Pulverfass Idlib

Türkei, Russland, Assad – und die letzten Rebellen

Ausland
11.02.2020 06:00

„Nach unseren Informationen wurden 101 Angehörige des Regimes neutralisiert“ - mit diesen Worten zündete die Türkei am Montag die nächste Eskalationsstufe im Syrien-Krieg. Gemeint waren Soldaten von Syriens Machthaber Bashar al-Assad, mit dem sich der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan ein brandgefährliches Kräftemessen liefert. Brennpunkt ist die Provinz Idlib, wohin sich jahrelang unterschiedlichste Anti-Assad-Gruppen - von gemäßigt bis islamistisch - geflüchtet hatten. Mit russischer Unterstützung dringt Assad immer weiter ins umkämpfte Gebiet vor. Die Rebellen, teils unterstützt von Erdogan, halten mit allen Kräften dagegen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Assad und Erdogan in die Quere kommen würden. Schauplatz ist die nordsyrische Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei. Dort hat die Türkei - mit dem Segen Russlands, das seine schützende Hand über das Assad-Regime hält - zwölf Beobachtungsposten aufgebaut. Schon in der Vorwoche kamen acht türkische Soldaten bei einem Angriff der syrischen Regierungstruppen ums Leben, am Montag gab es fünf weitere Todesopfer und fünf Verletzte.

Türkei „neutralisiert“ mehr als 100 syrische Soldaten
Die Reaktion aus Ankara fiel diesmal massiv aus: 101 Assad-Soldaten seien „neutralisiert“ worden, hieß es am Montagabend aus dem türkischen Verteidigungsministerium. Mit diesem Ausdruck wurde zuletzt die Tötung oder Gefangennahme feindlicher Soldaten bezeichnet. Zudem seien drei Panzer und zwei Kanonen zerstört sowie ein Hubschrauber getroffen worden. Die Luftangriffe auf syrische Stellungen wurden am Abend fortgesetzt.

Türkische Soldaten im syrischen Dorf Qaminas, wenige Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Idlib. (Bild: APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR)
Türkische Soldaten im syrischen Dorf Qaminas, wenige Kilometer südöstlich der Provinzhauptstadt Idlib.

Es war dies nur der vorläufig letzte Akt in einer Eskalationsspirale, die sich zuletzt immer schneller drehte. Mit dem Vormarsch der syrischen Armee und der damit einhergehenden Aufrüstung der Türkei verschärft sich die Lage im Rebellengebiet nahezu stündlich.

Al-Kaida-nahe Miliz kontrolliert letzte Rebellenbastion
Und ein Ende ist kaum abzusehen. Assad hat erklärt, wieder ganz Syrien unter seine Kontrolle bringen zu wollen. Seit dem vergangenen April läuft seine Offensive auf das letzte große Rebellengebiet rund um Idlib, bei der Assads Truppen durch russische Luftangriffe unterstützt werden. Das Territorium wird von der Al-Kaida-nahen Miliz Haiat Tahrir al-Sham (HTS) kontrolliert.

Ein Rebellenkämpfer feuert eine Rakete in Richtung der Stellungen der Assad-Truppen ab. (Bild: APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR)
Ein Rebellenkämpfer feuert eine Rakete in Richtung der Stellungen der Assad-Truppen ab.

1500 Tote, Hunderttausende flüchten Richtung Türkei
Seit Beginn der Offensive auf Idlib kamen laut UNO mindestens 1500 Zivilisten ums Leben. Erst am Montag waren bei Bombardements von Syriens Verbündetem Russland Aktivisten zufolge mindestens neun Zivilisten getötet worden, unter ihnen sechs Kinder. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht, viele in Richtung türkischer Grenze.

Der Flüchtlings-Treck wälzt sich durch ein syrisches Dorf. (Bild: APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR)
Der Flüchtlings-Treck wälzt sich durch ein syrisches Dorf.

Und nun tut sich mit dem gefährlichen Konflikt Assad - Erdogan eine weitere Front auf. Augenzeugen berichteten am Montag, dass die türkische Armee und die von ihr unterstützte Nationale Befreiungsfront ihre Posten verstärkt und gepanzerte Fahrzeuge, Munition sowie schwere Waffen herangeschafft hätten. Laut der Nachrichtenagentur DHA wurden die Posten mit Panzern und Raketenwerfern verstärkt. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden in den vergangenen Tagen rund 6000 türkische Soldaten und 1400 Fahrzeuge nach Idlib und in die Gegend um Aleppo gebracht. Die nächste Eskalation zeichnet sich ab.

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