Abgeriegelte Orte
Italien zwischen Isolation und Panikmache
In mehreren Städten und Gemeinden Norditaliens herrscht nach dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus Ausnahmezustand. Elf Orte mit mehr als 50.000 Einwohnern stehen seit Sonntag unter Quarantäne. Seit dem Wochenende stürmen besorgte Bürger die Lebensmittelgeschäfte, um sich mittels Hamsterkäufen mit Vorräten einzudecken. Neben Lebensmitteln ganz oben auf der Einkaufsliste stehen Atemschutzmasken, die aber schon vielerorts ausverkauft sind. Beobachter beschreiben die Lage in Italien mit folgenden zwei Worten: Isolation und Panikmache. Unterdessen ist die Zahl der an Covid-19 gestorbenen Patienten am Montag deutlich gestiegen.
Am späten Nachmittag wurde der sechste Tote, ein 80-jähriger Mann aus der lombardischen Ortschaft Castiglione d‘Adda, vermeldet. Der Mann starb im Krankenhaus Sacco in Mailand, teilten die lombardischen Gesundheitsbehörden mit. Castiglione d‘Adda zählt zu den zehn Gemeinden der lombardischen Provinz Lodi, in denen das Coronavirus am Freitag ausgebrochen war. Der Mann war am Donnerstag ins Krankenhaus von Lodi wegen eines Herzinfarkts eingeliefert worden. Er wurde positiv auf das Coronavirus getestet und ins Spital Sacco in Mailand eingeliefert, wo er am Montag verstarb.
Roberto Cighetti lebt in Codogno, dem Epizentrum der Krise. Alle Geschäfte bis auf Apotheken und Supermärkte sind geschlossen. Die Straßen sind leerer als sonst, manche Einwohner gehen spazieren - allerdings mit mehr Abstand voneinander als normalerweise. Man bleibt unter sich, in der Familie, trifft keine Freunde. So erzählt es der 33-Jährige. Die Stadt mit rund 15.000 Einwohnern ist eine von mehreren Gemeinden südlich von Mailand, die nun Sperrzone sind. Dutzende Menschen haben sich dort mit dem Coronavirus angesteckt.
Bewohner aus Epizentrum: „Bedauere viele Falschmeldungen“
„Es gibt Familien, die sind entspannt“, sagt Cighetti, der an einer Schule in der Region unterrichtet. „Es gibt Familien, die sind besorgt, vor allem wenn ein Infizierter unter ihnen ist. Und es gibt Familien, die sind grundlos in Panik.“ Er findet den Vergleich zwischen Codogno mit der Stadt Wuhan nicht passend - in der chinesischen Millionenstadt brach das Virus erstmals aus. „Wir sind eine kleine Stadt, im Gegensatz zu Wuhan nicht dicht besiedelt, umgeben von Natur und mit vielen Parks“, sagt er am Telefon. Und in Codogno dürften die Einwohner aus den Häusern. Er bedauert die vielen Falschmeldungen, die über den Ausbruch in sozialen Netzwerken und auf WhatsApp kursierten. „Ich vertraue nur offiziellen Daten“, meint der Italiener.
Bisher nur ältere Menschen unter den Toten
In der Provinz wurden mehrere Gemeinden abgeriegelt. Hier sollen Sicherheitskräfte dafür sorgen, dass niemand raus oder hineinfährt. Die Sorge ist groß, dass sich das Virus in die Millionenmetropole Mailand einschleicht. Mehr als 200 Fälle gibt es mittlerweile in Italien. Und obwohl die Toten in Italien bisher alles ältere Menschen bzw. Patienten mit Vorerkrankungen waren: Es macht sich Panik breit.
In Mailand berichten Bewohner von „surrealen Szenen“. Die Regale in Supermärkten seien leer, erzählt die Mailänderin Vita P. Kekse, Pasta, Milch: Alles weg. Restaurants seien zu, viele Firmen hätten ihre Mitarbeiter angewiesen von zu Hause zu arbeiten. Mailand ist mit mehr als 1,3 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Italien und das Wirtschafts- und Finanzzentrum. Wenn sie zum Stillstand kommt, sind die Folgen für die Wirtschaft besonders gravierend.
Fußballspiele abgesagt, Museen, Kirchen, Sehenswürdigkeiten geschlossen
Die Tourismusbranche zittert ebenfalls bereits vor katastrophalen Zuständen wegen massiver Stornierungen. Italien lebt vom Fremdenverkehr. Nun sind Museen, Kirchen und Sehenswürdigkeiten in ganz Venetien und der gesamten Lombardei geschlossen, es gibt keine Opern in der Mailänder Scala und auch nicht im Teatro Fenice in Venedig. Modeschauen auf der Mailänder Fashion Week gab es zum Teil nur online zu sehen. Serie-A-Fußballspiele wurden abgesagt. Der Markusdom und der Markusturm in Venedig wurden geschlossen. Der Markusplatz war leer.
Züge standen wegen Sperre stundenlang still
Zivilschutzchef Angelo Borrelli versucht entsprechend die Ängste von Touristen zu vertreiben. „Unser Land ist sicher, und man kann beruhigt hierherkommen“, sagt er bei seinem täglichen Pressebriefing in Rom. Allerdings: Nachrichten von blockierten Zügen auf der Hauptbahnverbindung zwischen Italien, Österreich und Deutschland verunsichern weiter.
Warum ist gerade Italien so massiv betroffen?
Laut dem Epidemologen Pier Luigi Lopalco gibt es zwei Erklärungen, warum nun gerade Italien betroffen sind: „Die erste ist, dass wir es entdeckt haben und die anderen Länder bisher noch nicht.“ Die zweite Erklärunge sei, dass die Lombardei und Venetien enge Wirtschaftsbeziehungen zu China hätten und die Gegend stark besiedelt sei.
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