Oscarpreisträger Al Pacino gibt für Amazon Prime sein Seriendebüt. In „Hunters“ spielt Pacino einen Nazijäger im New York der 1970er-Jahre. Die insgesamt zehn comichaft-brutalen Episoden sind seit Freitag bei dem Streamingdienst abrufbar - und sorgen angesichts fragwürdig-expliziter Darstellungen des Holocaust bereits für Empörung. Besonders eine nicht historisch belegte Szene, in der KZ-Insassen gezeigt werden, die eine Art „menschliches Schach“ mit tödlichem Ausgang spielen müssen, wird unter anderem vom Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau als „Sensationalisierung“ der Shoah heftig kritisiert.
Die Handlung von „Hunters“ beruht auf wahren Begebenheiten, hat Serienschöpfer David Weil doch die Geschichte seiner Großmutter als Vorlage benutzt. Demnach gehe es um ihre Erfahrungen während des Krieges, die sie ihm als Kind erzählt hat. „Für mich hat sich das angefühlt wie Dinge aus einem Comic oder von Superhelden“, so Weil. „Die Verpflichtung liegt nun bei uns, den nächsten Generationen davon zu erzählen.“
„Diese Geschichte ist ganz schön verrückt. Wirklich gruseliges Zeug. Es ist sehr schwer, tiefgründig und voller tragischer Emotionen. Es bedient die ganze Skala“, hatte Oscarpreisträger Pacino selbst „Hunters“ im Vorfeld des Starts bei Amazon Prime beschrieben. Doch die gewählte Art und Weise der Erzählung - comichaft, brutal, im Tarantino-Style - und die künstlerischen Freiheiten rund um historische Ereignisse spalten jetzt die Zuseher.
„Ich habe die ersten Folgen gesehen, aber ich gebe zu, dass die Serie mir ein ungutes Gefühl gibt, fast so, als würde sie den Holocaust mit Comic-Gewalt und Handlungssträngen im Tarantino-Stil verherrlichen“, schreibt etwa ein User auf Twitter über die Serie. „Ich habe Episode 1 #Hunters gesehen. Ich werde nicht mehr weiterschauen“, fügt ein anderer hinzu. „Die Geschichte von Auschwitz ist keine Unterhaltung, insbesondere kein Comic-Fernsehen.“
Problematische Rückblenden zum Holocaust
Auch jüdische Gruppen zeigen sich vor allem wegen einer Szene in der ersten Folge höchst irritiert. Die betreffende Szene zeigt Pacinos Charakter Meyer Offerman bei einer Rückblende auf seine Zeit im Vernichtungslager Auschwitz. Der spätere Nazijäger beobachtet dabei, wie SS-Offiziere 32 jüdische Gefangene zwingen, menschliches Schach zu spielen. Konkret geht es um die fiktionale Geschichte eines jüdischen Schachmeisters, der zu der besonders grausigen Schachpartie gezwungen wird, bei der die Figuren andere Gefangene sind. Fällt eine Figur, wird die Person getötet.
Die schreckliche Szene wurde unter anderem von der Auschwitz-Gedenkstätte in Polen wegen ihrer historischen Ungenauigkeiten und der Darstellung eines „Spiels“ verurteilt, von dem nie bestätigt wurde, das es real war. In einer auf Twitter veröffentlichten Erklärung der Gedenkstätte heißt es: „Auschwitz war voller schrecklicher Schmerzen und Leiden, die in den Berichten der Überlebenden dokumentiert sind. Eine gefälschte Partie menschliches Schach (für „Hunters“ auf Amazon Prime; Anm.) zu erfinden, ist nicht nur gefährliche Dummheit und Karikatur. Es lädt auch zukünftige Leugner ein. Wir ehren die Opfer, indem wir die sachliche Richtigkeit wahren.“
„Waren die Verbrechen von Auschwitz nicht genug?“
Neben dem „menschlichen Schach“ gibt es in „Hunters“ weitere Rückblenden, die als problematische „Jewsploitation“ (angelehnt an das Filmgenre Blaxploitation der 1970er-Jahre; Anm.) für Diskussionen sorgen. Etwa jene Szene, in der jüdische Gefangene gezwungen werden, als Chor ein Nazi-Lied zu singen - und jeder eine Kugel verpasst bekommt, der auch nur eine Note falsch singt, bis am Ende nur noch einer übrig ist. „Jetzt mal ehrlich, waren die Verbrechen von Auschwitz nicht genug?“, fragt auch die „Times of Isreal“ in ihrer Rezension der Amazon-Serie. „Müssen Sie ausgerechnet Auschwitz mit albernen Tropfen von Exploitation-Filmen ausschmücken? Und wenn Sie diesen Weg gehen wollen, wie sollen wir dann die anderen berührenden Szenen in den Lagern ernst nehmen?“
In einer ausführlichen Rezension von „Hunters“ auf fernsehserien.de wird dazu angemerkt, dass unter Filmemachern der unausgesprochene Konsens herrsche, „keine dramatisch inszenierten Szenen aus den Todeslagern zu inszenieren, weil dadurch der singuläre Horror des Holocaust trivialisiert würde“. Dies gelte besonders seit der preisgekrönten Dokumentation „Shoah“ von Claude Lanzmann aus dem Jahr 1985. Die Regielegende benötigte für sein neunstündiges Jahrhundertwerk keine Archivbilder, sondern befragte die Überlebenden, um den Holocaust in der Gegenwart zu verankern.
Dieses stille Übereinkommen wird jedoch in „Hunters“ auf drastische Weise ignoriert, wenn eine Holocaust-Gräueltat der nächsten folgt. Wobei die erfundenen Szenen aus Auschwitz und Buchenwald noch umso fragwürdiger wirken, als seien die Schrecken der Realität nicht unfassbar genug gewesen. Etwa der Nazi-Wissenschaftler, der Gefangene zwingt, ausschließlich filtriertes Salzwasser zu trinken. Derartige Experimente sind aus dem Konzentrationslager Dachau bekannt.
Doch bei aller Problematik sollte man sich selbst ein Bild von „Hunters“ machen. „Die Ausschmückung der Gräueltaten des Holocaust ist eine grenzwertige Beleidigung, aber in der neuen Serie mit Al Pacino mangelt es nicht an berührenden und aufschlussreichen jüdischen Momenten“, so das Fazit der „Times of Israel“.
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