Ausnahmezustand in NÖ

„Wir lernen, mit dem Coronavirus zu leben“

Niederösterreich
08.03.2020 06:01

Im niederösterreichischen Korneuburg herrscht Ausnahmezustand: Immer mehr breitet sich hier Corona aus, bereits 24 Menschen waren mit Stand Sonntagfrüh in dem Bezirk infiziert - in ganz Niederösterreich waren es 31. Ein Lokalaugenschein.

Freitagnachmittag, im niederösterreichischen Korneuburg. Auf den Straßen, die von der Bezirkshauptstadt wegführen, fahren nur wenige Autos; die in der Landschaft verstreuten Dörfer scheinen menschenleer. „Nein, das hat nichts damit zu tun, dass es in der Gegend so viele Corona-Fälle gibt“, sagen die Bewohner, „bei uns ist es mittlerweile immer eher ruhig.“

Auch eine Krankenhaus-Laborantin ist erkrankt. (Bild: Schiel Andreas)
Auch eine Krankenhaus-Laborantin ist erkrankt.
(Bild: Schiel Andreas)

„Reis und Nudeln waren schon ausverkauft“
Denn in jüngster Zeit hätten zahlreiche Gasthäuser zugesperrt; auch Shops und Greißlereien seien in den Ortschaften kaum noch zu finden, „anscheinend erledigen die meisten Leute ihre Einkäufe lieber in Einkaufszentren und großen Supermärkten.“

In zweien davon, „ganz in der Nähe“, erzählt Alexander Helnwein, „waren vor ein paar Tagen Nudeln, Reis und Spaghettisaucen ausverkauft. Sicherlich wegen der Panik vor dem Virus.“ Der 49-Jährige, er lebt in Würnitz, sagt, „mindestens drei der Infizierten stammen nachweislich von hier“. Hat er Angst vor einer Ansteckung? „Eigentlich nicht. Und ich verstehe einige meiner Nachbarn nicht, die jetzt ernsthaft glauben, sie würden bald an Corona sterben müssen.“

Alexander Helnwein (49): „Vor Menschen, die Infizierte wie Aussätzige behandeln, fürchte ich mich viel mehr als vor dem Coronavirus.“ (Bild: Schiel Andreas)
Alexander Helnwein (49): „Vor Menschen, die Infizierte wie Aussätzige behandeln, fürchte ich mich viel mehr als vor dem Coronavirus.“

Seelische Abgründe
Schlimme Dinge hätten manche Würnitzer gefordert, nachdem sie von der Erkrankung eines Ehepaars und einer weiteren Person aus dem Ort erfahren hatten: „Dass sie alle in eine Isolierstation kommen sollten, für lange Zeit. Und mit ihnen sämtliche ihrer Freunde, Arbeitskollegen und Verwandten - egal, ob Corona-positiv oder -negativ.“

Birgit und Daniel Schlerith in ihrem Reihenhaus in Würnitz. Das Ehepaar ist Corona-positiv und befindet sich daheim in Quarantäne. Die Frau hatte, wie sie sagt, „bis vor einigen Tagen Gliederschmerzen, Fieber und eine Verkühlung“. Ihr Mann ist bis dato symptomfrei. „Nachdem in unserem Ort bekannt geworden war, dass wir infiziert sind“, so die 39-Jährige, „wurden wir von vielen Menschen per Handy-Nachrichten auf übelste Weise beschimpft.“ (Bild: ZVg)
Birgit und Daniel Schlerith in ihrem Reihenhaus in Würnitz. Das Ehepaar ist Corona-positiv und befindet sich daheim in Quarantäne. Die Frau hatte, wie sie sagt, „bis vor einigen Tagen Gliederschmerzen, Fieber und eine Verkühlung“. Ihr Mann ist bis dato symptomfrei. „Nachdem in unserem Ort bekannt geworden war, dass wir infiziert sind“, so die 39-Jährige, „wurden wir von vielen Menschen per Handy-Nachrichten auf übelste Weise beschimpft.“

Seelische Abgründe hätten sich aufgetan, seien offensichtlich geworden; in dieser Notsituation, „von der ich bislang leider nicht weiß“, sagt Dagmar Fenz, ebenfalls eine Würnitzerin, „wie dramatisch sie tatsächlich ist“.

Dagmar Fenz (61): „Ich versuche mich zu schützen, indem ich niemanden mehr umarme oder Bussis gebe. Auch Händeschütteln vermeide ich.“ (Bild: Schiel Andreas)
Dagmar Fenz (61): „Ich versuche mich zu schützen, indem ich niemanden mehr umarme oder Bussis gebe. Auch Händeschütteln vermeide ich.“

„Händeschütteln ist jetzt unangebracht“
Die Vorsichtsmaßnahmen der 61-Jährigen: „Ich umarme niemanden mehr, gebe zur Begrüßung und bei Verabschiedungen keine Bussis. Selbst Händeschütteln finde ich eher unangebracht.“ Was Dagmar Fenz und viele andere Menschen aus der Region beklagen: „Die Behörden halten die Namen der Erkrankten geheim. Bis wir sie - durch Tratsch, am Land bleibt schließlich nichts lange verborgen - erfahren, vergeht wertvolle Zeit. In der wir keine Ahnung haben, ob wir selbst zu Risikogruppen gehören. Also, ob wir mit den Betroffenen Kontakt hatten.“

„Seit die Krankheit in unserer Gegend ist“, so Julia Reidel, Kellnerin in einem bekannten Wirtshaus in Rückersdorf, „kommen deutlich weniger Gäste zu uns.“ (Bild: Schiel Andreas)
„Seit die Krankheit in unserer Gegend ist“, so Julia Reidel, Kellnerin in einem bekannten Wirtshaus in Rückersdorf, „kommen deutlich weniger Gäste zu uns.“
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Unsere Bezirkshauptfrau hat längst alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen getroffen, sollte sich das Coronavirus bei uns weiter ausbreiten.

Christian Gepp, Korneuburgs Bürgermeister

Überlegungen zur freiwilligen Isolation
Was sollte eine andere Informationspolitik an der Lage ändern? „Wir könnten uns dann in Eigenregie freiwillig zu Hause einsperren und damit die Verbreitung des Virus - wenigstens ein bisschen - eindämmen.“

Martina Schertler (44): „Ich wohne Tür an Tür mit zwei Erkrankten. Ich habe keine Angst vor Ansteckung. Ich hoffe bloß, dass die beiden bald wieder gesund sind.“ (Bild: Schiel Andreas)
Martina Schertler (44): „Ich wohne Tür an Tür mit zwei Erkrankten. Ich habe keine Angst vor Ansteckung. Ich hoffe bloß, dass die beiden bald wieder gesund sind.“
Ingrid Helnwein (79): „Ich bin nicht mehr jung. Das Virus ist für mich also sehr gefährlich. Daher gehe ich nun kaum noch nach draußen.“ (Bild: Schiel Andreas)
Ingrid Helnwein (79): „Ich bin nicht mehr jung. Das Virus ist für mich also sehr gefährlich. Daher gehe ich nun kaum noch nach draußen.“
Roman Novak (49): „Ich wohne in einem Ort, in dem es Corona gibt. Einige meiner Bekannten meinen, dass das Dorf abgeriegelt werden sollte.“ (Bild: Schiel Andreas)
Roman Novak (49): „Ich wohne in einem Ort, in dem es Corona gibt. Einige meiner Bekannten meinen, dass das Dorf abgeriegelt werden sollte.“

Furcht vor dem Unbekannten, Hysterie, Panik - das sind die Gefühle der Menschen im Bezirk Korneuburg und vermutlich in ganz Österreich - zu Covid-19. Denn nichts macht eben mehr Angst als das Uneinschätzbare.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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