Pattsituation

Nach Israel-Wahl: Lage wird immer komplizierter

Ausland
05.03.2020 09:11

Nachdem 99 Prozent der israelischen Wählerstimmen ausgezählt worden sind, sieht die politische Landschaft noch aussichtsloser aus, als zuvor. Der rechte Parteienblock mit dem amtierenden Premier Benjamin Netanyahu an der Spitze bleibt stabil bei 59 Mandaten, während seine Herausforderer bestenfalls 52 Mandate auf die Beine stellen. Für eine Parlamentsmehrheit fehlen Netanyahuu noch zwei Stimmen. Eine Regierungsbildung wäre nur möglich, wenn es Netanyahu gelingt, zwei Abgeordnete des anderen Lagers zum „Verrat“, also dem Überlaufen in das rechte Lager, zu überzeugen. Noch hat sich niemand gemeldet, der diesen Schritt wagen würde.

Gleichwohl hat die Jerusalem Post eine ganze Reihe von möglichen Kandidaten für den Wechsel in das „feindliche“ Lager veröffentlicht. Unter ihnen war Orly Levy-Abecassis, der Leiterin der Gesher-Partei im Bündnis der Linksparteien. Sie ist die Tochter des früheren Außenministers David Levy und würde liebend gerne Gesundheitsministerin werden. Sie hatte die Israel Beitenu Partei von Avigdor Liberman verlassen, ehe sie Gesher gründete.

Benjamin Netanyahu (Bild: AFP)
Benjamin Netanyahu

Gantz als „dummen Verlierer“ bezeichnet
Omer Yankelevich ist eine Abgeordnete der Blau-Weiß-Partei und war die zweite ultraorthodoxe Abgeordnete in der Knesset. Sie soll laut einer geheimen Tonaufnahme ihren Partei-Chef Benny Gantz als „dummen Verlierer“ bezeichnet haben, der nicht fit sei, Regierungschef zu werden. Die Likud-Partei habe ihr schon mit weiteren Tonaufnahmen gedroht zu privaten Angelegenheiten, die sie geheim halten wolle.

Benny Gantz (Bild: AFP)
Benny Gantz

Markenzeichen abrasiert
Orly Fruman pflege „rechte Ansichten“ und hat Benny Gantz aufgerufen, eine Große Koalition mit Netanyahu einzugehen. Das erregte Unmut in ihrer derzeitigen Blau-Weiß-Partei. Als letztes wurde sogar Amir Peretz genannt, der ehemalige Parteiführer der Arbeitspartei. Um zu zeigen, dass er sich „niemals“ einer Regierung unter Netanyahu anschließen würde, hatte sich der 68-Jährige sein Markenzeichen abrasiert: den mächtigen Schnurrbart. Doch bekanntlich kann man einen Bart schnell wieder nachwachsen lassen. Er war mal unter Netanyahu Verteidigungsminister und würde diesen Posten wohl gerne wieder übernehmen.

(Bild: AFP)

Der linksliberale Block hinter Beny Gantz ist noch weiter zurückgefallen, auf nur noch 52 Mandate. Niemand kann unter diesen Umständen mit der notwendigen Mehrheit von einer einzigen Stimme im Parlament mit 120 Sitzen eine Regierung bilden.

Präsident könnte Mandat direkt an Knesset vergeben
In den Medien wird spekuliert, dass Staatspräsident Reuven Rivlin keinen Politiker beauftragt, eine Regierung zu bilden, sondern das Mandat an die Knesset übergibt. Erstmals in der Geschichte des Staates Israel hätten die Abgeordneten dann den Auftrag, einen Kandidaten aus ihren Reihen zu finden, der nächster Premierminister werden sollte.

Israels Staatspräsident Reuven Rivlin (Bild: APA/AFP/GALI TIBBON)
Israels Staatspräsident Reuven Rivlin

Araber feiern „größten Erfolg“ seit 1948
Das Wahlergebnis hat bei kleineren Parteien teilweise Euphorie ausgelöst. Die israelischen Araber feiern „den größten Erfolg“ seit 1948. Sie errangen gemäß dem derzeitigen Stand mit ihrer „Gemeinsamen Liste“ ganze 15 Mandate. Sie bestehen aus Kommunisten, Nationalisten und Islamisten, begrüßen teilweise palästinensischen Terror. Einer ihrer Abgeordneten, ein Beduine, ist mit zwei Frauen verheiratet. Dieses arabische Sammelsurium gilt den „zionistischen“ Parteien als regierungsunfähig. Niemand will mit ihnen eine Koalition eingehen, zumal es heißt, dass sie von der palästinensischen Regierung in Ramallah „gesteuert“ würden.

(Bild: AP)

Auf der anderen Seite ist die israelische Sozialdemokratie mit den Befürwortern einer „Zweistaatenlösung“ de facto abgeschafft. Das linke Parteienbündnis besteht aus der ehemals allmächtigen Arbeitspartei, der Meretz-Partei und der Gesher-Partei (Brücke). Die erhielten gemeinsam nur noch sieben Mandate. Das ist ein historisches Tief für die „Linke“, der einst Staatsgründer David Ben Gurion, Yitzhak Rabin und Shimon Peres angehörten und die 1994 die Osloer Verträge mit den Palästinensern ausgehandelt hatte. Ihr dramatischer Niedergang wurde mit der Intifada besiegelt, die Yasser Arafat nach seiner „Rückkehr“ auf den Straßen Israels ausgelöst hatte, dem dann der Mord an Rabin durch den israelischen Rechtsextremisten Yigal Amir folgte. Von diesen Ereignissen haben sich die Linken bis heute nicht erholt.

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