Das blutige Gemetzel im Lechtal, bei dem 33 Stück Rotwild - wie berichtet - in einem Gatter erschossen wurden, um die TBC-Gefahr einzudämmen, schockiert nach wie vor das Land. Der „Krone“ liegen nun erschreckende und verstörende Details dieser Schandnacht vor.
Der Schock steht Norbert Lorenz, Bürgermeister von Kaisers, beim Treffen mit der „Krone“ noch immer ins Gesicht geschrieben. Das Geschehene zu verarbeiten, wird alles andere als einfach. Es zu vergessen, wohl eher unmöglich. Der Ortschef will Aufklärung. Nichts, gar nichts dürfe hier unter den Tisch gekehrt werden, betont er.
„Das war ein reiner Zufall“
Daher packt er auch sämtliche Details rund um die Schandnacht aus, die er am eigenen Leib miterlebt hat. „Es ist einem reinen Zufall zu verdanken, dass wir von der Tötung des Rotwildes überhaupt etwas mitbekommen haben. Die Frau jenes Hauses, das sich am nähesten zum Gatter befindet, ist gegen 21 Uhr vor die Türe gegangen. Dabei hörte sie leise Schüsse und alarmierte auf der Stelle ihren Ehemann“, verdeutlicht Lorenz.
Der Mann habe daraufhin den Bürgermeister kontaktiert, der mit zwei Kollegen in einem Pick-up zum Gatter gefahren ist. „Die Straße war offiziell von der Lawinenkommission gesperrt. Für die Behörde wurde sie jedoch geöffnet, damit der Schütze und sein Helfer zum Gatter hinfahren konnten“, weiß Lorenz. Die letzten 200 Meter ging das Trio dann zu Fuß, um nicht aufzufallen. „Als die drei am Gatter ankamen, wollte sie der Schütze - ein etwa 60-jähriger Einheimischer - nicht hineinlassen: „Ich hole die Polizei, ich hole die Polizei.“ Doch das Trio ließ sich nicht einschüchtern. „Die Emotionen kochten hoch, die Stimmung war regelrecht aufgeheizt. Der Schütze hat plötzlich geschwiegen“, betont Lorenz.
„Auch trächtige Tiere wurden erschossen„
Das Trio hat das Gatter betreten. „Wir haben das Grauen gesehen und Fotos sowie Videos gemacht. Unter den toten Tieren waren Hirsche, obwohl hier die Abschussquote von Vornherein erfüllt war, Schmaltiere und auch trächtige Kälber.“ Vor allem die alten Hirsche habe Lorenz gut gekannt: „Als langjähriger Jäger sind einem die Tiere vertraut.“
Laut Polizei seien viele der Tiere durch saubere Blattschüsse erlegt worden. „Der Schütze muss wie ein Ferngesteuerter geschossen haben. Denn die Tiere waren panisch und liefen wild im Gatter umher. Hier die Ruhe zu bewahren, das schafft nur ein Profi“, erklärt Lorenz. Geschossen sei samt Schalldämpfer geworden. „Das war eindeutig als heimliche Nacht- und Nebelaktion geplant. Das hätte auch funktioniert, wenn nicht der Zufall zugeschlagen hätte“, schildert der Ortschef.
Apropos Schütze: „Das Land und die Staatsanwaltschaft kennen die Identität des Schützen und seines 18-jährigen Gehilfen - auch ein Einheimischer. Es wurde alles beschlagnahmt - das Gewehr, Kameras, Laptops. Die Ermittlungen laufen. Auch ich musste mich einem vierstündigen Verhör unterziehen. Der Schütze wird wegen Tierquälerei angezeigt. Wohl auch noch andere Beteiligte“, weiß Lorenz.
„Gewehr wird nach zehn Schüssen feurig heiß“
Ob der Schütze tatsächlich nur ein Gewehr verwendet hat, wagt der Bürgermeister zu bezweifeln: „Bereits nach zehn Schüssen werden solche Gewehre feurig heiß.“
Übrigens: Das im Gatter erlegte Wild muss auch mit bester Fleischqualität in die Tierkörperverwertung. Die „Aufräumaktion“ nach dem Gemetzel soll bis 3.30 Uhr gedauert und der Gatter soll rund 20.000 Euro an Steuergeld gekostet haben. Er soll im Mai abgebaut werden. Auch wird der jetzige Jagdpächter voraussichtlich kündigen.
„Es hätte Alternativen gegeben“
„Wir lassen das Gatter am Holzrinner das Jagdjahr 2020 stehen. Rechnen die noch fehlenden 20 Stück Rotwild mit den fünf Stück Zuwachs zur ,Gutachterlichen Einschätzung’ hinzu und kommen auf einen Gesamtabschuss von 60 bis 65 Stück Rotwild im Jagdjahr 2020/21. Dieser Abschuss ist von den Jägern zu leisten. Am 15. Dezember 2020 wird Bilanz gezogen. Dann könnte im Notfall zeitgerecht das Reduktionsgatter aktiviert werden.“ - Diese Zeilen schrieb Lorenz am 25. Jänner 2020 an die zuständige Bezirkshauptfrau. „Anstelle darauf zu reagieren hat man uns seitens der Politik unterstellt, wir wären nicht kooperativ gewesen“, ärgert sich der Ortschef.
Eine weitere Alternative wäre das Betäuben der Tiere mittels Gewehr oder Futtermitteln gewesen, gefolgt von einem tödlichen Schuss.
Prinzipiell müsse eine Diskussion darüber angeregt werden, ob im Lechtal bisher die TBC-Bekämpfung mit der richtigen Strategie verfolgt wurde. „Es gibt Orte, in denen man mit weniger Jagddruck TBC erfolgreicher bekämpft. Das sollte uns für die Zukunft zu denken geben“. betont Lorenz.
Massaker auch in Steeg?
„Das beweist, dass es sehr wohl tierschutzgerechte Alternativen gegeben hat. Das alles wäre besser gewesen, als die Massentötung im Gatter“, sagt FP-Landesparteichef Markus Abwerzger, „man darf nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Das Massaker in Kaisers sei nicht das einzige gewesen. Auch in Steeg soll sich vor Jahren Ähnliches zugetragen haben. „Wir wollen natürlich auch darüber von LHStv. Josef Geisler alles wissen“, betont Abwerzger.
Tränen in den Augen
Wenn man Bürgermeister Norbert Lorenz gegenübersitzt und ihm bei seinen schier unfassbaren Schilderungen zuhört, fällt es einem schwer zu glauben, dass es sich um die Realität handelt. Doch leider befinden wir uns in der Wirklichkeit - das beweisen seine minutiösen Schilderungen, seine Verletztheit, die in seinen Augen zu sehen ist, sowie seine Fassungslosigkeit und Enttäuschung darüber, dass das Interesse an einer Aufklärung dieses Massakers seitens der Politik mangelhaft ist. „Unserer jüngsten Tochter haben wir vom Gemetzel nichts erzählt. Die Achtjährige hat es leider in der Zeitung gelesen und mich unter Tränen gefragt: Papa, warum macht man so etwas?“ Und genau das ist die Gretchenfrage: Warum wählt man diesen brutalen Weg, wo es doch plausible Alternativen gegeben hätte, liebe Verantwortliche?
Jasmin Steiner, Kronen Zeitung
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