Es sei „klar, wer der Täter ist“: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat am Dienstag klare Worte zur aktuellen Flüchtlingskrise gefunden. Es gelte zunächst einmal die Situation an der türkisch-griechischen Grenze richtig einzuordnen, stellte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) klar. Wenn wir jetzt dem Druck Erdogans nachgeben, dann sei der Ansturm von 13.000 Migranten nur „die erste kleine Prise und nur der Anfang“ gewesen, so Kurz. Es sei ein „Angriff der Türkei auf die Europäische Union und auf Griechenland“, kritisierte er den türkischen Machthaber aufs Schärfste. Der Kanzler sieht eine „Bewährungsprobe für die EU“, ob die Außengrenzen funktionieren.
Die Menschen seien von türkischer Seite teils in Autobussen und unter falschen Versprechungen an die Grenze gekarrt worden, wo es noch vor einer Woche keine „humanitäre Krise“ gegeben habe. Es handle sich um einen „organisierten Ansturm“, erklärte Kurz im Beisein von Kogler und Nehammer. Der aktuelle Ansturm finde demnach „ganz gezielt an der griechischen Grenze“ statt, gleichzeitig gebe es keinen Ansturm an der türkischen Landgrenze zu Bulgarien, wie Kurz sagte.
Zudem handle es sich laut dem Kanzler bei den Flüchtlingen aus der Türkei, die nun über Griechenland in die EU gelangen wollten, nicht direkt um Menschen aus dem syrischen Kriegsgebiet, also „keine Flüchtlinge aus Idlib“. Vielmehr hätten sie sich schon längere Zeit in der Türkei aufgehalten. Erdogan würde Menschen als „Spielball, Waffe und Druckmittel“ missbrauchen, kritisierte Kurz die Vorgehensweise des türkischen Präsidenten aufs Schärfste.
Kogler-Forderung nur „persönliche Meinung“
Bezüglich der kritischen Situation von Flüchtlingen und Migranten auf griechischen Inseln erinnerte der Bundeskanzler daran, dass die EU bereits Milliarden an Hilfs- und Unterstützungsgeldern an Griechenland überwiesen habe. Bezüglich seines am Montag geäußerten Vorstoßes, Österreich könnte Frauen und Kinder, die unter unmenschlichen Bedingungen in griechischen Flüchtlingslagern leben, nach Österreich holen, räumte Vizekanzler Kogler indes ein, dass es sich dabei um seine „persönliche Meinung“ handle. Es falle ihm aber auch „kein Zacken aus der Krone“, wenn es dafür keine Mehrheit gebe.
Von Kurz und Nehammer wurde das Ansinnen auch flugs abgelehnt. Persönliche Meinungen würden zwar respektiert, ließ Nehammer wissen, Österreich sei aber seit 2015 durch die Migrations- und Flüchtlingsfrage ohnehin schon massiv belastet. Es gebe etwa Probleme, Migranten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu sei bei der Aufnahme von Frauen und Kindern in weiterer Folge der Familienzuzug zu beachten. Daher könnten keine weiteren Personen hinzugenommen werden.
Nehammer richtete auch einen expliziten Appell an alle Migranten, die in die EU oder nach Österreich streben würden: „Wir werden sie nicht aufnehmen, es hat keinen Sinn zu kommen.“ Ein Schwerpunkt sei weiterhin der verstärkte Schutz der EU-Außengrenzen, um eine Situation wie beim Flüchtlingsansturm 2015 zu vermeiden. Österreich werde daher auch weitere Maßnahmen der EU-Grenzschutzagentur Frontex unterstützen, um Griechenland zur Seite zu stehen. Bisher seien 14 Beamtinnen und Beamte aus Österreich dort im Einsatz gewesen. Derzeit werde ausgearbeitet, welchen Beitrag die jeweiligen Mitgliedsländer noch zusätzlich leisten können.
„Erpressungsversuch Erdogans die Stirn bieten“
Einig waren sich die drei Regierungsvertreter, dass die EU diesem „Erpressungsversuch Erdogans“ die Stirn bieten müsse. Eine Wiederholung von 2015 gelte es „um jeden Preis“ zu verhindern, so Kurz, der Geschlossenheit innerhalb der Union einforderte, um gemeinsam Druck auf die Türkei auszuüben. Ein Versagen des EU-Grenzschutzes könnte fatale Folgen haben, warnte auch Kurz: „Wenn wir jetzt dem türkischen Druck nachgeben, wenn jetzt Präsident Erdogan der Sieger ist, der darüber entscheidet, ob Zehntausende Menschen die Europäische Union stürmen oder nicht, dann werden Hunderttausende nachkommen und das Europa ohne Grenzen nach innen wird Geschichte sein“.
Erdogan hatte am Samstag angekündigt, Flüchtlinge mit dem Ziel EU die türkischen Grenzen passieren zu lassen. Seither versuchten Tausende Flüchtlinge, über die türkisch-griechische Grenze in die EU zu gelangen. Griechische Grenzschützer hielten am Wochenende etwa 10.000 Menschen vom Grenzübertritt ab.
Rendi-Wagner: „Wir dürfen hier nicht wegschauen“
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner forderte indessen erneut einen EU-Sondergipfel. „Wir alle in der EU haben eine Verantwortung, wir dürfen hier nicht wegschauen“, so Rendi-Wagner. Vier Jahre sei weggeschaut worden, „man hat vor vier Jahren einen erfolgreichen Türkei-Deal abgeschlossen, aber man hat die Zeit nicht genützt, um eine nachhaltige Lösung herbeizuführen“, kritisierte sie die Vorgehensweise der Union. Sie wünsche sich „auch ein Gesamtkonzept und eine starke europäische Linie, wie wir so eine menschliche Tragödie in Zukunft verhindern können“.
Am Montag hatte Erdogan den Druck auf die EU weiter erhöht und gedroht, die Grenzen blieben weiter offen. In einem Telefonat mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte der türkische Machthaber eine „gerechte Aufteilung der Last und der Verantwortung gegenüber Migranten“ zwischen der EU und der Türkei. Zugleich scheiterte am Montagabend eine Vermittlungsaktion des bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow, der Erdogan in Ankara zu einem Sondertreffen überreden wollte. „Wir wollen das Geld der Europäischen Union nicht mehr“, so Erdogans Reaktion.
Schallenberg an EU-Außengrenze
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) besucht am Dienstag das Land an der EU-Außengrenze. Er trifft in Athen mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Dendias sowie Migrationsminister Notis Mitarakis zusammen. Die EU-Spitzen, angeführt von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, reisen indessen in den griechischen Grenzort Orestiada, um sich ein Bild von der Lage zu machen.
Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR Deutschland hält die Lage an der türkisch-griechischen Grenze nicht für vergleichbar mit der Flüchtlingskrise vor fünf Jahren. Die Lage sei angespannt, aber kein Notstand für Europa, sagte der Sprecher des UNHCR in Deutschland, Martin Rentsch, dem Sender NDR Info.
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