Er hat sechs Österreicher aus der Corona-Hölle geholt und sitzt jetzt selbst in Quarantäne. Mit Conny Bischofberger spricht unser Generalkonsul in Peking, Nikolai Herold, über Angst und Todesmut, eine abenteuerliche 12-Stunden-Fahrt und seine Solidarität mit dem chinesischen Volk.
Sein Anruf kommt von einem streng geheimen Ort. „Ich befinde mich im Herzen von Wien, in einem höheren Stockwerk eines Gebäudes, von dem ich bis zum Stephansdom und Rathaus mit seinen neugotischen Spitzen sehe“, sagt Nikolai Herold, „genauer darf ich nicht werden.“ So wie jene sechs Österreicher, die der Diplomat höchstpersönlich aus der verseuchten chinesischen 11-Millionen-Metropole Wuhan geholt hat, muss er dort, hermetisch abgeriegelt von der Außenwelt, noch bis zum kommenden Sonntag ausharren.
Über sein Blackberry hat uns der Generalkonsul auch das Foto geschickt, das ihn mit den drei Utensilien zeigt, die für ihn in Wuhan lebensnotwendig waren: Schutzhandschuhe, Atemschutzmaske und Handdesinfektionmittel. Trotz der besonderen Umstände wird es ein sehr persönliches Gespräch.
„Krone“: Herr Konsul, wie geht es Ihnen und den sechs anderen Österreichern?
Nikolai Herold: Ich fühle mich gut, auch die Mitangekommenen fühlen sich gut. Ich fürchte nur, die Zeit bis zum 15. Februar wird noch lange werden …
Haben Sie Angst, dass der Virus noch ausbrechen könnte?
Die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß, wir sind alle mehrfach negativ getestet worden. Allerdings haben wir jetzt erfahren, dass einer der Belgier, die mit uns zurückgeflogen sind, positiv auf Corona getestet wurde. Ich bin im Flieger neben einem Belgier gesessen.
Keiner verlässt das Zimmer, ohne sich vorher die Hände zu waschen und zu desinfizieren - und natürlich tragen wir die Atemschutzmasken.
Generalkonsul Nikolai Herold
Sie sind seit einer Woche komplett isoliert. Wie muss man sich das vorstellen?
Jeder lebt in einer kleinen, abgeschlossenen Wohneinheit. Keiner verlässt das Zimmer, ohne sich vorher die Hände zu waschen und zu desinfizieren - und natürlich tragen wir die Atemschutzmasken. Die Wiener Magistratsabteilung 15 ist sehr um uns bemüht und versorgt uns bestens, heute Mittag gab es vietnamesische Pho, über die wir uns sehr gefreut haben. Jeden zweiten Tag werden wir medizinisch durchgecheckt.
Dürfen Sie mit den anderen Österreichern Kontakt haben? Vielleicht Halma spielen oder „Mensch ärgere dich nicht“?
Nein, dürfen wir leider nicht. Das wäre eine nette Sache. Aber wir halten über eine Chat-Gruppe Kontakt. Manchmal bringen wir uns gegenseitig Kaffee vorbei, aber das ist eigentlich schon im verbotenen Bereich.
Und was machen Sie den ganzen Tag?
Gute Frage. - Lacht. - Ich lese sehr viel. Die „Krone“, „Spiegel“, „Standard“ und den „Economist“. Alles am Handy, ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es ohne das Handy wäre. Ich telefoniere mit meiner Familie, lese und maile mit Freunden. Und ich habe einen Chinesisch-Online-Sprachkurs heruntergeladen, um die Zeit in der Quarantäne zu nutzen.
Sie haben etwas Unglaubliches gemacht. Sie sind von Peking 1200 Kilometer mit dem Auto nach Wuhan gefahren, um die Österreicher dort außer Landes zu bringen. Warum haben Sie Ihr Leben riskiert?
Das hätte natürlich passieren können, es gibt nie eine Garantie. Aber man kann doch versuchen, das Risiko mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen einzugrenzen, und das habe ich versucht. Warum ich es gemacht habe? Wir haben für die Ausreise dringend Entscheidungen der Provinzregierung gebraucht, diese und andere Dinge kann man eben doch nur vor Ort lösen. Die Provinzregierung von Hubei ist für Millionen Chinesen zuständig, da sind ein paar Europäer, die ausreisen wollen, nicht der einzige Fokus … Es ging darum, dass alle sechs Österreicher rechtzeitig den Treffpunkt erreichen müssen, von dem aus wir dann mit den Franzosen nach Marseille geflogen sind. Das musste bestmöglich organisiert und das Gelingen vor Ort auch sichergestellt werden - und diese Mission wog stärker als die Angst, dass man sich infiziert.
War es letztlich ein Auftrag oder haben Sie es freiwillig gemacht?
Ich habe es freiwillig gemacht. Aber es war natürlich mit dem Außenminister, mit dem Bürgerservice und dem Krisenstab in Wien akkordiert. Obwohl es ein großes Risiko war, weil man aus Peking mit dem Diplomatenfahrzeug ja nicht so einfach in angrenzende Regionen rausfahren darf. Zwei portugiesische Kollegen haben sich mir angeschlossen, wir sind dann gemeinsam von Peking nach Wuhan gefahren und haben uns beim Fahren abgewechselt.
Zweimal gab es strenge Kontrollen, da standen jedesmal zehn, zwölf Beamte in ABC-Anzügen.
Generalkonsul Nikolai Herold
1200 Kilometer, das dauert mehr als zwölf Stunden, wenn man durchfahren würde. Wie lange haben Sie gebraucht?
Wir SIND durchgefahren. Den Blick immer auf das Navi gerichtet, und ab und zu haben wir ein Stoßgebet zum Himmel geschickt. Wir haben nur gestoppt, um zu tanken. Zweimal gab es strenge Kontrollen, da standen jedesmal zehn, zwölf Beamte in ABC-Anzügen. Das war immer ein flaues Gefühl, aber dank unserer Papiere haben sie uns durchgelassen. Ohne CD-Kennzeichen wäre es aber wohl nicht möglich gewesen. So seltsam es klingen mag, ich war zunächst einmal irgendwie überwältigt und erleichtert, dass ich in die gesperrte Stadt Wuhan hinein konnte. Ich bin dann gleich zum französischen Konsulat, um die weitere Vorgangsweise abzustimmen.
Wie war es, in der Geisterstadt anzukommen?
Es hatte etwas Apokalyptisches. Die Sonne schien, aber die Stadt war menschenleer. Wenn man chinesische Städte kennt, dieses Gewurl, die Fröhlichkeit der Menschen, ihren Fleiß und Drive, dann ist es, ich muss mich wiederholen, weil ich das schon in der „ZiB“ gesagt habe, wirklich gespenstisch. Diese Stille. Ich habe das Gezwitscher der Vögel durch die Stille in der Stadt als vergleichsweise schrill und bedrohlich empfunden. Nur ein paar Gestalten, die mit bedrückten Gesichtern durch die Straßen gehen. Kein Verkehr, kein Leben, nichts …
Zu wissen, dass im Ernstfall jemand da ist, dass Österreich einem zur Seite steht, ist schon ein emotionaler Moment.
Generalkonsul Nikolai Herold
Wie haben die Österreicher reagiert, als Sie ankamen?
Die mussten auch erst alle in das französische Generalkonsulat gelangen, wir hatten ihnen die erforderlichen Bestätigungen auf ihre Handys übermittelt. Mein Plan B war es, diejenigen, die an einer der Kontrollen gescheitert wären, abzuholen, wobei sich das für alle wohl zeitlich wohl nur schwer ausgegangen wäre. Zu einem Gelingen gehören umfangreiche Vorbereitung, Einsatz und dann eben auch eine Portion Glück dazu. Letztendlich war Plan B doch nicht notwendig, alle konnten den Treffpunkt erreichen. Dies ist sicher auch dem unermüdlichen Einsatz des Teams der österreichischen Botschaft in Peking und dem Team des Bürgerservice im Außenministerium zu verdanken. Die Rückholaktion, die am Samstag stattfand, profitiert sicherlich von den Erfahrungen der letzten Evakuierung … Als wir uns dann begegnet sind, war jeder sehr froh. Die Anspannung war groß, die Mission ja noch nicht erfüllt. Es warteten noch die medizinische Untersuchung und die Immigration. Ich glaube, spätestens da hat sich eine Art Heimatgefühl eingestellt. Zu wissen, dass im Ernstfall jemand da ist, dass Österreich einem zur Seite steht, ist schon ein emotionaler Moment.
Mit Ihnen als „todesmutigem Helden“?
Todesmutig? Nein. Aber hoffentlich die Gefahr richtig einschätzend, und so ausgerüstet und Vorsichtsmaßnahmen einhaltend, dass ich nicht selber noch zu einem Fall werde und zur Last falle.
Mein Kollege Michael Jeannée schrieb, Sie seien der „Diplomat des Jahres“. Freuen Sie sich darüber?
Über die Post von Jeannée freuen sich alle, wenn sie positiv erwähnt werden. Es kann ja auch ganz anders sein . - Lacht.
Was hat eigentlich Ihre Frau gesagt?
Die wusste nichts davon. Sie war zu dem Zeitpunkt schon mit unserem jüngeren Sohn in Österreich, die Schulferien wurden aufgrund des Corona-Ausbruchs bis Ende Februar verlängert. Ich habe sie, das muss ich gestehen, erst aus Wuhan angerufen. Alles andere hätte die Situation nur noch schwieriger gemacht. Was sie geantwortet hat, ist nicht zitierfähig. - Lacht.
Wird Corona die Weltmacht China nachhaltig schwächen?
Ich bin vielleicht nicht der richtige Ansprechpartner, um diese Frage zu beantworten. Aber die Chinesen tun nach ihren Erfahrungen mit SARS wirklich alles, um das Virus einzudämmen, mit sehr großem Einsatz. Der Bevölkerung werden durch die Maßnahmen große Opfer abverlangt. Das sehr wichtige chinesische Neujahrsfest fand dieses Jahr nicht statt, traditionelle Feierlichkeiten wurden abgesagt. Die ganze Situation ist für die Menschen sehr traurig und nicht leicht zu ertragen.
Hat es Sie überrascht, dass China in acht Tagen ein Krankenhaus bauen kann?
Nein, so wie ich meinen Empfangsstaat kenne, hat mich das überhaupt nicht überrascht. Die Chinesen sind großartig im Vorantreiben von Projekten. Alles, was dem gemeinschaftlichen Wohlergehen dient, wird mit Nachdruck und in kürzester Zeit realisiert. Das wird noch zu einem geflügelten Wort werden, wenn etwas zu lange dauert. „In der Zeit hätte China schon zehn Krankenhäuser gebaut.“
Wir sollten uns bewusst sein, dass der Feind das Virus ist, die Krankheit, aber niemals der Mensch, der sie vielleicht in sich trägt.
Generalkonsul Nikolai Herold
In Österreichs leiden Chinarestaurants unter Umsatzrückgängen und asiatisch aussehende Menschen werden zum Teil offen angefeindet. Was geht da durch Ihren Kopf?
Ich finde es furchtbar. Deshalb werde ich kommenden Sonntag, wenn ich aus der Quarantäne entlassen bin, aus Solidarität als Erstes Chinesisch essen gehen. Wir sollten uns bewusst sein, dass der Feind das Virus ist, die Krankheit, aber niemals der Mensch, der sie vielleicht in sich trägt. Mein Mitgefühl gilt den Menschen in den abgeriegelten Städten und Provinzen. Ich glaube, ich kann das etwas nachfühlen, da ich mich selbst in einer zugegebenermaßen vergleichsweise recht kurzen Quarantäne befinde.
Was wäre Ihr Wunsch für Wuhan?
Ich wünsche den betroffenen Menschen viel Kraft und Durchhaltevermögen und darf den Slogan zitieren, den ich Wuhan mehrfach gesehen, gelesen habe: „Wuhan jiayou!“ - „Halte durch, Wuhan!“
Nikolai Herold: Von Moskau über Abu Dhabi nach Peking
Geboren am 18.12.1966 in Wien, sein Vater war Anwalt, die Mutter Schauspielerin. Im Außenministerium seit 2002, zunächst im Bürgerservice, dann wird er an der österreichischen Botschaft in Moskau als Diplomat eingeschult. 2005 bis 2012 arbeitet er an der Botschaft in Moskau, 2012 bis 2018 in Abu Dhabi und seit Sommer 2018 ist er Generalkonsul an der österreichischen Botschaft in Peking. Nikolai Herold spricht sieben Sprachen, darunter Russisch und Arabisch- seine Großmutter stammt aus Russland. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
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