Lang war das bereits im Herbst vorgestellte Huawei Mate 30 Pro in Österreich eine verbotene Frucht, die man nicht offiziell kaufen konnte. Erst mit einigen Monaten Verspätung hat es Huawei in geringer Stückzahl und - eine Folge der US-Sanktionen gegen den Konzern - ohne Google-Dienste nun in den heimischen Handel gebracht. Wir haben es ausprobiert.
Wenden wir uns gleich dem Elefanten im Raum zu: Huawei verkauft mit dem Mate 30 Pro erstmals ein Android-Flaggschiff in Österreich, auf dem Google-Dienste wie der Play Store und Google Maps fehlen - und zwar nicht freiwillig. Weil der Mobilfunkkonzern von der US-Regierung der Spionage bezichtigt wird und auf einer schwarzen Liste steht, darf Google keine Geschäfte mehr mit Huawei machen. Wie lang das so bleibt, ist noch völlig unklar.
Android mit App Gallery statt Play Store
Das zwingt Huawei dazu, seine Smartphones ohne Google-Services auszuliefern. Android als Betriebssystem bleibt zwar, allerdings nur der Open-Source-Unterbau ohne die Google-Dreingaben, die man bei anderen Smartphone-Herstellern findet. Stattdessen haben die Chinesen mit ihrer App Gallery nun einen eigenen App-Marktplatz, der freilich jung und noch nicht so prall gefüllt ist wie das Google-Pendant. Auch andere Google-Schnittstellen - etwa das Zahlen via Play Store - hat man substituiert, um App-Entwicklern den Umzug in die App Gallery zu erleichtern. Die Chinesen haben sich also durchaus ins Zeug gelegt, um das fremdverschuldete Fehlen der Google-Dienste auszugleichen, rundum glücklich macht die App Gallery aber noch lange nicht. Es fehlen so viele populäre Apps, dass wir letztlich den Amazon Appstore nachinstallierten, der normalerweise auf Fire-Tablets zu finden ist, aber auch problemlos auf jedem anderen Android-Gerät nutzbar ist.
Den Play Store kann man nachinstallieren
Wer am Mate 30 Pro Google-Dienste will, muss sie - damit haben aber weder Huawei noch Google Freude - aus Fremdquellen installieren. Das ist mit Anleitungen aus dem Internet machbar, für Android-Anfänger aber nicht trivial und letztlich - das betont auch Google - ein Sicherheitsrisiko, weil man auf Software aus nicht nachvollziehbaren Quellen zurückgreift. Selbiges gilt übrigens für die Installation von Apps mithilfe von APK-Installationsdateien aus dem Internet. Huawei selbst verweist im Bezug auf größere Software-Eingriffe auf seine Garantiebestimmungen, in denen es heißt, „Eingriffe, Demontage oder Reparaturen, die nicht von Huawei autorisiert wurden“ seien Grund für einen Garantieausschluss.
Wer kein Bastler ist, wird schnell genervt sein
Obendrein weiß man nie, ob Huawei oder Google der „Schwarzinstallation“ der Google-Dienste nicht irgendwann einen Riegel vorschieben: Im Test sperrte uns Google einmal aus dem manuell installierten Play Store mit der Begründung aus, das Gerät sei nicht „Play Protect zertifiziert“. Mit einer Anleitung aus dem Entwicklerforum „XDA Developers“ ließ sich zwar auch dieses Problem umschiffen, mühsam war die Causa trotzdem. Nicht nur Google-Intensivnutzer, sondern alle, die Android mit Google-Diensten gewöhnt sind, werden es sich angesichts dieser Besonderheiten vermutlich genau überlegen, ob das Mate 30 Pro interessant für sie ist.
Welche Hardware im Mate 30 Pro verbaut ist, sehen Sie hier:
Huawei Mate 30 Pro | |
CPU | HiSilicon Kirin 990: |
RAM | 8 GB |
Bildschirm | 2400 x 1176 Pixel OLED HDR10 |
Diagonale | 6,53 Zoll |
Kamera | 40 MP (F/1.6): Phase-Detection-AF, Farbspektrumsensor, OIS |
Frontkamera | 32 MP (F/2.0) |
Speicher | 256 GB |
Speicherkarten-Slot | proprietär (Nano-Memorycard) |
Funk | LTE, Gigabit-WLAN (.ac), Bluetooth 5.1, NFC, Infrarot, GPS, GLONASS, BeiDou, Galileo, QZSS |
Akku | 4500 mAh |
Extras | Wasserfest (IP68) |
Software | Android 10 (ohne Google-Dienste) |
Preis | ab ca. 1100 Euro |
Bei einem Smartphone dieser Preis- und Leistungsklasse kein Wunder: Für die alltägliche Android-Nutzung bietet der Achtkern-Chip der hauseigenen CPU-Tochter HiSilicon mehr als genug Leistung, auch komplexere 3D-Spiele meistert er, gepaart mit den acht Gigabyte RAM, problemlos. In einschlägigen Leistungstests wie „AnTuTu“ liegt der HiSilicon-Chip inetwa gleichauf mit dem Rivalen Qualcomm Snapdragon 855 - also im Spitzenfeld.
Man kann’s mit „Curved“ auch übertreiben
Einen gemischten Eindruck hinterließ das Display. Das erfreut zwar mit hoher Schärfe und Helligkeit, gutem Kontrast, satter Schwarz- und leuchtender Farbdarstellung und nutzt obendrein die verfügbare Fläche sehr gut aus. Der allzu stark über die Gerätekante gezogene Rand des Bildschirms trübt den sehr guten Gesamteindruck allerdings wieder, leidet darunter doch nicht nur das Handling, sondern auch die Darstellungsqualität. Im Test fiel uns immer wieder eine leichte „Vignettierung“ im Randbereich auf, die es - hier geht Design offenbar über Funktion - ohne die Krümmung wohl nicht gäbe.
Keine Kopfhörerklinke, keine Lautstärkewippe
Noch ein Haar in der immerhin 1100 Euro teuren Suppe: Dem Mate 30 Pro fehlt neben einer - das ist man ja gewöhnt - Kopfhörerklinke auch der Lautstärkeregler. An der rechten Geräteseite gibt es ausschließlich einen Entsperr-Button, die Lautstärke regelt man über beiderseits im oberen Gerätedrittel verbaute Touch-Sensoren an der Gerätekante. Doppeltippt man in diesen Bereich und streicht anschließend an der Gerätekante dahin, erhöht und senkt man die Lautstärke. Die Touch-Sensoren nutzt man auch für andere Funktionen - etwa als Kamera-Auslöser. Im Test arbeitete das unzuverlässiger als man es von klassischen physischen Knöpfen gewohnt ist, weshalb wir in dem auch von Sony- und HTC-Geräten bekannten Feature ein Gimmick sehen.
Hervorragende Dreifach-Kamera
Nichts auszusetzen gibt’s an der Dreifachkamera des Mate 30 Pro, die Huaweis Marketingleute als Vierfachkamera anpreisen. Tatsächlich knipst der vierte Sensor in der in einem kreisrunden Modul an der Geräterückseite platzierten Kamera aber keine Fotos, sondern ist ein Tiefensensor. Das hilft beim Fokussieren, ermöglicht schöne Unschärfespielereien im Bild, ist aber eben keine zusätzliche Kamera, weshalb wir hier von einer Dreifachkamera - zweimal 40 Megapixel, einmal acht - sprechen.
Abgesehen davon liefert Huawei hier aber eine der derzeit besten Kameras in einem Android-Smartphone ab: Die lichtstarke Hauptkamera erfreute im Test mit einem schnellen und zuverlässigen Autofokus, flotten Auslösezeiten und kaum Verwacklern - bei gutem Licht sowieso, aber auch bei weniger optimalen Lichtverhältnissen. Ein Nachtmodus holt selbst bei Dunkelheit noch erstaunlich viel aus den Bildern. Die Weitwinkel- und Motive optisch dreifach und digital bis zu dreißigfach vergrößernde Zoomkamera liefern nicht ganz so hohe Bildqualität wie die Primärkamera, sind aber immer dann, wenn man nicht weiter an ein Motiv heran oder vom Motiv weggehen kann, ein praktisches Extra. Beim Zoomen sollte man sich bewusst sein, dass beim maximalen Zoomfaktor Schärfe und Detailgrad nachlassen, während das Verwacklungsrisiko steigt.
Damit auch Laien mit zittrigen Händen gute Fotos zustande bringen, wird softwareseitig stark nachgeholfen - mit einer zuschaltbaren Motiverkennung, die automatisch die idealen Einstellungen für Portrait-, Essens-, Landschafts- oder Tierfotos trifft und Algorithmen, die das Bild im Zwielicht aufhellen oder bei zittrigen Händen Verwackler unterbinden. Die gute Foto-Performance setzt sich auch bei der Frontkamera fort, die im Test scharfe und attraktive Ergebnisse lieferte. Beim Filmen überzeugt das Mate 30 Pro mit guter Bildstabilisierung und zuverlässigem Fokus.
Gute Ausstattung, Hülle ist Pflicht
Die sonstige Ausstattung des Mate 30 Pro gefällt ebenfalls. Das Gerät ist staub- und wasserfest, sauber verarbeitet und macht mit seinem Metall-Glas-Chassis einen hochwertigen Eindruck. Nachteil der Materialwahl: Das Mate 30 Pro ist ein Fingerabdruckmagnet und mit seinem Glasgehäuse und der daraus leicht hervorstehenden Kamera obendrein recht zerbrechlich. Eine Schutzhülle wird da zur Pflicht.
Der Fingerscanner im Display arbeitete im Test zuverlässig, die Funkausstattung ist zeitgemäß und umfasst sehr reaktionsfreudiges WLAN, der Speicher hinreichend groß und mit - proprietären Huawei-Speicherkarten, die teurer sind als microSD-Karten - zu erweitern. Der 4500 Milliamperestunden dicke Akku lieferte im Test problemlos Saft für einen Tag sehr intensive Nutzung - oder auch zwei Tage moderatere Verwendung. Kurzum: Bei der Ausstattung gibt’s nichts auszusetzen.
Die Software wurde eingangs ja bereits thematisiert: Am Huawei Mate 30 Pro läuft Android 10 in der Open-Source-Version ohne Google-Dreingaben. Wer mit Google nichts am Hut haben will oder sich als ausgewiesener Android-Spezialist sieht, der fehlende Apps zur Not auch aus unkonventionellen Quellen nachinstalliert, wird sich daran nicht stören. Die allermeisten Nutzer werden es aber als im Alltag spürbares Manko erleben, immerhin fehlen nicht nur sämtliche Google-Apps inklusive Gassenhauern wie YouTube oder Google Maps, sondern auch manch Funktion unter der Haube - etwa Chromecast-Streaming. Nachteile, die Huaweis App Gallery trotz großer Bemühungen der Chinesen noch lange nicht ausgleichen kann.
Fazit: Wenn zwei sich streiten, leiden die User
Es ist kein Wunder, dass Huawei das Mate 30 Pro ohne Google-Dreingaben monatelang nicht nach Europa gebracht hat: Ihr Fehlen schränkt den Funktionsumfang in der Praxis empfindlicher ein als gedacht, weshalb wir dem Durchschnittsnutzer explizit vom Mate 30 Pro und anderen Huawei-Geräten ohne Google-Dienste abraten müssen. Zumal sich der beschnittene Funktionsumfang nicht etwa in Form günstigerer Preise bemerkbar macht. Das ist schade, denn das Huawei Mate 30 Pro ist - abgesehen von Kleinigkeiten wie dem zu stark gekrümmten Display - technisch ein sehr starkes Smartphone, vor allem die Kamera spielt ganz vorne mit.
Zweifellos lassen sich ausgewiesene Android-Füchse nicht vom Fehlen der Google-Dienste abschrecken und installieren die einfach auf Umwegen nach. Für den Ottonormalkunden ist das aber keine Option: Er ärgert sich - ebenso wie Huawei und Google selbst - schlicht über die Unannehmlichkeiten, die ihm der US-chinesische Handelsstreit hier in Smartphone-Gestalt aufbürdet.
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