch völlig unklar ist, wie es mit den Wirtschaftsbeziehungen zu Europa weitergeht, tun sich selbst die Experten mit konkreten Prognosen schwer. Je nach Szenario (Handelsabkommen oder nicht) sehen sie für die nächsten zehn Jahre ein kumuliertes Minus im Wachstum zwischen 2,3 und sieben Prozent des BIP.
Geringe unmittelbare Auswirkungen auf Österreich
Die unmittelbaren Auswirkungen auf Österreich sind jedenfalls gering. Großbritannien ist unser neuntwichtigster Handelspartner (siehe Grafik unten). Die Exporte legten 2019 zwar noch um über neun Prozent zu. Doch erstens war das Jahr davor schwach, und zweitens entfällt ein Großteil auf die bei Magna in Graz erzeugten Pkw (Mini und Jaguar), die auf die Insel gingen. Christian Kesberg, WKO-Mann in London: „Das sind 20 Prozent unserer Gesamtexporte.“ Dazu kommt, dass es viele Vorziehkäufe gab, weil Importeure ihre Lager füllten. Auf das Wachstum in Österreich hat der Brexit nur Auswirkungen in der Größenordnung von 0,1 Prozent, so das Wifo.
Rot-weiß-rote Firmen hoffen auf Zollabkommen
Über 250 heimische Firmen haben (teilweise über ausländische Zwischenholdings) Niederlassungen in Großbritannien. Sie hoffen, dass rechtzeitig ein Zollabkommen gelingt. Rund 50 Unternehmen produzieren auch vor Ort. Größter heimischer Investor ist der Ziegelkonzern Wienerberger mit 15 Werken, auch Zumtobel und Novomatic sind stark vertreten. Aus Österreich liefern Firmen wie Blum, Amag oder voestalpine große Mengen. Kesberg: „Das sind großteils Produkte, die nicht ersetzt werden können, allerdings sind sie durch die Pfundschwäche teurer geworden.“
Was mit den 25.000 Österreichern passiert, die in Großbritannien arbeiten, ist noch unklar. Vorerst dürfen sie bleiben, doch auch der Zugang zum Dienstleistungsmarkt muss bis zum Ende der Übergangsfrist verhandelt werden.
Manfred Schumi, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.