Flüchtlingskrise
Erdogan: „Wir wollen das Geld der EU nicht mehr“
„Wir wollen das Geld der Europäischen Union nicht mehr“, hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag in Richtung Brüssel gepoltert. Der Machthaber in Ankara beschuldigte die EU, im Gegensatz zur Türkei ihre Verpflichtungen zum Flüchtlingsabkommen nicht zu erfüllen. In einem Telefonat mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte Erdogan eine „Lastenteilung“ in der aktuellen Flüchtlingskrise. Wie die türkische Präsidentschaft am Montagabend mitteilte, schwebe Erdogan eine „gerechte Aufteilung der Last und der Verantwortung gegenüber Migranten“ zwischen der EU und der Türkei vor.
Erdogan hatte am Samstag angekündigt, Flüchtlinge mit dem Ziel EU die türkischen Grenzen passieren zu lassen. Er begründete sein Vorgehen damit, dass die EU sich nicht an den im März 2016 geschlossenen Flüchtlingspakt halte. Seither versuchten Tausende Menschen, die türkisch-griechische Grenze zu überqueren.
Der türkische Machthaber wirft Brüssel vor, die zugesagten sechs Milliarden Euro nicht zu zahlen. Erdogan ärgert sich, dass das Geld an Hilfsorganisationen und Flüchtlingsprojekte geht - und nicht in seine Staatskasse fließt. Nach aktuellen Angaben der Vereinten Nationen hat die Türkei allein 3,6 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Im Kampf um die syrische Rebellenhochburg Idlib nahe der türkischen Grenze drohen neue Vertreibungen.
Die deutsche Kanzlerin Merkel hatte die türkische Grenzöffnung am Montag in Berlin „inakzeptabel“ genannt. Es sei zwar verständlich, dass die Regierung in Ankara mehr Unterstützung von der EU erwarte, sagte die Kanzlerin. Es sei aber „völlig inakzeptabel“, dass dies „auf dem Rücken der Flüchtlinge“ ausgetragen werde. In einem Telefonat am Montagabend forderte Erdogan dann von Merkel eine „gerechte Aufteilung der Last und der Verantwortung gegenüber Migranten“ zwischen der EU und der Türkei.
Bulgarische Vermittlungsaktion gescheitert
Zugleich scheiterte am Montagabend eine Vermittlungsaktion des bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow, der Erdogan in Ankara zu einem Sondertreffen überreden wollte. „Wir wollen das Geld der Europäischen Union nicht mehr“, so Erdogans Reaktion. „Wir wollen die angebotene eine Milliarde Euro nicht mehr, denn niemand hat das Recht, die Türkei zu erniedrigen.“
Erdogan griff nach dem Treffen mit Borissow auch die griechischen Sicherheitskräfte scharf an und beschuldigte sie, für den Tod von zwei Migranten an der Grenze verantwortlich zu sein. Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas wies diese Vorwürfe umgehend als „Fake News“ zurück.
Borissow hatte ein Sondertreffen mit Erdogan, dem griechischen Ministerpräsidenten Konstantinos Mitsotakis und der EU-Spitze vorgeschlagen und Sofia als Austragungsort angeboten. Am Dienstag reisen die EU-Spitzen, angeführt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in den griechischen Grenzort Orestiada, um sich ein Bild von der Lage zu machen.
Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) besucht am Dienstag das Land an der EU-Außengrenze. Er trifft in Athen mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Dendias sowie Migrationsminister Notis Mitarakis zusammen. Österreich hat Unterstützung beim Grenzschutz, aber auch Mittel aus dem Auslandskatastrophenfonds für „wirksame Hilfe vor Ort“ in Aussicht gestellt. Konkrete Beschlüsse sollen am Dienstagvormittag bei einer Arbeitssitzung der Regierungsspitze mit den ÖVP-Ministern für Äußeres, Inneres und Verteidigung getroffen werden.
Kogler: „Nicht von Erdogan erpressen lassen“
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hatte am Montag mehrere Vorschläge zur aktuellen Migrationskrise gemacht. Er will zum einen eine Soforthilfe für die Krisenregion im Nordwesten Syriens, zum anderen fordern er und die Grünen die Schaffung menschenwürdiger Bedingungen für die Migranten auf den griechischen Inseln. „Wenn das nicht gelingt, sind wir dafür, Frauen und Kinder herauszuholen.“ Mit Blick auf den türkischen Präsidenten sagte Kogler, die EU dürfe sich „nicht von Erdogan erpressen lassen“.
Nehammer: „Keine Aufnahme von Kindern und Frauen“
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) erteilte dem Vorstoß Koglers zur Aufnahme von Frauen und Kindern aus überfüllten Flüchtlingsquartieren auf griechischen Inseln allerdings noch am Montagabend eine klare Absage. „Wir haben im Koalitionsabkommen klar festgelegt, dass es keine explizit neue Migrationswelle nach Österreich geben soll“, sagte Nehammer dem Fernsehsender Puls 24.
Der Innenminister räumte ein, dass es sich um eine „herausfordernde Situation“ handle, stellte aber eine Gefahr für den Bestand der türkis-grünen Koalition in Abrede. „Ich bin überzeugt, dass die Regierung eine gute Lösung finden wird“, so Nehammer, der auch die „gute Gesprächsbasis mit den Grünen“ hervorstrich und für sich selbst versicherte, „in enger Abstimmung mit dem Vizekanzler“ zu sein.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Kogler, Nehammer, Außenminister Alexander Schallenberg und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) beraten am Dienstagvormittag über die österreichischen Maßnahmen in der Migrationskrise.
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