Professor Gabriel Leung, Hongkongs führender Epidemiologe und weltweit anerkannter Experte, warnt eindringlich vor einer weiteren Ausbreitung des neuen Coronavirus 2019-nCoV. Er befürchtet, dass sich bis zu 60 Prozent der Weltbevölkerung mit dem gefährlichen Erreger infizieren könnten, wenn es nicht gelinge, das Virus unter Kontrolle zu bringen. Man sollte erwägen, Maßnahmen zur Eindämmung der Lungenseuche nach chinesischem Vorbild zu ergreifen, sagte er in einem Interview mit der britischen Tageszeitung „Guardian“. Auch der WHO-Chef sieht eine „sehr ernste Bedrohung“ für die Welt.
Leung ist Experte für Public Health Medicine und Dekan der medizinischen Fakultät an der Hong Kong University und war bereits Ende Jänner einer der Ersten, der die offiziellen chinesischen Angaben über die Zahl der mit dem neuen Coronavirus Infizierten in Zweifel gezogen hatte.
Rät zu „drakonischer“ Einschränkung der Mobilität
„Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sich die bisher begrenzte Epidemie zu einer Pandemie (eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Krankheit, Anm.) ausweiten könnte“, warnte Leung damals. Dafür seien rasche „drakonische“ Beschränkungen der „Mobilität“ der Menschen nötig, erklärte der Wissenschaftler Ende Jänner.
Bereits mehr als 1000 Tote durch 2019-nCoV in China
Leungs Warnung kam, nachdem der Leiter der Weltgesundheitsorganisation WHO kürzlich erklärt hatte, dass die jüngsten Fälle von Coronavirus-Patienten, die China noch nie besucht hatten, nur die „Spitze des Eisbergs“ sein könnten. Die übergeordnete Frage sei, die Größe und Form des Eisbergs herauszufinden, sagt Leung. Die meisten Experten gehen davon aus, dass jede infizierte Person das Virus im Schnitt an rund 2,5 andere Personen überträgt. Bis dato hat das Virus in China mehr als 1000 Menschen das Leben gekostet.
„Sechzig Prozent der Weltbevölkerung sind eine erschreckend große Zahl“, sagte Leung, der auf dem Weg zu einem Expertentreffen bei der WHO in Genf ist, bei einem Zwischenstopp in London dem „Guardian“. Selbst wenn die allgemeine Sterblichkeitsrate nur ein Prozent betrage, was der Mediziner nach Berücksichtigung milderer Fälle für möglich hält, wäre die Zahl der Todesopfer enorm.
„Vielleicht kommen Infektionen in Wellen“
Ob tatsächlich 60 Prozent der Menschheit infiziert werden, sei unklar, so Leung. „Vielleicht nicht. Vielleicht kommt das in Wellen. Vielleicht wird das Virus seine Letalität (seine „Tödlichkeit“; Anm.) abschwächen, da es ihm sicherlich nicht hilft, wenn es alle auf seinem Weg tötet, weil es dann auch stirbt“, sagte er.
„Haben die massiven Interventionen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, soziale Abschottung und Mobilitätseinschränkungen in China funktioniert?“, stellte er im Interview die Frage in den Raum. „Wenn ja, wie können wir sie übernehmen, oder ist das nicht möglich?", so Leung.
Gipfel mit Experten aus aller Welt in Genf
In Genf tagen bis Mittwoch Experten aus aller Welt, um die Erforschung des Virus voranzubringen und möglichst die Grundlage zur Entwicklung eines Impfstoffs zu legen. Die weltweit führenden Fachleute wollen sich in den zwei Tagen unter anderem mit Therapien, der möglichen Quelle des Virus und seiner Übertragbarkeit befassen.
WHO-Chef sieht „sehr ernste Bedrohung“
Auch der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, warnte am Dienstag vor dem Erreger. Zwar beschränkten sich derzeit noch rund 99 Prozent der Infektionsfälle auf China, doch stelle das Virus auch eine „sehr ernste Bedrohung für den Rest der Welt dar“, sagte er zum Auftakt der Experten-Konferenz in Genf.
„Das Wichtigste ist, die Ausbreitung aufzuhalten und Leben zu retten“, erklärte Tedros vor rund 400 Forschern und Experten aus aller Welt. „Gemeinsam können wir das schaffen“, fügte er hinzu. Der WHO-Chef forderte alle betroffenen Länder erneut auf, ihre medizinischen und wissenschaftlichen Daten zu teilen. Gleichzeitig rief er zu globaler Solidarität auf.
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