Neuer Roman

Valerie Fritsch erkundet das Trauma einer Familie

Steiermark
16.02.2020 10:00

Fünf Jahre, nachdem Valerie Fritsch mit „Winters Garten“ der Durchbruch gelungen war, legt die Grazer Autorin mit „Herzklappen von Johnson & Johnson“ ihren zweiten Roman vor. Darin erzählt sie von Traumata, die eine Familie über Generationen beschäftigen. Mit der „Krone“ hat sie über das Buch gesprochen.

Frau Fritsch, haben Sie nach dem Erfolg des ersten Romans einen Druck verspürt, „abliefern“ zu müssen?
Natürlich gibt es einen Erwartungsdruck, und deshalb habe ich mir auch gefühlt Äonen Zeit gelassen, damit etwas Neues in mir wachsen kann, ich klüger werde und auch neue Dinge denke. Aber vom Druck habe ich mich gut befreien können, indem ich mir gedacht habe, ich mache das, was ich kann: schreiben. Lesen sollen dann die anderen.

Wie kam es nun zu dem schmerzhaften Thema Ihres neuen Buches?
Mein erster Gedanke war, dass ich etwas über die Weitergabe von Traumata in Familien machen wollte. Ich wollte über all diese unangenehmen Dinge schreiben, die man unsichtbar vererbt bekommt und von denen man gar nicht so genau weiß, woher sie kommen. Ich kenne das aus meiner Familie, aber habe schnell festgestellt, dass das nicht nur mein persönliches Empfinden ist, sondern ein allgemein gültiges psychologisches Phänomen.

Sie beschreiben eine Familie, die mit einem Schmerz kämpft, der seinen Ursprung im Zweiten Weltkrieg hat.
Nur ein marginaler Teil der Kriegsgeneration und der Kriegskinder hat den Zweiten Weltkrieg damals wirklich verarbeitet. Es galt danach schnell weiterzuleben, und die meisten haben über die Traumata, die sie ausgefasst haben, nicht gesprochen. Es gab wenig Bewusstsein, wie wichtig es ist, solche Probleme aufzulösen und in die Biografie zu integrieren.

Die Fotos der Autorin, die im Zuge der Recherche für den neuen Roman entstanden sind, sind im Herbst 2020 in einer Ausstellung in Graz zu sehen. (Bild: Valerie Fritsch)
Die Fotos der Autorin, die im Zuge der Recherche für den neuen Roman entstanden sind, sind im Herbst 2020 in einer Ausstellung in Graz zu sehen.

Und so wurden die Traumata vererbt. Wie hat sich das auf die Kinder der Kriegsgeneration ausgewirkt?
Sie haben oft eine Unverfügbarkeit der Eltern erlebt. Die waren oft selbst so belastet, dass sie nicht bereit waren, sich mit den Kleinigkeiten zu beschäftigen, die das Leben mit einem kleinen Kind mit sich bringt. Sie haben vieles in Bezug gesetzt zu dem großen Schmerz, den sie selbst erlebt haben - und im Vergleich dazu war jedes aufgeschlagene Knie eine Kleinigkeit. So hat sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern oft umgedreht, und die Kinder sind unbewusst auf die Bedürfnisse der Eltern eingegangen und nicht umgekehrt.

Im Buch gibt es dann auch noch eine dritte Generation.
Die Enkerln sind schon so weit vom ursprünglichen Trauma entfernt, dass es klar ist, dass sie emotional eine gewisse Distanz zu all dem haben und anders auf die Familiengeschichten blicken können.

In dem Fall kommt das Enkerl wirklich ohne Schmerzgefühl auf die Welt, gibt es diese Krankheit wirklich?
Ja, das ist eine sehr seltene Genmanipulation. Betroffene haben ein normales Körperempfinden, aber alles, was Schmerz bedeutet, ist ausgeschaltet. Das klingt im ersten Moment positiv, ist letztlich aber lebensgefährlich. Schmerz ist ein unendlich wichtiger Richtungsweiser im Leben und letztlich etwas fundamental Menschliches. Die Fähigkeit zu leiden ist etwas, das uns essenziell bestimmt.

Der aktuelle Roman „Herzklappen von Johnson & Johnson“ (Suhrkamp, 174 Seiten, 22,70 €) ist ab 17. Februar im Handel. (Bild: Suhrkamp)
Der aktuelle Roman „Herzklappen von Johnson & Johnson“ (Suhrkamp, 174 Seiten, 22,70 €) ist ab 17. Februar im Handel.

In der Familie im Buch bedeutet dieses Kind quasi eine Umkehrung der Verhältnisse.
Ja genau, zwei Generationen haben ein Glück vorgespielt, indem sie so tun, als ob es den Schmerz in ihrem Leben nicht geben würde. Und nun ist da ein Kind, das so tut, als ob es Schmerz spüren könne, um die anderen glücklich zu machen.

War es schwierig, für diese Leere und Sprachlosigkeit die richtige Sprache zu finden?
Ich habe mich sehr um eine präzise Sprache bemüht, die diesen schwierigen Verhältnissen gerecht werden kann - gerade weil man bei so heiklen Themen auch vieles falsch machen kann. Und: Es gibt im Buch keine Dialoge, weil es ein Buch über Sprachlosigkeit ist.

Haben Sie als Grazer Autorin das Gefühl, in einer gewissen Tradition - Stichwort: Grazer Gruppe - zu stehen?
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte mich je mit dieser Form der literarischen Verortung beschäftigt. Ich lebe in Graz und schreibe, das ist alles.

Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und Schriftstellerin Valerie Fritsch stöbern im Aufsteirern-Buch (Bild: Sepp Pail)
Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und Schriftstellerin Valerie Fritsch stöbern im Aufsteirern-Buch

Teil Ihrer Bekanntheit ist es auch, zu allerlei Themen Textbeiträge zu liefern - bei Ihnen ist es immer wieder auch das Thema Heimat. Was bedeutet Heimat für Sie?
Ich fühle mich allen Dingen, die ich liebe, sehr verbunden. Und habe überhaupt nichts gegen den Heimatbegriff. Es gibt viele Orte, Bäume und Menschen in der Steiermark, die für mich ein Zuhause sind und in die ich seit meiner Kindheit verliebt bin. Aber ich bin ja auch viel unterwegs, und daher gibt es dieses Gefühl für mich nicht nur mehr hier. Auch in der Fremde entdeckt man immer wieder Orte, die sich nach Heimat anfühlen, so, als hätte man sie innerlich schon lange gesucht.

Offiziell präsentiert wird der neue Roman von Valerie Fritsch am 9. März bei einer Lesung im Grazer Literaturhaus.

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