Tod nach Entzündung

Eltern sahen Rahel beim Sterben zu: 5 Jahre Haft

Niederösterreich
12.02.2020 19:16

Rahel (13) war ein aufgewecktes Mädchen, hochintelligent, lebenslustig - und ebenso gottesfürchtig wie ihre Eltern. Als die chronische Erkrankung ihrer Tochter bedrohliche Ausmaße annahm, holten sie keine Hilfe, um das Leben des Kindes zu retten. Im Vertrauen auf die Allmacht Gottes beteten und fasteten sie, bis Rahel tot war. Fünf Jahre Haft wegen gröblicher Vernachlässigung einer unmündigen Person mit Todesfolge lautete das Urteil am Mittwochabend.

Die Beschuldigten, 36 und 38 Jahre alt, sind deutsche Staatsbürger und kamen vor fünf Jahren nach Österreich. Weil sie ihre Kinder zu Hause unterrichten wollten, was in Deutschland verboten ist. 2017 wurde das Jugendamt im Waldviertel (NÖ) auf die Familie mit sieben Kindern aufmerksam. Bekannte aus Deutschland hatten Alarm geschlagen. Rahel, die damals elfjährige Tochter, sei schwer krank. Und die Eltern wollten aufgrund ihrer strengen Religiosität keine ärztliche Behandlung.

Eine Sozialarbeiterin erzwang die Einlieferung ins Spital. Hier wurde eine chronische Bauchspeichendrüsenentzündung bei Rahel diagnostiziert. Der Zustand des Mädchens war mehr als bedenklich: Sie hatte Eiter im Bauchraum, der abgesaugt werden musste.

(Bild: APA/HERBERT PFARRHOFER)

Eltern lasen Arztbrief aus Spital nicht einmal
Doch nach acht Tagen holten die Eltern Rahel gegen Revers wieder ab. Den Arztbrief, in dem auch wegen der ungeklärten Ursache der Krankheit eine strenge medizinische Überwachung empfohlen wird, las offenbar keiner der beiden.

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Als aber Jesus das hörte, antwortete er ihm: Fürchte dich nicht; glaube nur, so wird sie gesund!

Lukas 8,50

In den nächsten zwei Jahren dürfte es Rahel gar nicht so schlecht gegangen sein, wie auch Bilder belegen, die die Verteidiger Rudolf Mayer und Zaid Rauf vorlegen.

Mitte September 2019 wurde die Entzündung, die problemlos zu behandeln gewesen wäre, wieder akut. „Rahel wollte nicht mehr aufstehen“, erzählt die Mutter vor dem Geschworenengericht in Krems. Der Vater, der als Missionar in Afrika arbeitete, wurde telefonisch informiert und kam auch bald danach zurück.

(Bild: APA/HERBERT PFARRHOFER)

„Sie wollte, dass Gott sie heilt“
„Sie war schwach, sie lag im Bett, ich sagte ihr: ,Es kann sein, dass Gott dich zu sich holt‘. Aber sie wollte keinen Arzt“, berichtet er jetzt. Richterin: „Warum haben Sie das akzeptiert? Sie war doch erst 13.“ Vater: „Wir wollten ihren Glauben nicht enttäuschen. Sie wollte, dass Gott sie heilt.“ Der Vater setzt fort: „In meinem Verständnis ist es besser, nicht einzugreifen. Ich glaube nicht an die Evolution, ich glaube an Gott, der alles erschaffen hat.“

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Wirst du der Stimme des Herrn, deines Gottes, gehorchen und tun, was recht ist vor ihm, und merken auf seine Gebote und halten alle seine Gesetze, so will ich dir keine der Krankheiten auferlegen, die ich den Ägyptern auferlegt habe; denn ich bin der Herr, dein Arzt.

2. Mose 15,26

Richterfrage zu Gottes Plan mit Menschen
Richterin: „Alle hier im Saal stellen sich eine Frage: ,Wie kann ich drei Tage zusehen, wie mein Kind stirbt?‘“ Antwort: „Ich vertraute auf Gott.“ Richterin: „Glauben Sie, dass es einen Plan gibt für jeden Menschen, dass es Gottes Plan war, Rahel zu sich zu holen?“ Vater: „Wenn ich ihn sehe, werde ich ihn fragen.“

Nur schluchzend kann sich die Angeklagte zum Mordvorwurf äußern: „Keine Mutter will etwas Schlechtes für ihre Kinder“, jammert sie, „wir vertrauten auf Gott.“ Richterin: „Warum hat er sie jetzt verlassen?“ Antwort: „Ich stelle diese Frage nicht.“

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Ist einer von euch krank? Dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben.

Jakobus 5,14

Richterin: „Wie haben Sie die letzten Tage im Leben von Rahel erlebt?“ Mutter: „Keiner kann den Schmerz beschreiben in diesen Tagen. Ich habe gebetet, sie gestreichelt, ihr zu trinken gegeben und gewartet, dass sie wieder gesund wird.“ Rahel war bis auf 30 Kilo abgemagert. Ihr Atem war nur noch flach, bis er vollends versagte. Die Eltern blieben zurück, ihr Glaube an Gott war ungebrochen: „Seine Barmherzigkeit hat uns doch immer beschützt.“

Stimmengleichheit bei Mordfrage
Die beiden Hauptfragen nach Mord durch Unterlassung wurden von vier Laienrichtern bejaht und von ebenso vielen verneint. Bei Stimmengleichheit ist ex lege zugunsten der Angeklagten vorzugehen. Alle acht Geschworenen votierten bei den Eventualfragen nach gröblicher Vernachlässigung einer unmündigen Person mit Todesfolge für Ja. Die Eltern der 13-Jährigen wurden schlussendlich nicht rechtskräftig zu fünf Jahren Haft verurteilt. 

Daten und Fakten
Welcher Glaubensgemeinschaft die Eltern genau angehören, ist umstritten. Sie selbst sprechen von der „Gemeinde Gottes“ und bezeichnen sich als „Freikirchler“. Im deutschsprachigen Raum gibt es verschiedene Gemeinschaften und Freikirchen, die in ihrem Namen die Wörter „Gemeinde“ und „Gottes“ tragen. Predigten der Angeklagten finden sich im Internet unter diegemeindegottes.net, wo es heißt: „Man kann der Gemeinde Gottes nicht beitreten, sondern wird durch die Erfahrung der Wiedergeburt in sie hineingeboren.“

Den Freikirchen in Österreich (FKÖ) gehören die Eltern jedenfalls nicht an, das haben die FKÖ klargestellt und betont: „Seriöse medizinische Behandlungen zu verweigern lehnen wir ab.“ Die fünf Bünde der FKÖ (Baptisten, Elaia Christengemeinden, Evangelikale Gemeinden, Freie Christen Gemeinden und Mennoniten) sind hierzulande seit 2013 eine staatlich anerkannte Kirche.

Peter Grotter und Silvia Schober, Kronen Zeitung/krone.at

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