Nach Gewalttat
Hanau: Deutsche Muslime fordern mehr Schutz ein
Nach dem Anschlag von Hanau haben die Muslime in Deutschland mehr Schutz und Anerkennung angemahnt. Der deutsche Innenminister Horst Seehofer hatte die Gewalttat zuvor einen „rassistisch motivierten Terroranschlag“ genannt und eine stärkere Polizeipräsenz in ganz Deutschland angekündigt.
Islamfeindlichkeit müsse klar als Problem benannt und ihr entgegengetreten werden, verlangten der Zentralrat sowie der Koordinationsrat der Muslime am Freitag in Berlin. Die Organisationen kritisierten, dass nach dem Anschlag zwar Rassismus und Rechtsextremismus angeprangert wurden, aber kaum über den islamfeindlichen Charakter der Tat gesprochen worden sei.
Der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Zekeriya Altug, sagte am Freitag in Berlin, er hätte sich gewünscht, dass bei den Gedenkveranstaltungen in Hanau deutlich benannt worden wäre, dass die Opfer Muslime waren. Es sei zwar gesagt worden, „dass man zusammenstehen möchte, aber nicht mit wem“. Dies gelte auch für Bundespräsident Steinmeier. „Es ist eine vertane Chance“, sagte er. „Es ernüchtert und enttäuscht.“ Altug verlangte eine Expertenkommission, die Maßnahmen gegen Anti-Islamismus entwickle.
Fast alle Opfer waren Muslime
Fast alle der zehn Opfer des Anschlags von Hanau waren in Deutschland geborene Muslime. Laut Angaben des hessischen Landeskriminalamts (LKA) hatten drei der Toten eine deutsche Staatsangehörigkeit, zwei eine türkische, eine bulgarische und eine rumänische. Ein Mensch kommt aus Bosnien-Herzegowina, und ein Opfer hat eine deutsche und afghanische Staatsangehörigkeit. Als zehntes Opfer kommt die deutsche Mutter des mutmaßlichen Täters hinzu.
Altug wies darauf hin, dass die muslimischen Verbände nur drei Tage vor der Tat anlässlich der Aufdeckung der rechtsextremen Terrorzelle S eindringlich vor der Gefahr durch Islamfeindlichkeit gewarnt hatten. Genau solche Anschläge auf Muslime, wie sie die Gruppe S geplant habe, seien nun von dem Täter von Hanau ausgeführt worden. „Ihr müsst endlich handeln, die Muslime in diesem Land haben Angst, nicht nur um ihre Moscheen, auch um sich selbst und ihre Kinder“, sagte Altug. Hanau sei nur „die traurige Spitze vieler Angriffe islamfeindlicher Natur in Deutschland“.
Wie besserer Schutz aussieht, ist unklar
Wie ein besserer Schutz aussehen könnte, dazu gab es unterschiedliche Meinungen. Während sich Altug zur Positionierung von Polizisten vor Moscheen skeptisch äußerte, sprach sich der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, ausdrücklich für solche Maßnahmen aus. Zwar bezeichnete auch er einen flächendeckenden Polizeischutz als unrealistisch, dieser könne jedoch bei Moscheen, die schon das Ziel von Attacken oder Bedrohungen waren, zu bestimmten Zeiten sinnvoll sein, zum Beispiel während des Freitagsgebets.
Am Vormittag hatte Seehofer die Gewalttat in Hanau, bei der neun Menschen mit Migrationshintergrund von einem 43-jährigen Deutschen erschossen wurden, einen rassistisch motivierten Terroranschlag genannt und eine stärkere Polizeipräsenz in ganz Deutschland angekündigt. Die Bundespolizei werde an Bahnhöfen, Flughäfen und an den Grenzen präsent sein, so Seehofer. „Die Gefährdungslage durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus ist in Deutschland sehr hoch“, sagte Seehofer. Nach dem Mordfall Lübcke und dem Anschlag von Halle sei dies der „dritte rechtsterroristische Anschlag in wenigen Monaten“. Gesetze sollen aber nicht verschärft werden.
Angst vor Nachahmungstätern
In den vergangenen Tagen seien weitere Anschläge verhindert worden, Ermittler hätten Sprengstoff und Handgranaten in großer Zahl sowie automatische Waffen sichergestellt. Mit Nachahmungstätern müsse man nach einer so schrecklichen Tat immer rechnen. Den Rechtsextremismus bezeichnete Seehofer als höchste Sicherheitsbedrohung für Deutschland. Er fordere nun „nicht mehr Personal und auch nicht mehr Paragrafen“, sagte er. Die neu geschaffenen Möglichkeiten müssten genutzt werden. Auch die deutsche Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) verwies auf jüngst beschlossene Gesetze, etwa gegen Hetze im Internet.
Der rassistische Hintergrund dieser Tat ist aus meiner Sicht vollkommen unbestritten.
Deutschlands Innenminister Horst Seehofer
Die Ermittler gehen davon aus, dass der mutmaßliche Todesschütze psychisch krank war. Der Präsident des deutschen Bundeskriminalamts, Holger Münch, sprach auf Grundlage erster Einschätzungen von einer offensichtlich „schweren psychotischen Krankheit“. Seehofer betonte jedoch, „der rassistische Hintergrund dieser Tat ist aus meiner Sicht vollkommen unbestritten und kann durch nichts relativiert werden“. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hatte zuvor Vorwürfe einer Mitverantwortung seiner Partei zurückgewiesen und von einem „offensichtlich völlig geistig verwirrten Täter“ gesprochen.
Mahnwache und Gedenkminute
Am gestrigen Donnerstag sowie am Freitag wurde bei mehreren Veranstaltungen der Opfer gedacht. Am Donnerstagabend fand eine Mahnwache in Hanau statt, zudem begannen die Internationalen Filmfestspiele in Berlin mit einer Gedenkminute für die Opfer der Gewalttat. Auch bei der heutigen Friday-For-Future-Klimademonstration in Hamburg haben Tausende Schüler und Studenten eine Schweigeminute eingelegt. Für das Wochenende sind weitere Kundgebungen und Veranstaltungen angekündigt, bei denen Menschen ihr Mitgefühl ausdrücken und gegen Rechtsextremismus demonstrieren wollen.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.