„Modell Wuhan“
Coronavirus: Norditalien schottet sich ab
Nach einem gehäuften Auftreten von Coronavirus-Fällen mit inzwischen drei Todesopfern und über 130 Erkrankungen ergreifen die norditalienischen Regionen Notstandsmaßnahmen. Die Regierung hat die Abriegelung mehrerer Gemeinden im Norden des Landes angeordnet. Betroffen sind elf Städte in Gebieten, in denen sich das neuartige Virus plötzlich rasant ausgebreitet hat. Die Zeitung „Corriere della Sera“ spricht aktuell von einer Sperre wie in China nach dem „Modell Wuhan“.
Zu den abgeriegelten Gebieten gehören zehn Gemeinden in der Provinz Lodi in der Lombardei rund 60 Kilometer südöstlich der Metropole Mailand: Codogno, Castiglione d‘Adda, Casalpusterlengo, Fombio, Maleo, Somaglia, Bertonico, Terranova dei Passerini, Castelgerundo und San Fiorano. Hier leben insgesamt rund 50.000 Einwohner. Die elfte Gemeinde ist die Stadt Vo in der Provinz Padua in Venetien mit rund 3.000 Einwohnern.
Notfalls kommt auch Armee zum Einsatz
Eine Abriegelung der Ortschaften bedeutet, dass das Betreten oder Verlassen verboten ist, wie Ministerpräsident Giuseppe Conte erklärte. Die Anordnung werde von der Polizei und notfalls auch der Armee durchgesetzt, jedwede Verletzung dieser Sperre werde strafrechtlich verfolgt. Bis zum Sonntag waren Anrainer der betroffenen Städte lediglich angewiesen, das Gebiet nicht zu verlassen.
Conte zufolge habe man sich auf strengeren Maßnahmen geeinigt, nachdem eine Familie abgefangen worden war, die im Begriff gewesen sei, eine der Städte verlassen. Nach Angaben Contes sollten die Maßnahmen für zwei Wochen gelten, was der normalen Inkubationszeit für die vom Virus verursachte Lungenkrankheit Covid-19 entspreche.
Zuvor hatte auch der Präsident der Region Venetien angekündigt, dass der weltberühmte Karneval in Venedig abgesagt werden muss. Die Mailänder Scala sagte ihre Aufführungen bis auf Weiteres ab, ebenfalls betroffen ist die Mailänder Fashion Week.
Lombardei schließt Schulen und Universitäten
Die Lombardei, in der 90 Fälle gemeldet wurden, beschloss am Sonntag die Schließung von Schulen, Universitäten, Museen und Bibliotheken. Sportliche, religiöse und kulturelle Veranstaltungen wurden ausgesetzt. Laut Giulio Gallera, dem Gesundheitsbeauftragten der Lombardei, wird eine Schließung der Geschäfte in der gesamten Region geprüft. Sollte sich die Lage verschlimmern, sei die Region zur Ergreifung „drastischer und rigoroser Maßnahmen“ nach „Wuhan-Vorbild“ bereit, wie der lombardische Präsident Attilio Fontana in einem TV-Interview erklärte.
Die Insel Ischia im Golf von Neapel hat mittlerweile Bürgern aus den norditalienischen Regionen Lombardei und Venetien sowie Chinesen aus dem Epidemie-Gebiet die Landung verboten. Die Maßnahme gilt bis zum 9. März und wurde von den Bürgermeistern der süditalienischen Insel unterzeichnet.
Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher unterschrieb indessen am Sonntag eine Notverordnung, durch die das Risiko einer Ausbreitung des Coronavirus in Südtirol minimiert werden soll. Demnach bleiben ab Montag alle Kleinkindbetreuungseinrichtungen, die Freie Universität Bozen und weitere Bildungseinrichtungen geschlossen.
Suche nach „Patient 0“
Noch unklar ist der Ursprung des Epidemieherdes, der in der lombardischen Kleinstadt Codogno lokalisiert wurde. Der Ort ähnelt inzwischen einer Geisterstadt, alle Geschäfte und Lokale sind geschlossen. Während die meisten Bewohner von Codogno am Samstag noch Ruhe bewahrten, sah die Lage nach Inkrafttreten der Quarantäne-Maßnahmen einen Tag später anders aus. Besonders im zehn Autominuten entfernten Casalpusterlengo, dem Sitz des Unilever-Werks von „Patient 1“, liegen die Nerven am Sonntag blank. Ein „Patient 0“ (also der erste Überträger des Virus in Italien) wurde bislang nicht ausfindig gemacht.
WHO-Chef: „Situation besorgniserregend“
Der Direktor der Weltgesundheitsorganisation in Europa, Hans Kluge, sagte in einem Interview, dass die italienische Situation besorgniserregend sei, „da nicht alle Infizierten direkte oder indirekte Kontakte zu Personen hatten, die in China waren, oder mit bereits bestätigten Infektionsfällen.“
Kaiser rät von Italien-Reisen ab
Noch am Samstag hatte die Kärntner Nachbarregion Friaul den Notstand ausgerufen. Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) teilte in einer Pressekonferenz am Sonntag mit, dass die Bevölkerung derzeit keine Italien-Reisen unternehmen solle. „Das Wichtigste ist jetzt, Ruhe zu bewahren und nicht in Hysterie zu verfallen“, riet er zur Besonnenheit. Auch Innenminister Karl Nehammer betonte am Sonntag, dass „kein Grund zur Panik“ bestehe.
Am Montag werden die Gesundheitslandesräte mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zusammentreffen, „zur weiteren Verstärkung der Abstimmung der Maßnahmen“ gegen das neuartige Coronavirus. „Wir nehmen die Entwicklung in Italien sehr ernst“, betonte Anschober. „Wir sind gut vorbereitet und arbeiten eng innerhalb der EU zusammen.“
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